Der Spruch sei falsch, interveniert Altmaier. Er hätte gesagt, „dass kein Arbeitsplatz verloren gehen MUSS“. Arbeitsplätze müssen ja nicht weg, die gehe freiwillig. Noch kecker wird Altmaier etwas später. Das ist lustig: Johannes B. Kerner nach seiner überwundenen Corona-Erkrankung wieder mit seiner nervös machenden Maschinengewehrsprechgeschwindigkeit. Aber ist das deshalb schon besser, wenn man bei Maischberger nur als Anstandswauwau eingeladen ist? So ist die stete Verteilung des Line-ups, wenn drei zusätzliche Journalisten die geladenen Politgäste kommentieren.
Peter Altmaier wird begrüßt mit den Worten: „Wir sind sehr glücklich, dass er hier ist.“ Aber wenn Glück auch von einem Seltenheitswert gekennzeichnet ist, dann wäre man doch eigentlich glücklicher, Talkshow-Nomade Altmaier wäre nicht erschienen. Maischberger weiter: „Denken Sie sich bitte den Applaus, nehmen Sie bitte Platz.“ Ja, die Claqueure fehlen. Und auch das ist Thema der Sendung: Die Lockerungen der massiven Einschränkungen der deutschen Bevölkerung. Wer am heutigen Mittwoch spazieren war, der weiß um die wieder geöffneten, aber nach wie vor verwaisten Spielplätze.
„Die Lockerungen werden mit Augenmass gemacht, das ist für mich das wichtige Ergebnis heute.“, so Altmaier zunächst.
Wir wollen das nur der Vollständigkeit halber in so einer Gesamtbesprechung einer solchen Sendung erwähnen: Bitte demnächst eine Vorabsitzprobe vornehmen. Denn dann hätte man feststellen können, dass der Minister lieber knielange Socken angezogen hätte, will er nicht während des ganzen Gesprächs nervös herumrutschen, weil ihm aufgrund dieser pseudomodernen Drehsessel die Hosenbeine immer wieder gefühlt bis übers Knie rutschen.
Maischberger lobt die hervorragende Arbeit des Robert-Koch-Instituts, so toll wäre doch die Präsentation der Zahlen im Internet. Und Altmaier erinnert sich an seine Lateinstunde, da hätte er gelernt, dass, wenn Rom in Not war, alle Macht auf einen Diktator vereint wurde. „Aber da haben wir uns dagegen entschieden.“, beruhigt er die Leute da draußen. Was redet der Mann? Und wer ist hier „wir“? Von welcher Damokles-Selbstermächtigung der Kanzlerin um Gotteswillen redet Altmaier?
Aber „wir“ dürfen uns beruhigen, denn „die Menschheit hat mit solchen Diktatoren eher schlechte, als gute Erfahrungen gemacht“, so der Minister mit den halbnackten Beinen wider Willen auf dem Drehsessel. Um Himmelswillen, in dem Moment wäre doch ein Schleudersitz gerade richtig. Denn das ist doch, was Demokratie in ihrem Kern ausmacht: Das Volk an den Hebeln für solche Schleudersessel und für jedes Regierungsmitglied einen. Eben dieser Druck der gespannten Feder unter dem Sitzfleisch ist der Garant für eine Demut im Amt, gegen welche die Kanzlerin immun ist.
„Wie viel Angst haben sie vor der zweiten Welle?“, fragt Maischberger. Wenn sie aber von einer zweiten spricht, was war mit der ersten? Klar, Altmaier möchte gerne stellvertretend für die Bundesregierung der Wellenbrecher gewesen sein, aber abgesehen von diesem unmöglichen Bild, wie realistisch ist es rückblickend überhaupt, so etwas für sich zu beanspruchen?
„Wir haben alle gelernt, dass wir mit diesem Virus leben müssen“, sagt der Minister. Das ist ebenfalls falsch. Denn wir haben zunächst einmal eines gelernt: Dass wir mit den Einschränkungen der Merkel-Regierung leben müssen. Wie es sich mit dem Virus lebt, davon kann in der Runde wissentlich allenfalls Kerner berichten. Aber auch der erzählt, wenn, dann wohl hauptsächlich von seinen moderaten Quarantäne-Bedingungen mit überdacht-beheiztem Swimmingpool oder was immer es da gibt im Hause Kerner.
Bizarrer Moment, als Maischberger wissen will, was es damit auf sich hat, dass der Minister in einer sehr viel früheren Talkshow gesagt hatte: „Wir haben so viele Reserven, dass wir versprechen können, dass kein Arbeitsplatz wegen Corona verloren geht.“ Nein, das sei falsch, interveniert Altmaier, er hätte gesagt, „dass kein Arbeitsplatz verloren gehen MUSS“. Maischberger besteht darauf, nein, das sei ein wörtliches Zitat. Und jetzt Altmaier ohne geringste Form von Scham: „Ich bin unterbrochen worden, bevor das „muss“ kam“. Und dann lacht er, als hätte er einen klasse Witz gerissen. Man denkt: Schleudersessel. Aber der funktioniert ja hier nicht mehr.
Dann geht Altmaier freiwillig, aber nur, weil sein Drops in dieser Sendung gelutscht ist. Und schon ist diese furchtbare Quasselrunde der mehr oder weniger etablierten Medienschaffenden wieder dran, dem Bürger obendrein noch zu erklären, wie er das soeben von Altmaier Gehörte einzuordnen hat – was für ein volkspädagogisch pomadiges Sendungskonzept.
Die Journalistin Eva Quadbeck steckt fest zwischen Steingart und Kerner. Und das färbt ab oder sie war schon vorher eingefärbt. Es nervt. Nein, auch der geneigte Zuschauer will nicht entmündigt werden, er möchte sich seine eigene Meinung erst einmal entlang des Gehörten bilden, bevor diese ganze regierungskonforme Buttercreme darüber gegossen wird, denn Journalisten, die ihre kritische Aufgabe ernstnehmen, finden bei Maischberger leider nicht statt. Sie nehmen Altmaier so hin, wie er ist. Kritik? Fehlanzeige. Nachfrage? Ich bitte Sie! Man sieht, wie sie um ihre nächste Einladung bangen und betteln.
Steingart bedeutungsschwanger: „Die Investoren investieren in diesen Tagen in einer Affengeschwindigkeit in alles, was digital ist.“ Er habe gehört dass Zoom, diese Firma, die für die Technik von Videokonferenzen zuständig ist ud gleichzeitig die Teilnehmer aushorcht, dass die aktuell mehr wert ist, als die fünf größten Fluggesellschaften zusammengenommen. Horch und Guck war immer beliebt. Bedeutung nicht.
Gut, aber was leitet er daraus ab? Das Falsche, jedenfalls wenn er befindet, dass damit die Industriegesellschaft verschwinden und am Ende nur diese Videokonferenzen bleiben würden und anderes mit IT. Aber was soll in diesen Konferenzen dann eigentlich noch verhandelt werden, wenn es keine real produzierende Wirtschaft mehr gibt? Aber das ist schon zu weit gedacht.
„Wir brauchen die Transformation“, flötet Steingart bedeutungschwer. Da also das nächste „wir“, mit dem man so gar nichts zu tun haben will. Wir sind nicht Steingart. Und das ist auch sehr gut so.
Eingeblendet wird ein kurzes Video eines Fußballspielers, der sich in der Garderobe mit drei anderen die Hände gibt und dann folgen Minuten einer neuen deutschen Spezies: Des Corona-Blockwarts: Und wer macht’s vor? Na klar, der öffentlich-rechtliche Saubermann Johannes B. Kerner, der sofort „verwerflich“ findet, was da in diesem Video passiert ist.
Man will es kaum glauben, aber es passiert: Die hässliche Seite der Deutschen zur besten Sendezeit. Und maximal zynisch hintendran: „Der (Fußballspieler) ist 34 Jahre alt, ich glaube der hat 4 Prozent Spielminuten in dieser Saison, der ist eher am Ende seine Karriere, um es mal vorsichtig zu sagen, das ist wirklich eine Dummheit sondergleichen.“
Was ist dieser Kerner eigentlich für ein Mensch? Auf traurige Weise hartherzig zu anderen, aber beispielsweise bei Preisverleihungen dafür bekannt, vor Rührung über sich selbst bzw. seine Familie in Tränen auszubrechen – charakterlich ist das drei Stufen tief unter dem Keller. Da fällt dieser mit jeder Minute unangenehmer werdende Maschinengewehrsprech schon gar nicht mehr auf gegen das Maß an Selbstüberschätzung, darüber, was man der Welt so emotional überfrachtet glaubt sagen zu dürfen.
Eva Quadbeck findet die Idee eines Immunitätsausweises nicht gut. Aber nur, weil es noch keine verlässlichen Tests gibt. Ansonsten findet sie es durchaus nachdenkenswert, schließlich hätte der Gesundheitsminister diese Idee doch an den Ethikrat gegeben.
Dann zu später Stunde noch einmal Kulissenwechsel: Karl Lauterbach (SPD) gegen Christian Lindner (FDP). Die Socken sind – soviel Zeit muss sein – bei beiden lang genug, nackte Beine gibt es hier nicht zu sehen. Lauterbach will die nationale Antwort und nicht die der Länder, wenn es während der Lockerungen mehr Infektionen gibt als erwartet. Lindner ist positiver. Er will eine andere Krisenpolitik, die aktuellen Lockerungen kämen zwar spät, aber wären richtig.
Lauterbach meint zu wissen, dass 98 Prozent der Bevölkerung noch nicht infiziert seien. Er hofft aber, dass es den meisten erspart bleibt, bis eine Impfung kommt. Das diese dann per Zwangsnadel verabreicht werden könnte, ist für ihn offensichtlich so selbstverständlich, dass er es nicht einmal erwähnen mag.
Lindner möchte nicht nur nach Italien schauen, sondern jetzt auch nach Schweden. Er erinnert an die Folgeschäden der Beschränkungen der Bewegungsfreiheit, verschobene Operationen usw.. OK, Lindner ist ambitioniert, aber es wirkt doch alles zu arg einstudiert. Lauterbach ist hier im Vorteil, er wird einfach schon viel länger als Gesundheitsexperte verkauft. Also gelingt es ihm besser, das schwedische Modell zu kontaminieren.
Bemerkenswert hier seine wirklich abstruse Behauptung, die Schweden würden ihre älteren Menschen opfern, damit die Cafés geöffnet bleiben können. Soviel Unfug muss man sich trauen. Lindner glaubt nicht, dass die schwedischen Sozialdemokraten alle Unmenschen seien. Lauterbach möchte an der Stelle keine Parteipolitik. Und er will auch nicht, dass dieses Corona am Ende so behandelt wird, als sei es nur eine Grippe gewesen.
Christian Lindner hat dann noch einen Satz zur Corona-Verschuldung mitgebracht, der hier nun ein Schlusswort sein soll, obwohl noch gar nicht ganz Schluss ist: „Es ist nur aus der Zukunft geliehen, über Schulden aus der Gegenwart. Das ist nicht Geld von Frau Merkel, Herrn Scholz oder sonst wem.“ Eine Verbalrakete, die ein paar Sekündchen lang puff und paff macht. „Puff und Paff.“