Tichys Einblick
neue Stufe der Talkshow-Kunst: Fühlen

Bei Lanz nur Jubel über Panzer-Lieferung

Neues Jahr, neuer Lanz, alte Masche. Nach der Winterpause dreht der Altmeister der abenteuerlichen Debatte immer kleinere Pirouetten. Jüngster Akt: nur Jubel über die Lieferung der Leoparden. Von Michael Plog

Screenprint: ZDF / Markus Lanz

Deutschland liefert Leopard-Panzer in die Ukraine. Nun also doch. Die Nachrichten-Bombe des Tages ist auch bei Markus Lanz Thema des Abends. Doch die brennendste Frage, die den Moderator interessiert, ist allen Ernstes: „Seit wann wussten Sie Bescheid, Herr Roth?“. Der SPD-Funktionär antwortet mit einem möchte-gern-viel-sagenden „Ich spüre das“. – Und damit herzlich willkommen auf einer neuen Stufe der Talkshow-Kunst. Es geht die Showtreppe immer weiter hinab. Wir wissen nicht, aber wir fühlen. Aber fühlen alle gleich?

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In solchen Sendungen sucht der Zuschauer Rat auf drängende, beängstigende Fragen. Die Fragen aller Fragen ist ohne Zweifel: Eskaliert jetzt der Krieg? Wird Putin die Deutschen nun endgültig als Kriegsteilnehmer ansehen und die Drohungen seiner Propagandisten wahrmachen und zur Bombe greifen? Welche Gefahren folgen daraus? Könnten demnächst deutsche Soldaten sterben, wenn möglicherweise Deutschland selbst zum Ziel russischer Angriffe wird? Und wie steht es eigentlich um die Diplomatie, dieses scheue Geschöpf? Das sind die Sorgen, die viele Menschen umtreiben.

Keine, wirklich keine dieser Fragen wird an diesem Abend auch nur angerissen. Der Meinungskorridor im Hause Lanz hat Tiny-House-Niveau erreicht. Alles ist bis zur Unkenntlichkeit verengt, doch die Gäste fühlen sich wohl. Denn nur so fühlen sie sich wohl. Widerspruch ist in dieser Runde der Einigen nicht zu erwarten. Wie kuschelig. Wie öde. Die Fragen aber bleiben.

Was war alles geschehen an diesem Dienstag, was wäre eine kritische Debatte wert gewesen? Der ukrainische Diplomat Andrij Melnyk nennt die Putin-Anhängerin und Linken-Politikerin „widerliche Hexe“, er begrüßt die Leo-Lieferung, fordert nun auch noch Kampfjets und Kriegsschiffe. Die Lage eskaliert. Gibt es eine Bremse? Doch bei Lanz? Da bestätigt SPD-Mann Roth: „Ohne die USA hätte die Ukraine längst verloren, ohne die USA stünden wir blank da“, sagt Roth. Das stimmt. Seine Partei hat maßgeblich mitgeholfen, die Bundeswehr zu beschädigen und die deutsche Rüstungsindustrie gleich mit.

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Deutschland hat sich darauf verlassen, dass die USA schon einspringen werden und Deutschland bei Bedarf schützen. Aber möglicherweise erfolgt das zu Bedingungen des Mächtigen, nicht zu denen des Beschützten. Roth darf in einer langen Laudatio offenlegen, wie anhänglich ein deutscher Sozialdemokrat gegenüber den USA mittlerweile sein kann. „Ich bin Präsident Biden sehr dankbar dafür, dass er diese Solidarität mit Europa aufbringt, und dass er uns dabei hilft, dass wir wieder zu friedlichen und stabilen und sicheren Verhältnissen in Europa kommen.“ Niemand widerspricht. Da setzt Roth noch einen drauf: „Danke, Präsident Biden!“, posaunt er voller Inbrunst. Und man spürt seine Enttäuschung, dass kein Studio-Publikum da ist, das bieder-brav klatscht. Als Donald Trump noch das 2-Prozent-Ziel und eigene deutsche Verteidigungsanstrengungen eingefordert hat, klang das anders.

Für die Journalistin Ulrike Herrmann, als Wirtschaftskorrespondentin der taz seit jeher eine vehemente Verfechterin von Sozialismus, Enteignung, Schrumpfung und Kommunismus, kurz dem gesamten anti-amerikanischem Programm, ist die Leo-Lieferung gar „ein sensationeller Erfolg“. Weil die USA nämlich nun auch selbst Abrams-Panzer liefern würden. Das habe Scholz mit seiner abwartenden Haltung den Amis abgetrotzt, und das sei „unheimlich schlau“. Aber wieso abgetrotzt? Wo doch die USA, siehe Roth, ohnehin die ukrainische Front erst ermöglicht haben? Die schnellen Wendungen deutscher Talk-Show-Gäste ist schon erstaunlich.

Auch der Sicherheits- und Waffenexperte Christian Mölling kann vor Freude kaum an sich halten. „Wir alle“ – wer immer das auch sein mag – seien „glücklich, dass die Ukraine die Waffensysteme bekommt.“ Dass die Hälfte der deutschen Bevölkerung dies als Unglück sieht – geschenkt. Der Jubel der einen Seite ist die Sorge der anderen. Immerhin: Der russische Autor Dmitry Gluchovski überrascht mit einer steilen These, warum Putin den Krieg überhaupt angefangen habe: „Die Gründe sind nicht außenpolitisch, die sind innenpolitisch.“ Auch hier wäre es notwendig gewesen, nachzufragen – folgt auf Putins militärische Intervention wirklich eine Friedenstaube? Nachfragen aber gibt es nicht.

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Ein zweifelsfrei wahrer Satz fällt an diesem Abend dann doch noch: „Niemand hier“, sagt Roth, „kann für sich in Anspruch nehmen, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben.“ Selten wurde eine Runde bei Lanz treffender beschrieben. Deshalb werden übrigens Debatten geführt: Um im Austausch der Argumente klüger zu werden, die Tragfähigkeit eigener Überlegungen zu prüfen. Debatten unter Gleichgesinnten tragen wenig zur Produktion von Wissen bei – aber viel zur Selbstbestätigung.

Fazit des Talks bei Markus Lanz: Die Verengung des Meinungskorridors trägt wenig zum Fortschritt bei und wird streckenweise zur Belastung für den Intellekt des Zuschauers. Wie mit einem Strohhalm sucht die Runde den Himmel ab. Mit Einspielern zeigt Lanz „die unglaubliche Brutalität der Russen“ und, „wie grauenvoll das gerade ist“. Krieg ist immer böse. Immer tödlich. Immer voller Lügen. Auf allen Seiten. Dass ausgerechnet in einer solchen Sendung wie Lanz über Propaganda-Sendungen im russischen Fernsehen gespottet wird, entbehrt nicht einer gewissen Tragikomik. Die beschworenen Werte des Westens jedenfalls erfordern eine breitere Debatte.

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