Tichys Einblick
RKI-Files müssen warten

Bei Lanz: Die Kunst der politischen Kommunikation

Alles ist eine Frage der Kommunikation. Egal, ob es um den Wahlkampf in den USA oder die Sicherheitspolitik im Nahen Osten geht – ein Politiker muss vor allem eines können: reden. So wie Joachim Gauck im Sessel bei Markus Lanz.

Screenprint ZDF / Markus Lanz

Eine langjährige Tradition: Bei Markus Lanz ist am Dienstabend wie jeden Sommer der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck zu Gast. Diesmal mit Blick auf 75 Jahre Grundgesetz. Als einziger Gast ist ihm die Ehre zuteil geworden, über das Alter, die Wahlen in Amerika und über Verständigungs- und Sicherheitspolitik zu philosophieren.

Für Joachim Gauck kein Hexenwerk, er redet gern und viel – auch über sich selbst. Lanz und Gauck betrachten in der Talkshow politische Herausforderungen rund um den Globus, aber auf die RKI- Files kommen weder Lanz noch Gauck zu sprechen. Vielleicht hat Gaucks Bezeichnung für Impfgegner – „Bekloppte“ – nicht in das Bild der politischen Kommunikation gepasst.

„Ab wann ist man alt?“

Lanz und Gauck kennen sich gut, da darf es auch persönlicher werden. Lanz fragt den Bundespräsidenten a. D. deswegen direkt: „Ab wann ist man alt?“ und „Wären Sie noch jung genug gewesen für eine zweite Amtszeit?“ Gauck glaubt, dass er noch fähig gewesen wäre, aber er „wollte [damals] nicht Gott versuchen“. Der 84-Jährige ist drei Jahre älter als der US-amerikanische Präsident Joe Biden und muss auf die Nachfrage von Lanz nur seufzen.

Es ist wohl einfach nicht mehr möglich, die Altersschwäche des US-Präsidenten zu leugnen, trotzdem versuchen Gauck wie Lanz, die Politik von Biden in den Himmel zu loben. Lanz hat zusätzlich seine Redaktion losgeschickt, um den republikanischen Gegner Donald Trump seines fortgeschrittenen Alters zu überführen. Es werden sieben Versprecher aufgezählt und Diagnosen von „mentaler Instabilität“ – aber das ändert nun mal nichts daran, dass die Medien mit dem immer schlechter werdenden Gesundheitsstatus von Joe Biden Blinde Kuh gespielt haben. Wie im Fall der RKI-Files.

Alles eine Frage der Kommunikation

Gauck weiß, dass Trump seinen Erfolg hauptsächlich durch „ein Element kommunikativer Präsenz“ erreicht. „Wir hatten da einen gewissen Typ und den nannten die Deutschen Führer und der hatte eine Gabe medialer Präsenz.“ Da ist sie wieder, die Verharmlosung und das zwanghafte Vergleichen von Trump mit Hitler. Und damit baut Lanz dann eine Brücke von den USA nach Deutschland.

Wie sieht es denn mit unserem Kanzler und der Kommunikation aus, hakt er nach? Auch hier muss Gauck eingestehen: „Da befinden wir uns in einem work-in-progress, würde ich mal gutwillig sagen.“ Er glaubt, „einen norddeutschen Typ wie ihn, wird man nicht grundsätzlich verändern“. Ob das ein Argument ist, dass die enttäuschten Wähler besänftigt? Wohl kaum.

Abschiebung im großen Stil

Dass die Deutschen den „rechtstreuen Politikern“ einen „Vertrauensbonus“ schenken, mag von Vorteil sein, doch „irgendwann entsteht ein Defizit“, so Gauck. „Ich nenne mal ein berühmtes Beispiel: ‚Wir schaffen das.‘“ – Es wurde nicht kommuniziert, was und wie wir es schaffen. Er führt das Beispiel weiter aus: „Wenn dieses Defizit nicht bearbeitet wird, dann finden sich welche, die das tun.“ Wenn Scholz also von Abschiebungen in großem Stil spricht, aber nicht über die genauen Vorgänge, dann können Politiker es sich leicht verspielen, meint Gauck.

Das Ergebnis: Wähler wählen rechtsaußen. Man könnte es aber auch umschreiben als das Ergebnis des eigenen Versagens. Oder wie Lanz fassungslos Saskia Esken fragen würde: „Ihr Kanzler sagt: ‚Wir schieben im großen Stil ab‘ und Sie sitzen dann hier und sagen: ‚Wir sind nicht zuständig‘?“

Politische Kommunikation im Nahen Osten

Dass besonders die misslungene Zuwanderungspolitik von 2015 und deren Folgen das Vertrauen der Bevölkerung erschüttert hat, ist zweifellos. Auch das Schweigen über „schlimmste Übergriffe gegenüber weiblichen Menschen aus Zuwandererfamilien“ oder „über einen massenhaft vorkommenden Antisemitismus“, also „indem man die Brüche der Wirklichkeit semantisch überdeckt, verliert man Vertrauen“, sagt Gauck.

Wie er „die Sprechfähigkeit der deutschen Regierung in Bezug auf Israel und Gaza“ empfindet, fragt daraufhin Lanz. Gauck findet klare Worte: „Ich habe immer wieder meiner Überzeugung Ausdruck verliehen, dass wir Deutsche das allerletzte Land sein dürfen, dass die Solidarität mit Israel verlässt.“

Was dann folgt, ist ein langwieriger Prozess, in dem die ostdeutsche Vergangenheit psychoanalytisch aufgearbeitet wird. Wie soll es nun weitergehen? Im Osten sind bald Wahlen und die CDU, die AfD und das BSW machen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk Sorgen. Doch erstmal können Markus Lanz und Joachim Gauck durchatmen – denn sie haben bald Urlaub. Und mit 1,9 Millionen Euro Gehalt kann sich Lanz bestimmt ein wenig Entspannung leisten. Aber heute Abend geht es erst einmal mit dem Thema Meinungsfreiheit weiter – die RKI-Files müssen wohl noch warten.

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