Tichys Einblick
Zur deutschen Wirtschaft

Bei Illner: Nicht die Lage ist dramatisch schlecht – die Zahlen sind es

FDP-Parteichef Lindner und Grünen-Parteichefin Lang kommen zwar aus „unterschiedlichen Denkschulen“ (Ricarda Lang), aber die Abschlüsse werden wohl gegenseitig anerkannt.

Screenprint: ZDF/illner

Der Kelch wollte trotz allen Flehens nicht an uns vorübergehen, und so saßen wir wieder mal vor Maybrit Illners Runde im Zweiten Deutschen Fernsehen und harrten der Antworten auf die Frage „Wirtschaft vor dem Absturz – Ampel ohne Kurs?“.

Eingedenk all der Berichte der letzten Tage und Wochen müsste die Antwort kurz und einfach „Ja“ lauten, aber die Gäste der Sendung hatten da eine ganz andere Meinung. Der bedeutendste Mann in der Runde war, schon von Amts wegen, Finanzminister Christian Lindner von der FDP. Und wieder einmal stellt sich dem erstaunten Zeitgenossen die Frage, warum der Lindner seinerzeit bei seinem ausgeprägten Redetalent aus seiner eigenen Firma Moomax GmbH „zur Sicherstellung der Handlungsfähigkeit des Unternehmens“ expediert werden konnte.

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Schon nach wenigen Minuten konnte keinerlei Zweifel mehr bestehen: Wir brauchen lediglich etwas mehr Wachstum, eine effizientere Bürokratie und „nicht immer neuere Subventionen“, um „gemeinsam mit unseren europäischen Partnern“ alle gegenwärtigen Finanzprobleme ratzfatz zu lösen.

Zu Ricarda Langs beruflichem Werdegang und ökonomischer Kompetenz verlangt der Vorgriff auf das geplante Regierungsmitglieder-Verhöhnungsgesetz an dieser Stelle eisernes Schweigen. Die Grünen-Chefin würde die finanzielle Knappheit des Staates durch „andere Möglichkeiten der Finanzierung“ lösen wollen, etwa durch Schattenhaushalte („Sondervermögen“) oder dadurch, die Schuldenbremse zu „reformieren“.

Prof. Dr. Dr. hc Clemens Fuest ist ein Ökonom ersten Ranges, ifo-Chef, und trotzdem in der Lage, sich sehr allgemeinverständlich auszudrücken. Angesichts des ambitionierten Ansinnens, 50 Milliarden für die Bundeswehr aus dem Haushalt zu stemmen, ohne Einschränkungen im sozialen Bereich, brachte Fuest auf die Formel: Butter u n d Kanonen geht nicht. Zudem verzeichne die Wirtschaft bereits Vollbeschäftigung, wo sollen die Mehreinnahmen dann kommen? Vor allem beklagt der Ökonom die fehlende Glaubwürdigkeit der Politik. Erst sagen, alles super, dann kürzt man den Bauern die Subventionen, schaffe kaum Vertrauen.

Bei der Phrasenproduktion macht unserer Regierung niemand etwas vor. Wen bei einem „Wachstumschancengesetz“ nicht Zuversicht ergreift, muss schon ein Berufsdefätist sein. Oder ein Unternehmer, wie der vierte Gast der Sendung, Bertram Kawlath, Vizepräsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. und geschäftsführender Gesellschafter eines Maschinenbauers aus Ingolstadt. Das Chancengesetz sei „gut gewollt, es steht nicht viel drin, aber selbst dieses Bonsai-Gesetz kriegen sie nicht hin“.

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Was ein wenig nach dem Beginn eines Streits klingen könnte, war mitnichten als solcher gemeint. Überhaupt scheint sich die Illner-Sendung geändert zu haben. Was wurde aus Drei gegen Einen? Ist Harmonie die neue Hetze?

Ja, sicher, „wir kommen aus unterschiedlichen Denkschulen“ (Ricarda Lang), aber sie und Lindner wollen beide die „Wirtschaft bei der Investierung unterstützen“ (wieder Lang). Das alte Thema Technologie-Offenheit kam nicht zu kurz, Steuern natürlich – Lindner denkt an Änderung beim „Soli“ für Firmen, Lang meint, auf der ifo-Wunschliste der Unternehmen stehe der Wunsch nach Steuersenkung erst auf Platz 5, sei also zu vernachlässigen.

Wie viel Zeit haben wir noch, angesichts der Pleite- und Entlassungswelle?, wollte Illner dann kokett von Fuest wissen. Der zählte noch mal kurz auf, dass der Wohnungsmarkt kollabiert, dass Vertrauen fehlt, dass die Taxonomie-Verordnung der EU Investitionen behindere, aber, so fassen wir zusammen: Die Lage ist ernst, aber nicht besäufniserregend.

Unternehmer Kawlath lobte noch einmal ausdrücklich Lindner für den Abschuss des EU-Lieferkettengesetzes, der sich mit einer Anekdote bedankte, die zeigt, dass die Blödheit des EU-Parlaments ganz eigene Geschäftsmöglichkeiten in der Welt eröffnet. So habe ihm die Juristin einer Law-Firm erzählt, in den USA hätten sich bereits Großkanzleien darauf vorbereitet, deutsche Mittelständler auf Grundlage des nicht einzuhaltenden EU-Lieferkettengesetzes zu verklagen, ein Milliardenmarkt und weiterer Todesstoß für das Deutschland-Kombinat.

Übrigens. Wer nach der Aussage des FDP-Generalsekretärs Dijr-Sarai schon von einer eher bürgerlichen Koalition – „da müssten wir nicht jedes Mal die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft erklären“ – geträumt haben sollte, dürfte nun aufgewacht sein. Nix da, sagte Lindner, schließlich wüssten auch seine grünen Kollegen, dass wir „weg vom Verteilen hin zum Verdienen“ gehen müssten. Er habe zudem einen „deutlich kritischeren Blick auf die CDU/CSU als mein Generalsekretär“.


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