Kein Tag soll vergehen, an dem die treuen Illner-Zuschauer nicht aufs Neue immer die gleichen Argumente vorgekaut bekommen. Dieses Mal hat man das Thema unter dem Motto „Virus ohne Grenzen – verliert Europa die Kontrolle?“ etwas aufgepeppt, etwas internationaler und exotischer gemacht. Es scheint jedenfalls gut zu wirken – laut Polit-Barometer, das direkt vor Illner dran kam, finden nur 14% der Befragten die aktuell geltenden Corona-Maßnahmen übertrieben (die Zahl ist um 4% gesunken). Gestiegen auf 56% ist dagegen die Zahl derjenigen, die die aktuellen Maßnahmen gerade richtig finden – gleich geblieben ist mit 28% der Anteil derer, die sich härtere Maßnahmen wünschen. Vielleicht hat das ZDF die Umfrage aus Versehen unter seinen Mitarbeitern gemacht – einem Publikum, dass sich jede Woche Illner anschaut, auch wenn die seit Monaten nur ein Thema kennt, kann man allerdings auch alles zuzutrauen.
Diesem Publikum wurde gestern Abend wieder mal der gute alte Wirtschaftsminister Peter Altmaier vorgesetzt. Der hat seinen Posten trotz der Merzattacke behalten dürfen, auch wenn er ihm nicht so wirklich am Herzen zu liegen scheint – zur Lage der deutschen Wirtschaft hat er kein Wort verloren, auch wenn die nicht gerade rosig aussieht. Christian Lindner war auch da. Von ihm kam das Übliche an möglichst vager, halbherziger Kritik: der Impfstoff ist „zu wenig, zu langsam bestellt worden“ und im Bezug auf den Impfgipfel fehlt der Regierung die richtige Einstellung. Der Sunnyboy grinste und zwinkerte fast, als er der Regierung dringend empfahl, sich die Frage zu stellen „Was können wir genau tun?“.
Na Mensch, was täten wir bloß ohne ihn in der Opposition. Vielen Dank für das Spirit-Coaching, aber auf den Gedanken wäre man vielleicht sogar ohne ihn gekommen. Lindner ist der optimale Gast bei Illner: Es sieht so aus, als gäbe es Debatte und Kritik, und wenn die Sendung vorbei ist, realisiert man, dass kein einziger echter Kritikpunkt vorkam.
Lediglich als es darum geht, Firmen zu verstaatlichen und zum Impfstoff-Liefern zu zwingen, widerspricht der Liberalenchef zaghaft – immerhin.
In Frankreich zum Beispiel würde es mit dem Impfen auch nicht klappen. Gut, da wir in Deutschland sind und die Politiker in Frankreich nicht gewählt haben und deren Versagen unseres nicht besser oder schlechter macht, ist es vielleicht verständlich, dass wir uns vorwiegend um Deutschland sorgen. Aber der Herr Cohn-Bendit hat damit eigentlich nur das erfüllt, wofür er eingeladen wurde – die Situation hier im Vergleich zu anderen Ländern zu relativieren. Er bringt das große Regierungsrehabilitieren in Schwung, als er den gewünschten Tenor der Sendung auf den Punkt bringt: „Schuld ist nicht die Europa-Unfähigkeit. Schuld ist das Virus.“
Einmal sagt er dann aber doch, dass er mit 75 gerne geimpft werden würde und der Altmiaer, der solle ihm das Zeug besorgen und mal „spuren“.
Jamaika lebt!
Aber der Grüne war mit Horrorstorys aus anderen Ländern nicht alleine. Er hat Verstärkung von der deutsch-amerikanischen Politologin Cathryn Clüver Ashbrook und der Leiterin des ZDF-Studios in London, Diana Zimmermann. Die beiden wurden für ein paar Minuten zugeschaltet, um zu erklären, warum ein besserer Impfverlauf auch nicht besser wäre.
Amerika und Großbritannien stehen beim Impfen beide besser da – und das obwohl da ja die schlimmen Finger Donald und Boris am Ruder waren. Das passt nicht ins Bild für das ZDF und deshalb schildern Clüver Ashbrook und Zimmermann von Chaos und Versagen in den jeweiligen Ländern, damit auch ja kein Zuschauer auf den Gedanken kommt, dass Trump vielleicht etwas besser gemacht hat als Merkel. Ohne Rücksicht auf Verluste wird eine Horrorgeschichte über das desolate amerikanische Gesundheitssystem nach der anderen ausgepackt.
Zusätzlich wurde dann die deutsch-italienische Journalistin Tonia Mastrobuoni zugeschaltet, um von der noch chaotischeren Lage in Italien zu berichten – und im Anschluss in großen Lobgesang auf die „europäische“ Solidarität auszubrechen.
Dann geht es noch ein wenig um die Probleme bei der Impfstoffbeschaffung und ob man die Konzerne denn nicht zum Liefern an die EU zwingen könnte. Die Debatte kürzt Cohn-Bendit wieder mal genial ab: „Solange wir nicht die Welt geimpft haben, werden auch wir nicht sicher sein“. Also ist ja auch egal, wieviel wer hat. Nur die große proletarische Weltvakzination kann Abhilfe schaffen.
Irgendwann ist die Debatte so einig darüber, dass die EU die Antwort auf alle Fragen ist, dass selbst Illner baff ist. Cohn-Bendit verkündet glücklich die CDU-Grüne-FDP-Allianz, die würden ja ohnehin alles mitmachen. Jamaika lebt!
Egal was die bösen Zahlen und Fakten sagen – das Bild vom unfähigen Boris und dem unmöglichen Donald ist wieder hergestellt. Und ja in Deutschland läuft es nicht optimal – aber das liegt nur daran, dass wir eben so tolle „Europäer“ sind. Wir hätten natürlich alles besser machen können, aber das wäre unsolidarisch gewesen. Also seid wieder ruhig und hört auf zu zweifeln. So richtig überzeugend wirkte der Gruselkarneval der Kulturen bei Illner aber nie.