Tichys Einblick
Schuld haben immer die anderen

Bei Illner findet Söder auf einmal: „Wir leben nicht in China, wir können nicht einfach verordnen und befehlen“

Bei Illner überbieten sich Habeck und Lindner dabei, die Regierung anzugreifen, nicht mal der Spiegel steht mehr hinter Merkel - und Markus Söder versucht nur den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Die Lockdown-Wärter sitzen in der Falle.

Screenshot ZDF. Maybrit Illner

Bei Illner waren alle Parteien des Regenbogens zugegen: Und Söder, Lindner, Habeck und Schwesig waren alle auf ihre Art in Kampfstimmung. Vor kurzem ging es noch darum, wer am besorgtesten um jede einzelne Oma der Welt ist, doch die Zeiten haben sich geändert. Frühlingsgefühle machen auch vor Politikern nicht halt und jetzt lautet die Devise: Lockern und zwar so schnell wie irgend möglich. Und: Wir wollten das ja schon immer! Nur nach dem letzten Gipfel sieht es erstmal nicht nach vielen Freiheiten aus, selbst wenn man wollte. Wer ist schuld? Selbst wenn die anwesenden Politiker allesamt unterschiedliche Parteien vertraten, waren sich sich doch in einem einig: Schuld haben immer die anderen.

Heft 03-2021
Tichys Einblick 03-2021: Es reicht.
Am interessantesten finden Sie jetzt wahrscheinlich Markus Söder, den Ministerpräsidenten von Bayern. Ich kann Sie verstehen, jedes Mal wenn man sein unverkennbares Gesicht im Zusammenhang mit Corona sieht, hat man die schaurige Erwartung, dass er gleich einen Gewittertanz aufführt und dabei Flugzeugladungen von Toten heraufbeschwört. Aber so war Söder gestern gar nicht drauf, er war gestern der Wahlkampfmarkus. Und das heißt, es fielen Sätze wie „Wir leben nicht in China, wir können nicht einfach verordnen und befehlen“. Aaaaach sooooooo ist das also. Hätte das mal nur jemand früher gewusst, dass wir hier nicht in China sind.

Bis vor kurzem wirkte er doch noch wie der Pressesprecher von Xi Jinping persönlich – aber das hat er wohl vergessen und will vor allem, dass Sie das vergessen. Auch, dass Fehler gemacht wurden, weist er von der Hand. Auf die Frage von Frau Illner, ob man denn mit besserer Organisation noch mehr Leben hätte retten können, antwortet er sinngemäß, dass es dahingehend nichts gibt, was man hätte besser machen können. Er versucht den ganz großen Spagat. Einerseits sagt er immer Dinge in der Richtung: „Unsere Politik war super, es gibt nichts was man ändern könnte“ und andererseits „Es muss jetzt alles anders werden, ich war ja schon immer für Lockerungen“.

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Das meiste sind nur die üblichen leeren Floskeln, er versucht so zu tun, als hätte er alles unter Kontrolle – hat er aber nicht. Das fängt schon mit der Internetverbindung an. Vielleicht strahlt die Digitalisierungskönigin Doro Bär eine negative Aura aus, jedenfalls haben sämtliche CSU-Politiker immer wieder ein Verbindungsproblem. Das führte schon fast dazu, dass Söder und Illner sich in die Wolle kriegten, denn alles was im Studio geschah, kam bei Söder immer etwa fünf Sekunden später an. Sie redeten immer wieder aneinander vorbei und übereinander hinweg, Illner wurde sichtlich genervt. Söder reagierte, so schlecht es nur ging, und zickte Illner an. Das dürfte bei den Zuschauern nicht gut angekommen sein.
Lindner & Habeck – ein Herz und eine Seele 

Die Vorzüge die es hat, in der Opposition zu sein, konnten Habeck und Lindner voll auskosten, denn mit Schadensbegrenzung mussten sie sich nicht aufhalten. Sie konnten munter drauflos kritisieren. Dabei wollten sich die beiden anscheinend gegenseitig übertrumpfen im Wettkampf um den Titel „Wer kritisiert die Regierung am meisten“. Das nahm sehr schnell solche Ausmaße an, dass ich nicht mehr einschätzen konnte, ob ich da gerade einen Zickenkrieg oder das typische Szenario  „Was sich neckt, das liebt sich“ beobachte. Mein Fazit: ein bisschen von beidem.

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Das fing an mit dem Thema Impfung. Da war Lindner im Grunde der Ansicht, dass Corona an Gefährlichkeit verloren hat, weil wir die Risikopatienten durchgeimpft haben. Habeck dagegen findet, dass noch nicht mal annähernd genug geimpft wurden. Lindner fordert Habeck auf, Zahlen zu nennen, Habeck fordert Lindner zurück auf – beide werfen sich dann in der Manier „Ich weiß es, aber sag du zuerst“ Zahlen um die Ohren. So läuft das zwischen den beiden Turteltäubchen den ganzen Abend über. Irgendwann spielt Lindner dann den Mann in der Beziehung und sagt ein Machtwort: „Du wirst mich nicht überbieten, bei der Kritik an der Bundesregierung!“ Danach war Habeck mehr oder weniger sprachlos. Der Ansatz der beiden war gut, weil es endlich mal Diskussion und Kritik gibt, allerdings hätte die Regierung mehr einstecken müssen, wenn die beiden nicht die meiste Zeit mit sich selbst beschäftigt gewesen wären.

Erfreulich war trotzdem der verschobene Konsens, so dass das Wort Verschärfung nicht einmal in den Mund genommen wurde. Es war eben alles etwas anders diesmal: Grießgram Lauterbach wurde gegen Streeck als Experte ausgetauscht, der ein anderes Stufenkonzept vorschlägt, das auf Hygienekonzepten statt auf Branchenverboten basiert. Selbst die Spiegel-Journalistin Melanie Amann traut sich aus ihrem Versteck, wagt sich sogar so weit vor, dass sie kritisiert, dass die Ministerpräsidenten tatsächlich immer noch auf die Zustimmung der Kanzlerin Rücksicht nehmen, obwohl die in den Ländern doch gar keine Zuständigkeit hat. Selbst der Spiegel gibt Merkel mittlerweile also zum Abschuss frei.

Als Kirsche auf der Torte kommt dann der Schauspieler und Indentant des Berliner Schlosspark-Theaters Dieter Hallervorden. Er wickelt alle endgültig mit Öffnungsfantasien um sämtliche Finger und hält ein flammendes Plädoyer für die Kultur. Schließlich fragt er, wer das 13-Seitige Beschlussdokument des Corona-Gipfels geschrieben habe – er würde sofort versuchen, den als Kabarettautor zu gewinnen. Und damit ist eigentlich auch alles gesagt.

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