Maybrit Illner ist zurück – nach ihrer Corona-Infektion empfängt die Namensgeberin der Sendung ihre Gäste wieder selbst im Studio. In einer illustren Runde will die Talkmasterin über den Ukraine-Krieg und Deutschlands Hilfe für Kiew sprechen. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), Oberst a.D. und Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter (CDU), Welt-Redakteur Robin Alexander, BDI-Präsident Siegfried Russwurm und Sicherheitsexpertin Jana Puglierin diskutieren mit – auch dabei ist Luisa Neubauer, als „Klimaaktivistin und Grünen-Mitglied“. Bereits im Vorfeld rief Neubauers Einladung in die Sendung Spott in den sozialen Netzwerken hervor. Was hat eine Klima-Aktivistin zu geostrategischen und -politischen Diskussionen beizutragen?
Welt-Journalist Robin Alexander will die Frage nach der historischen Verantwortung stellen. „Putin hat das, was er jetzt tut, schon einmal getan. Nämlich in Syrien.“ Deutschland, Europa – der Westen habe nichts getan und weiter mit Putins Russland Geschäfte gemacht. „Die Ukrainer haben wirklich auf den Fußmatten des deutschen Regierungsviertels gewinselt und zwar nicht erst seit Wochen, sondern seit Jahren.“ Die Erfolge der Ukraine könne Deutschland sich nicht ansatzweise zu eigen machen – „Wenn die Ukraine sich auf uns verlassen hätte, hätte Putin wahrscheinlich schon gewonnen.“
Verteidigungsministerin Lambrecht ist aus den USA zugeschaltet. Sie widerspricht dem Eindruck, den Alexander erweckt. „Das, was Deutschland leistet, wird hoch geschätzt“, hält sie dagegen. Illner fragt die Ministerin nach den deutschen Waffenlieferungen. „Ich werde auch in Zukunft nicht über Waffenlieferungen sprechen“ – das wäre ein Sicherheitsrisiko. Transporte würden zu Zielscheiben, wenn sie öffentlich darüber rede, meint Lambrecht. „Wir liefern konsequent“, versichert sie und erklärt, über 80 Millionen Euro an militärischem Equipment seien bereits aus Deutschland an die Ukraine geliefert worden.
Robin Alexander lächelt sarkastisch. „Wenn wir als Journalisten uns erkundigen, ob die Bundeswehr Waffen liefert, wollen wir doch nicht die Routen beschreiben! Wir sind doch nicht verrückt!“ Lambrecht betreibe „Nebelkerzen-Kommunikation“ und tue so, als müsse man Art und Umfang der Lieferungen aus Sicherheitsgründen geheim halten. In Wahrheit sei „wochenlang gar nichts passiert“, kritisiert der Welt-Journalist. „Wenn man die Ukrainer fragt, sind die gar nicht zufrieden.“ Die Ukraine habe kurzerhand selbst in Deutschland eingekauft, weil die Lieferungen aus dem Verteidigungsministerium auf sich warten ließen.
Auch Politikwissenschaftlerin Jana Puglierin widerspricht Lambrechts Schönrederei. „Vielleicht setzt das den deutschen Beitrag in die Perspektive“, meint die Sicherheitsexpertin: Estland habe Waffen im Wert von 220 Millionen Euro geliefert und die USA gäben eine Summe von 800 Millionen Euro an. „Ich hätte mir ein deutlich beherzteres Vorgehen Deutschlands gewünscht.“ Sie verstehe viele Bedenken bei Waffenlieferungen, beispielsweise die Debatte über die Übergabe von Nato-MiGs an die Ukraine, meint Puglierin. Dennoch seien Waffenlieferungen die „Lebenslinie“ der Ukraine. „Die Ukraine kämpft so erfolgreich, weil sie die Waffen bekommt – und sie ist darauf angewiesen, dass wir sie weiter unterstützen.“ Deutschland könne noch mehr tun, beispielsweise mit Luftabwehr-Systemen.
CDU-Politiker Kiesewetter fordert, den Bezug von russischem Gas über die Pipeline Nord Stream 1 zu stoppen, und bringt damit die Schuldfrage, die Robin Alexander die Frage nach „historischer Verantwortung“ nannte, wieder auf den Tisch – und in die Gegenwart. Zusätzlich zu historischen Versäumnissen finanziere die EU Russland durch Importe jeden Tag mit 700 Millionen Euro. Geld, das auch in den Krieg fließe. „Wir unterwandern unsere eigenen Sanktionen“, pflichtet Puglierin bei. Dass man die Bundeswehr jahrelang als, wie Kiesewetter formuliert, „finanziellen Steinbruch“ missbraucht und sträflich vernachlässigt habe, erkennt die Runde als weitere Frage von „historischer Verantwortung“. Alexander benennt „politische Fehlentscheidungen“, hofft auf tiefgreifende Veränderungen. Auch Kiesewetter spricht davon, dass vieles „hoffentlich anders“ werde.
100 Milliarden Euro seien viel Geld – könne man das nicht für etwas anderes, implizit Besseres ausgeben? Das fragt Illner dann Luisa Neubauer, die so auch wieder in die Diskussion kommen kann. Die Frage will sie so nicht beantworten. Sie sei 25, betont sie – und für sie immer sicher geglaubte Grundsätze wie „Frieden in Europa“ und „Merkel macht das schon“ seien plötzlich nicht mehr gültig. „Wow, es zerbricht alles! Es fällt alles in sich zusammen!“ Neubauers Welt liegt in Scherben, und sie weiß nicht wie ihr passiert, scheint es. Doch die Klimaaktivistin fängt sich schnell wieder, als Illner eine rettende Folgefrage stellt. Sanktionen seien Belastungen für die Menschen – sorgt sie sich um den sozialen Frieden? Dieses Framing weist Neubauer von sich – man solle den Frieden in der Ukraine nicht gegen den sozialen Frieden in Deutschland ausspielen.
BDI-Präsident Russwurm warnt vor den Folgen eines Gas-Embargos. „Wir reden vom Zusammenbruch unserer Industrie, die uns durch die Corona-Pandemie gerettet hat“, sagt der ehemalige Top-Manager und erklärt erstmal so manche Zusammenhänge, die die ein oder andere Teilnehmerin vielleicht nicht ganz begreift. Neubauer unterbricht ihn – wir würden einen Kriegsverbrecher finanzieren, wiederholt sie und schneidet dem Wirtschaftsvertreter das Wort ab. Lindner sei mit seinem Gerede von erneuerbaren „Freiheitsenergien“ auf dem richtigen Weg, lobt Neubauer. Sie hoffe nur, dass Lindner noch weiterdenke und beispielsweise „ein Tempolimit für die Freiheit“ unterstütze. Man muss fürchten, dass ihre Hoffnung aufgeht.
Bis dahin sind Deutschlands Talkshows zur Ukraine weiterhin vor allem für drei Dinge gut: erstens, um die Fehler hierzulande im Umgang mit Russland zwar anzudeuten, aber dann ganz knapp doch nicht zu benennen; zweitens, um Regierungsmitglieder noch einmal ihre phänomenale Inkompetenz unter Beweis stellen zu lassen; und drittens, um der Klimabewegung einen neuen Hebel gegen die Bedeutungslosigkeit zu verleihen. – Diese Sendung hat all das grandios vereint.