Mehr Freiheit wagen? Das ist am Donnerstagabend die Frage bei Maybrit Illner. Ob es nicht längst auch Zeit sei für einen deutschen „Freedom Day“, fragt die Moderatorin ihre Gäste. Die liefern sich einen vielsagenden Schlagabtausch, an dessen Ende klar ist: Manche wollen gar keinen fixen Endpunkt der Maßnahmen.
Der Schauspieler Jan-Josef Liefers sitzt an diesem Abend mit dem SPD-Politiker Karl Lauterbach, dem Virologen Klaus Stöhr und der Ärztevertreterin Ute Teichert zusammen. Zu Beginn direkt die Diskussion eines Eklats: Die Impfquote ist um einiges höher als bisher gemeldet – bis zu 5 Prozentpunkte. Klaus Stöhr attestiert Deutschland daraufhin den Status als „Datenwüste“. Jan-Josef Liefers freut sich einfach: „Das ist doch eine tolle Nachricht“, meint er. Doch eine Impfquote von 80 Prozent ist nicht für alle ein Grund zur Freude. Natürlich ist es Lauterbach, der auf die Bremse tritt: „Wir sind noch immer nicht da, wo es möglich wäre zu sagen, wir nehmen die Masken jetzt runter.“ Selbst Christian Drosten sei für Lockerungen, wirft Illner ein, doch Lauterbach lässt sich davon überhaupt nicht beeindrucken. Die über 65-Jährigen seien „nur“ zu 85 Prozent geimpft – das sei zu wenig, meint der Bundestagsabgeordnete. Wann es denn genug sei – ab 90, ab 95, ab 100 Prozent – , vermag Lauterbach aber nicht zu sagen.
Der Virologe Klaus Stöhr kritisiert das deutsche Krisenmanagement und die Krisenkommunikation. „Dieses Vakuum sehen wir ja jetzt. 55 Prozent der Menschen glauben immer noch, dass sie sich niemals infizieren. 40 Prozent der Menschen glauben, dass die Erkrankung bei Kindern schwer ist.“ Mythen wie Herdenimmunität hätte man nicht proaktiv ausgeräumt, und einen multidisziplinären Ansatz hätte die Politik ohnehin nie verfolgt. Illner fragt den Virologen, was für ihn die Zahl der Impfquote sei, bei der man öffnen könne. Er stellt fest: „10 Prozent der Ungeimpften werden sich nicht impfen lassen.“ Nur 5 Prozent der Menschen seien für die Impfung maximal noch zugänglich. „Wie weit wollen wir das noch treiben?“
Dann äußert sich Lauterbach erneut. Er ist böse mit Liefers – was er gesagt hat, meint er jetzt ins „rechte Licht“ rücken zu müssen. Zunächst lobt er, wie gut Deutschland durch die Pandemie gekommen sei. „Ich mag es gar nicht, wenn das, was wir gemacht haben, schlechtgeredet wird.“ Doch Lauterbach muss, mit 85-prozentiger Impfquote konfrontiert, auch einräumen: „Herdenimmunität kann es nicht geben.“ Donnerwetter – das seit 16 Monaten von ihm immer erklärte Ziel mal eben so abgeräumt. Selbst Lauterbach meint, man müsse einen Endpunkt der Maßnahmen nennen – 95 Prozent Impfquote bei den über 65-Jährigen stellt Lauterbach als neue Zielmarke auf. Dass diese wahrscheinlich nicht erreichbar ist, weiß wohl sogar er.
Über 70 Minuten Diskussion über einen „Freedom Day“ zeigen am Ende eines: Manche wollen ihn aus Prinzip nicht. Liefers prägt in der Sendung das Bild einer Wurst, die man den Leuten vor die Nase hängt – Lauterbach will mit dieser Wurst immer weiter vorweg laufen, während Ute Teichert Würste generell für verrückt und falsch hält. Wann der Tag der Freiheit kommt, bleibt offen. Irgendwann zwischen bald und gar nicht wird es sein. Wahrscheinlich müssen wir einfach noch das bisschen Zeit vor uns überbrücken – wie seit 16 Monaten.