Tichys Einblick
Die Ungeimpften vor den Geimpften schützen

Lauterbach bei Illner: „Die doppelt Geimpften sind, was die Ansteckung angeht, wenig oder gar nicht geschützt“

Es ist eine bizarre Lobpreisung an der Grenze zum Personenkult, die Maybrit Illner an diesem Donnerstag unternimmt. Lauterbach lacht erstmals und ist sichtlich geschmeichelt – er phantasiert, spekuliert und fabuliert aber genauso weiter, wie man es von ihm kennt.

Screenshot ZDF: Maybrit Illner

Alle, die dachten, dass Karl Lauterbach als Gesundheitsminister wenigstens nicht mehr so oft in die Talkshows gehen würde, müssen sich auf eine weitere Enttäuschung vorbereiten. Denn Lauterbach hat nicht vor, sich in der nächsten Zeit ein anderes Hobby zu suchen. Warum auch? Schließlich hat es ihn vom Loser zum Gesundheitsminister gemacht. Er genießt die Aufmerksamkeit, das merkt man. Es ist, als würde er jetzt etwas nachholen, was er sein ganzes Leben lang nicht bekommen hat.

Denn jetzt rufen die Leute seinen Namen, er wird in alle Talkshows eingeladen, auf Twitter bettelten „die Wähler“ um seine Ernennung. Endlich ist Karl auch mal der Mann der Stunde und nicht nur der Handlanger aus dem Hinterhalt. Erst Sonntag war er „weltexklusiv“ bei Anne Will zu sehen, wie sie sich auf Twitter ausdrückte. Und um den Einstand noch mal gebührend zu feiern, ist er direkt zum zweiten Mal in Folge bei Illner. Und gebührend wird er auch wirklich gefeiert.

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Mit den Worten „Die Pandemie ist noch da, aber wir haben einen neuen Gesundheitsminister – er heißt Karl Lauterbach. Der Mann, der in den letzten Monaten manches früher und besser wusste, muss jetzt zeigen, ob er es auch besser kann“, leitet Illner die Sendung ein. Mit den Worten „Karl Lauterbach – gestern noch Gesundheitsminister der Herzen, heute echter Gesundheitsminister. Diese nächsten Wochen sind entscheidend. Sagen Sie, was werden Sie als erstes anders machen?“, stellt sie ihre erste Frage. Es ist klar, dass es sich in dieser Sendung nur um ihn dreht. Karl Lauterbach lächelt, das tut er eigentlich selten. Er fühlt sich wirklich geschmeichelt. Im Hintergrund werden überlebensgroße Portraits des neuen Gesundheitsministers eingeblendet, versehen mit dem Schriftzug „#wirwollenKarl“.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist die nächste auf Illners Frageliste. Sie soll sich rechtfertigen – hätte sie vor der Wahl gewusst, dass Karl Gesundheitsminister wird, hätte sie dann „die Hände über‘m Kopf zusammengeschlagen?“ Keine sonderlich inhaltliche Frage und auch eigentlich knapp zu beantworten. Das treibt Marie-Agnes zu überschwänglichen Verneinungen und einer Lobeshymne auf das Geburtstagskind, denn irgendwie muss man ja die Stille füllen. Sie muss jetzt Buße tun, für das, was ihr Parteikollege Kubicki an Gotteslästerung begangen hat.

Dann ist die Physikerin Viola Priesemann an der Reihe. Sie wird gefragt, ob ein Experte wie Karl Lauterbach an der Spitze des Gesundheitsministeriums nicht eine Garantie dafür sei, dass die Warnungen der Wissenschaftler jetzt endlich Gehör finden würden. „Einspruch, Suggestivfrage“, müsste da jetzt kommen, doch auch Viola Priesemann trägt brav ihr Lob und ihre Glückwünsche vor: „Ich schätze Karl Lauterbach sehr dafür, dass er sich extrem gut in dieses Thema eingelesen hat, das heißt, wir müssen gar nicht über die Grundlagen sprechen, das ist klasse.“

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Tina Hildebrandt, Chefkorrespondentin der Zeit, ist dabei. Bei ihrer Vorstellung wird klar, warum sie im Lauterbach-Special dabei ist: Sie hat den Helden in einem Artikel diese Woche „gesundheitspolitische Wundertüte“ genannt. Sie wird aufgefordert zu erklären, was sie denn damit bloß meine. Ihre Antwort: „Na, es steckt viel in ihm drin. Es steckt ein Gesundheitsexperte drin, es steckt ein Epidemiologe drin, es steckt ein Parlamentarier drin, der an Gesetzesvorhaben seit vielen, vielen Jahren, Jahrzehnten beteiligt ist.“ Sie geht sogar noch weiter: „Er ist der erste direkt gewählte Minister, das muss man sagen.“ Lauterbach winkt lächelnd ab, so freudestrahlend hat man ihn noch nie gesehen. „Bei ihm ist es aber eigentlich nicht denkbar, dass er irgendwas anderes machen würde, und umgekehrt war es am Ende auch gar nicht mehr vorstellbar, dass irgendein anderer das Amt bekleiden würde“, fügt sie hinzu, als würde das Objekt ihrer Begierde nicht direkt neben ihr sitzen.

Tobias Hans, der Ministerpräsident vom Saarland, bekommt als erstes eine inhaltliche Frage gestellt, doch auch er will erstmal alles stehen und liegen lassen, um den Zuschauern zu versichern, dass auch er Karl Lauterbach herzlich gratuliert.

Nicht nur das: „Ich will, dass er Erfolg hat, vor allem natürlich in der Bekämpfung der Pandemie. Und ich sag auch mal an dieser Stelle zumindest mal für meine Person auch zu: Ich werde nicht gleich auf ihm rumhacken, auch nicht, wenn mal ein Fehler passiert.“ Es ist, als würde er hier und jetzt einen Parteienwechsel verkünden. Auf so viel Unterstützung konnte der vorherige Gesundheitsminister aus seiner eigenen Partei nicht zählen. Vielleicht ist das Versprechen, das Hans hier gerade feierlich abgegeben hat, das erste in der letzten Zeit, das tatsächlich eingehalten wird – auch wenn sich die Sachlage ändert.

„Das ist nicht spruchreif“

Karl Lauterbach selbst kommt gar nicht so viel zu Wort. Vielmehr lässt er über sich reden und lässt sich Honig ums Maul schmieren. „Ich glaube dass wir es schaffen werden und werde alle dafür tun“, sagt Karl Lauterbach. Bei den meisten Menschen würde man bei so einer Aussage nicht zweimal draufschauen. Doch bei Lauterbach würde ich mich doch etwas weniger mulmig fühlen, wenn er doch ein „was verfassungsrechtlich erlaubt ist“ dran gehängt hätte. Wer glaubt, dass sich eine Atemwegserkrankung über Toilettenspülungen und durch die Augen übertragen kann – naja, bei dem muss man auf alles gefasst sein.

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Wenn Lauterbach zu Wort kommt, ist alles wie immer, nur etwas besser gelaunt. Er spekuliert wild, er phantasiert neue Schreckensszenarien herbei, zitiert Studien und Daten sehr freisinnig und mimt dabei dennoch den unfehlbaren Experten. Erst am Mittwoch blamierte er sich, als er als frisch gebackener Minister im ZDF-heute journal sagte, dass die Omikron-Variante für Kinder besonders bedrohlich sei. „Das ist leider so, dass die Omikron-Variante sich nicht nur schneller verbreitet, sondern leider auch Kinder stärker befällt und somit auch zu mehr Krankenhauseinweisungen führen wird“, so Lauterbach. Wie ein Faktencheck der Berliner Zeitung zeigte, ist das nach gegenwärtigem Stand falsch – diese Behauptung lässt sich nicht belegen.

Zur Einsicht hat ihn das offenbar nicht gebracht, bei Illner macht er munter weiter. Weil unter den ersten Omikron-Infizierten viele Genesene waren, folgert er, dass die Variante für bereits Erkrankte besonders gefährlich sei. Diese müssten sich dann nochmal impfen lassen. Nachdem er diese Position lang und breit ausführte und als bedrohliche Wahrheit verkaufte, fügt er noch an: „Das ist nicht spruchreif“, er wolle nur den derzeitigen wissenschaftlichen Stand erläutern.

Immerhin ein bemerkenswertes Eingeständnis folgt dann im Hinblick auf Omikron aber doch:  „Die doppelt Geimpften sind, was die Ansteckung angeht, wenig oder gar nicht geschützt“, so Lauterbach. „Wenn die Zweimal-Geimpften sich infizieren, dann läuft das durch in die Ungeimpften“, erklärt Lauterbach weiter, „dann werden die Ungeimpften in sehr kurzer Zeit schwer erkranken.“ Die Ungeimpften müssen also jetzt vor den Geimpften geschützt werden? Eine bemerkenswerte Argumentationspirouette.

Karl Lauterbach hat erneut unter Beweis gestellt, dass er tatsächlich Experte ist – in Public Relations. Und beim ZDF fallen jetzt alle Bedenken: Der Gesundheitsminister von Illners Gnaden ist einfach nur toll.

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