Die gestrige Illner-Ausgabe war vielleicht das erste Mal seit langem, dass Ihre GEZ-Gebühren nicht gänzlich aus dem Fenster geschmissen waren. Statt dem üblichen einsamen Alibi-Andersdenkenden, waren es jetzt gleich drei.
Zu den drei Herren mit den „problematischen Ansichten“ zählte zum ersten Jan Josef Liefers. Man merkt, dass er wahrscheinlich (ich hab noch nie einen Film oder eine Sendung mit ihm gesehen) ein guter Schauspieler ist, wenn man ihm beim Reden zuhört. Denn er hat ein Talent dafür, sehr charmant und sympathisch zu wirken, selbst wenn er verärgert ist. Er spricht mit ruhiger tiefer Stimme und sagt ganz unaufgeregt, was er denkt. Sein Charme mag bei den Corona-Fanatikern im Land zwar vergebens sein, aber um die geht es ja auch gar nicht.
Wenn Liefers mit einem ruhigen Ton erklärt, dass er im Gespräch mit den unterschiedlichsten Menschen auf der Straße immer wieder den Satz „Das darf man ja jetzt nicht mehr sagen“ hört, der ihn zu seinem Bedauern an die DDR erinnert, und dann noch den ganz kritischen Satz „Klar darf man alles sagen, aber ungestraft nicht“ hinten dran hängt, kann ihm das kaum jemand übel nehmen. Die #zerocovid Front natürlich ausgenommen. Gegen die Argumente, #allesdichtmachen wäre zu undifferenziert und würde keine Lösungsvorschläge bieten, hat er auch ein treffendes Gegenargument: „Bei relativ undifferenzierten Maßnahmen ist es schwer differenzierte Kritik zu erwarten.“ Darauf konnte man ihm nichts erwidern. Auch den kryptischen Vorwurf des Beifalls von der falschen Seite weist er geschickt zurück: „Wenn ich sage 2+2=4, dann ist das richtig, auch wenn mir jemand von der AFD zustimmt.“
Neben Jan Josef Liefers war auch Boris Palmer zwar nicht im Studio aber zumindest zugeschaltet. Er verteidigt die Aktion um Liefers nicht nur, er ist ihr auch dankbar: „Es gibt ganz viele Menschen, die erleichtert waren, dass es diese Aktion gab. Ich finde es großartig, was sich diese Künstler getraut haben. Danke, Jan Josef Liefers.“ Klartext: „Diese Erfahrung, die Jan Josef Liefers gerade macht, habe ich schon viele Jahre gemacht. Und ich kenne die Mechanismen und ich kritisiere diese Mechanismen. Und ich werde nicht anfangen, leiser, stiller oder mit der Schere im Kopf zu argumentieren. Denn was wir hier erleben, sind eingeübte Rituale – die Empörung, die Cancel Culture, dass so viele ihre Videos dementiert haben, gelöscht haben – das ist ist die klassische Reaktion. Man wird so unter Druck gesetzt, bis man nicht mehr zu dem steht, was man gesagt hat – wurde mit mir oft versucht, ich lasse mich davon aber nicht wegdrücken.“ Weiter erklärt er dann, um die Paniker endgültig zur Weißglut zu treiben: „Dabei wird immer die Urteilskraft der Menschen unterschätzt. Die Leute sind gar nicht blöd, das sind mündige Bürger. Die können das beurteilen, die stimmen Liefers zu oder auch nicht. Und die brauchen keine Vordenker“.
„Was Herr Kubicki gesagt hat, ist problematisch, weil wir aktuell auf Akzeptanz angewiesen sind“
Wolfgang Kubicki, ebenfalls zugeschaltet und somit der dritte im Bunde der Kritiker, attackiert derweil die Maßnahmen: „Man kann nicht sagen, wir setzten jetzt das komplette Grundgesetz außer Kraft, weil es ja einem guten Zweck dient“, und dann genauer: „Warum ein Ehepaar abends nicht gemeinsam vors Haus gehen darf, erschließt sich selbst dem Böswilligsten nicht.“ Nun, beim zweiten Teil hatte er unrecht, denn auf Twitter versammeln sich gerade sehr, sehr viele Gestalten, die ihn in der Hinsicht unbedingt belehren wollen. Was sie an Argumenten nicht zu bieten haben, kompensieren sie mit uneingeschränkter fanatischer Überzeugung.
Die Gegenseite im Studio hat im Vergleich dazu eher weniger zu sagen, jedenfalls was den Inhalt angeht. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher wurde von Kubicki und Co. zum größten Teil an die Wand argumentiert und kann damit links liegen gelassen werden. Mit Sprüchen wie: „Was Herr Kubicki gesagt hat, ist problematisch, weil wir aktuell auf Akzeptanz angewiesen sind“, beschädigt er vor allem sich selbst.
Dann wäre da noch die „Wissenschaftsvermittlerin“ und Talkshow-Heldin Mai Thi Nguyen-Kim. Sie hat selbst zugegeben, dass sie sich mit der Kampagne um Liefers nicht wirklich auseinandergesetzt hat. Das hat sie wohl bewusst getan, weil sie die Debatte für „destruktiv“ hält. Kubicki wirft darauf hin ein, dass die Verfassung nicht zwischen konstruktiven und destruktiven Debatten unterscheidet und dass er ihre Unterteilung anmaßend findet. Aber da sie ja Wissenschaftlerin ist, wie sie alle dreißig Sekunden betont, muss sie sich nicht rechtfertigen. Während der Schauspieler Liefers sich rechtfertigen muss, dass seine Satireaktion keine Lösungsvorschläge und konstruktiven Argumente zu bieten hat, kann sie sich einfach hinstellen, sagen, dass sie weder alle Videos geschaut, noch die Debatte darum verfolgt hat, und darf sie dann trotzdem verurteilen.
Sie geht sogar so weit zu sagen, dass sie die Schauspieler hätte warnen können, hätten sie ihr die Videos vor der Veröffentlichung gezeigt. Dann hätte sie ihnen gesagt: „Oh Gott, das können Sie nicht machen!“ Chemikerin, Journalistin, Hobbyvirologin und jetzt auch noch Zensorin – gibt es etwas, was diese Frau nicht kann? Aber jetzt mal im Ernst: ihr Nutzen in dieser Sendung war etwa genauso hoch, wie wenn im Flugzeug jemand einen Herzinfakt bekommt, die Stewardess fragt „Ist ein Doktor an Bord?“ und sich der Chemiker meldet und stolz erklärt, worin er promoviert hat und dass er als „Wissenschaftler“ ja auch einen weißen Kittel trägt.
Auf der einen Seite sagt sie: „Es wäre einfacher gewesen, wenn die Länder geschlossener auf den wissenschaftlichen Konsens gehört und früher eingegriffen hätten“, auf der anderen Seite: „Wenn man wissenschaftlich bedingte Entscheidungen will, muss man ein paar Unsicherheiten aushalten“.
Ja was denn nun? Gibt es überhaupt die eine Wissenschaft? Das vielleicht nicht, aber es gibt die eine Haltung und mit der kennt die „Wissenschaftlerin“ sich ganz toll aus und wenn wir ganz ehrlich sind, ist das doch ihre wahre Qualifikation für diese Sendung. Bleibt nur abzuwarten, ob das Publikum sich auch von der schlechtgelaunten Schlaftablette mit Haltung beeindrucken lässt, wenn es dafür den sympathischen Zuschauerliebling auf der anderen Seite haben kann. Hoffen wir, das Boris Palmer Recht behält und die Menschen tatsächlich nicht blöd sind.