„Krieg und Krise – ist Deutschland überfordert?“ war eine Ausgabe von Illner, die Unterschiedliches bezweckt haben könnte. Sollte sie den Menschen die Angst nehmen? Wollte man aus den anwesenden Gästen ein optimistisches „Wir schaffen das“ heraus kitzeln? Oder war die Frage ernst gemeint – auch, wenn dann klar sein dürfte, dass die Antwort eindeutig ist?
Niemand anderes als Christian Lindner ist abermals zu Gast an Maybrit Illners jüngst wieder enger zusammengerückter Studio-Runde. Ihm zur Seite sitzt Ampel-Kollege Omid Nouripour, Parteivorsitzender der Grünen – den beiden gegenüber CDU-Umfaller Friedrich Merz. Weitere geladene Gäste sind die Journalistinnen Katja Golfer und Eva Quadbeck. Aber die Aufmerksamkeit dieser Sendung war ganz auf Christian Lindner gerichtet, denn sein ganzes Auftreten und Habitus reichten vollends aus, um die große Frage der Sendung mit einem deutlichen JA zu beantworten.
Dabei fällt Illner ihm ins Wort – angebracht, wie ich finde. Großbritannien hat Milliardenbeträge in die Hand genommen, wirft sie ein. Lindner gefällt das gar nicht. Nun ist er nach Jahren in der Politik und in der APO so starr im Gesicht geworden, dass man fast meint, bei ihm sei immer noch Maskenpflicht, deshalb sieht man es ihm nicht direkt an. Doch trotz Next-Level-Pokerface merkt man das Missfallen an seiner Stimme. Illner kauft ihm das Märchen des Finanzministeriums, das alles im Griff hat, immer noch nicht so ganz ab, wirft nochmal ein: „Aber die Menschen haben es ja nicht so empfunden.“ Lindner reagiert abermals gereizt: „Darf ich mal einen Satz zu Ende sagen?!“ Bis zu diesem Punkt waren Illners Zwischenrufe meiner Meinung nach gerechtfertigt. Lindner wollte die gleiche Leier herunterbeten, die er schon in sämtlichen Pressekonferenzen und in Bundestagsreden wieder und wieder zum besten gegeben hatte. Mit auswendig aufgesagten und verdrehten Schönredereien braucht er in einer Talkshow dann nicht auch noch kommen.
Wenn andere Länder nicht so viel Geld so schnell „in die Hand nehmen“, dann vielleicht auch einfach deshalb, weil es dort nicht im gleichen Umfang nötig ist? Weil uns niemand in unserer unfassbaren Dummheit übertroffen hat, in der größten Gas- und Stromkrise unserer Zeit auch noch die letzte verlässliche Stromquelle zu kappen? Es ist schon kein Wunder, weshalb Lindner hier so übertrieben gereizt reagiert – sein Kartenhaus der Kontrolle steht auf einem sehr wackeligen Pudding. So instabil, dass sogar Illner es umstoßen kann – und die pustet nicht mal richtig. Man habe doch wirklich alles getan, wendet Lindner ein. Ist das so? „Alles“ würde bedeuten: Nicht nur die drei Atomkraftwerke erst einmal ohne jede zeitliche Begrenzung weiterlaufen zu lassen, dann die drei Kernkraftwerke in Reserve wieder hochzufahren, als nächstes sofort – auch mit internationaler Unterstützung wenn nötig – das Erdgas im eigenen Land umfangreich zu fördern. Die Energieversorgung, -sicherheit und -bezahlbarkeit für Industrie und Wirtschaft und für jedermann zu gewährleisten. Das würde einem „alles getan“ schon einmal deutlich näher kommen.
„Darf ich einen Vorschlag machen? Also ich weiß nicht wie es den Zuschauerinnen und Zuschauern geht, aber für mich ist die Sendung sehr viel Rückspiegel und deshalb würde ich gerne einen Blick nach vorne weiter richten.“, meldet Lindner sich irgendwann zu Wort, nachdem Merz ihm wohl zu lange die Aufmerksamkeit der Runde für sich hatte. Berichterstattung auf Bestellung? Sorry ZDF, der Ton gefällt mir nicht, können Sie mir nicht Fragen stellen, auf die ich Antworten habe?
Aber was ist, wenn man Politiker über die Zukunft reden lässt? Bei Lindner ging gestern auch das schief. „Ich bin der Meinung ja, wie Sie wissen, als Liberaler, man muss Märkte wirken lassen – oder man muss ganz hart und ganz konsequent in Märkte reingehen.“ Wieder Alarmglocken. Ob wir in Deutschland freie Marktwirtschaft oder Kommunismus haben, hängt wohl nur davon ab, ob Christian Lindner gerade um unser Land pokern will.
Bei Lindner äußert sich die Angst darin, dass er die sonst so sorgsam wie seinen akkurat gestutzten Zehntagegbart gepflegte Contenance verliert. Er hat nicht Angst um sein Land, das ist ihm herzlich egal. Er hat Angst um seinen Posten, seine Macht. Die einzige Kälte, die ihn beschäftigt, ist die, ohne die aufmerksame Wärme der Talkshow-Beleuchtungen während der drohenden nächsten APO-Zeit auskommen zu müssen. Man merkt, dass Lindner ein unglaublich eitler Mensch ist, der selbst für Elite-Politiker überdurchschnittlich überzeugt von sich ist. Je mehr alles entgleitet, desto verbissener will er an einem solchen Abend bei Illner das Gespräch unter Kontrolle bringen. Auch wenn Illner ihn unterbricht, spricht er mit ihr, als wäre sie ein kleines Schulmädchen. Jede kleine Nachfrage brachte ihn aus der Fassung, jeder Kommentar von Merz oder anderen Gesprächsteilnehmern musste mit einem angestrengt wirkenden harschen Konter beantwortet werden. Beinahe zickig.
„Ist Deutschland überfordert?“ Deutschland schon lange, Christian Lindner schon länger – und jetzt auch für jeden sichtbar.