Kriegstalk bei Illner – erneut spricht die Talkmasterin am Donnerstagabend über den Ukraine-Krieg. „Putins Offensive – Deutschland weiter defensiv?“ Fragt sie ihre Gäste. Ist die deutsche Regierung in Sachen Waffenlieferungen an die Ukraine zu zaghaft? Und wie denken Nato-Partner und die Ukraine über die Haltung Deutschlands? Das diskutierte Maybrit Illner mit dem SPD-Politiker Sigmar Gabriel, Brigadegeneral a.D. Erich Vad, Roderich Kiesewetter (CDU, Oberst a. D.), Claudia Major (Verteidigungsexpertin) und Marina Weisband (deutsch-ukrainische, grüne Publizistin).
Mit Weisband beginnt die Sendung – und sie gibt zunächst den Takt vor. „Ich bin selbst sehr verwirrt vom Vorgehen der deutschen Regierung – wir machen uns gerade nicht sehr beliebt.“ Bei Gesprächen in der Heimat – Weisband wurde in Kiew geboren und hat Familie in der Ukraine – werde sie regelrecht „angeschnauzt“, berichtet sie. Deutschland werde als Bremser wahrgenommen. Sie ist der Ansicht, Putin werde zum 9. Mai die Entscheidung suchen. Davon geht auch Claudia Major aus. „Putin muss etwas vorweisen“, meint die Verteidigungs- und Sicherheitsexpertin von der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Wahrscheinlich geht es darum, die komplette Donbass-Region zu kontrollieren. Das wäre für ihn ein Teilsieg.“ Sicher sei dieser Teilerfolg aber nicht. Major meint: „Waffenlieferungen haben in diesem Konflikt bereits etwas ausgemacht.“ Mit schweren Waffen aus dem Westen könnte die Ukraine der russischen Armee etwas entgegensetzen. „Es hängt auch an uns, was für einen Sieg Putin am 9. Mai präsentieren kann“. Weisband und Major sind die Fraktion, die unbedingt Waffen liefern will – und an einen militärischen Sieg der Ukraine über Russland glaubt.
Die Frage der Waffenlieferungen wird das bestimmende Thema des Talks. Brigadegeneral a.D Erich Vad tritt auf die Bremse: Deutschland könne in die Rolle einer Kriegspartei rutschen, wenn es Kampfpanzer an die Ukraine liefert, meint der ehemalige militärische Chefberater von Angela Merkel. Auch logistisch sei diese Lieferung schwierig. Vad ist sicher: „Kampfpanzer würden die Ostukraine nie erreichen.“ Das könne Russland nie zulassen. Und die Bundeswehr habe zurzeit keine schweren Waffen für die Ukraine übrig. Die Restbestände brauche sie selbst.
Erich Vad bedrücken schließlich auch ganz andere Dinge: „Was mich sehr bedrückt, ist der Umgang der Ukraine mit Deutschland und auch das Agieren des Botschafters in Deutschland. Ich finde das nicht in Ordnung“, so Vad. Seine militärische Expertise steht ohnehin etwas in Zweifel, spätestens seitdem er am ersten Tag dieses Krieges ebenfalls bei Illner vorhersagte: „Militärisch gesehen ist die Sache gelaufen. Und meine Bewertung ist, dass es nur um ein paar Tage gehen wird und nicht mehr“.
Roderich Kiesewetter sieht das Thema Waffenlieferungen ganz anders. Auch er hat bei der Bundeswehr gedient – der Oberst a.D. vertritt allerdings eine völlig andere Meinung als Vad. Niederländer, Belgier, Amerikaner und Briten würden schwere Waffen liefern – dann könne Deutschland nicht nichts tun, argumentiert der CDU-Abgeordnete. Marina Weisband stimmt ihm zu: Auch sie glaubt, „dass die Regierung längst nicht alles tut, was sie kann.“ Von den zwei Milliarden Euro Militärhilfe könne sich die Ukraine zwar Waffen kaufen, aber keine schweren aus Deutschland. „Unsere europäischen Verbündeten sind sauer auf uns“, hält sie fest – und hat damit recht. Erich Vad zeigt sich sicher, dass selbst ukrainische Militärexperten ihrer Regierung nicht raten würden, die von Deutschland zur Verfügung gestellte Milliarde Euro in den Kauf von Kampfpanzern zu investieren. Das wäre militärisch sinnlos: „Mich stört es, wenn deutsche Politiker von den Grünen militärische Lösungen als ultimatives Ziel darstellen. Das ist doch verrückt. Das machen Politiker, die mit Militär nichts am Hut hatten, die den Wehrdienst verweigert haben. Wir können in Zentraleuropa keinen Stellvertreterkrieg auf Jahre gebrauchen, der das Potenzial hat, zu einem Nuklearkrieg zu eskalieren.“
Darf die Ukraine überhaupt gewinnen?
Vads Aussagen beeindrucken bezeichnenderweise Sigmar Gabriel, der zugeschaltet ist. Der zeigt sich „dankbar, dass ein wirklicher Militärexperte da ist.“ Andere Staaten würden keineswegs Panzer liefern, hält der ehemalige SPD-Chef fest. Als Vorsitzender der „Atlantikbrücke“ hat er einen simplen Rat: „Alles, was die USA nicht machen, davon sollten wir auch die Finger lassen.“ Der Außenpolitiker erwartet einen langandauernden „Konflikt auf dem Boden der Ukraine“, der immer wieder neu aufflammen werde. „Ich glaube nicht, dass die Ukraine einen Teil ihres Territoriums an Herrn Putin verschenkt.“ Seine pessimistische Erwartung: „Ich glaube nicht, dass das schnell zu Ende ist. Wir werden die Ukraine über lange Zeit unterstützen müssen.“
Dass Gabriel lieber in die Zukunft guckt, ist verständlich: Beim Blick in die Vergangenheit kriegt der Politiker, der unter anderem als Wirtschafts- und Außenminister Nord Stream 2 federführend mittrug, zur Zeit ja auch sein Fett weg. Gegen die Angriffe auf sich, Frank-Walter Steinmeier und andere wehrt er sich: „Es ist ein Wahnsinn, heute jeden zu diskreditieren. Dass jeder, der mit Russland geredet hat, heute kurz davor ist, Kriegsverbrecher zu sein – das ist doch hanebüchen.“ Gabriel kritisiert den ukrainischen Botschafter Melnyk für dessen harte Kritik an unter anderem ihm und Steinmeier. Melnyk sei „unverschämt“, meint Gabriel. „Botschafter Melnyk hat den Eindruck erweckt, Bundespräsident Steinmeier sei der Interessenvertreter Russlands gewesen. Das ist eine Unverschämtheit.“ Gabriel nahm den Kanzler in Schutz. Nicht der Bundeskanzler entscheide über den Waffenexport, sondern der Bundessicherheitsrat. „Das jetzt so getan wird, als sei das eine Einzelentscheidung von Herrn Scholz, ist Unsinn.“ Dabei spielte er vorwiegend auf Politiker aus den Regierungsparteien an, die Scholz für seine Zögerlichkeit kritisiert hatten – allen voran Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Anton Hofreiter (Grüne). Grüne und FDP könnten im Bundessicherheitsrat auch Entscheidungen forcieren, anstatt öffentlich solche Promo-Aktionen aufzuführen, ist der Ton des Politikers.
Zum Streit kommt es, als Marina Weisband fordert, Bundeskanzler Scholz solle klar machen, was die Regierung eigentlich erreichen wolle. „Scholz sagte in seiner Ansprache, die Ukraine muss sich wehren, aber er sagte nicht: Sie muss gewinnen.“ Verteidigungsexperte Vad entgegnet ihr, es gehe auch gar nicht um den Sieg einer Seite in diesem Konflikt, sondern um ein schnelles Ende. Damit zieht er nicht nur das Unverständnis Weisbands, sondern auch Kiesewetters auf sich. Es sei fatal, darüber zu sprechen, dass die Ukraine nicht gewinnen soll, meint letzterer. „Das treibt Putin dahin, den Krieg nochmal militärisch zu eskalieren. Ich befürchte, dass wir gerade mit so einer Rhetorik den Einsatz von Nuklearwaffen herbeiführen, weil Putin sieht, der Westen wird sowieso nichts tun.“
Auch Weisband scheint entsetzt über Vads Äußerung. Sie sagt: „Ein Sieg der Ukraine sieht doch nicht so aus, dass die Ukraine Russland erobert, sondern dass sich die russische Armee hinter die Grenzen zurückzieht. Der ukrainische Sieg ist, dass die Ermordung von Zivilisten beendet wird. Muss das nicht unser Ziel sein?“ Und sie fasst zusammen: „Es geht darum, ein klares Signal zu setzen. Wir müssen selbstbewusst werden. Und wir müssen für das einstehen, was richtig ist. Alle zusammen.“
Vad dagegen fordert, die Dinge „vom Ende her zu denken“. Und da könne man nicht auf Sieg setzen. Wo er das wohl gelernt hat?
So verlaufen im Talk die Fronten: Merkels ehemaliger militärischer Chef-Berater und der ehemalige Nordstream-Minister Gabriel beschweren sich über die Unflätigkeit der Ukraine und vertreten das Rezept, für das sie schon immer plädiert haben und das ja wunderbar funktioniert hat: Sich auf den Bauch legen, nichts zu tun und „Signale“ an Russland senden, die nie beantwortet werden.