Tichys Einblick
Waffen für die Ukraine?

Friedensgespräche im Offenen-Brief-Krieg bei Illner – und tatsächlich Debatte

Bei Illner wird endlich einmal die Frage der Lieferung von schweren Waffen einigermaßen stilvoll durchgezogen. Ein paar Abstriche muss man angesichts von zwei Politikern im Studio immer machen.

Screenshot ZDF: Maybrit Illner

„Frieden schaffen mit noch mehr Waffen?“ lautete der Titel der gestrigen Illner-Folge – eine Anlehnung an den Berliner Appell „Frieden schaffen ohne Waffen“, verfasst von Robert Havemann und Rainer Eppelmann 1982. Damals warnten die Verfasser in ihrem Schreiben vor einem Atomkrieg: „Es kann in Europa nur noch einen Krieg geben, den Atomkrieg.“ Die gleichen Leute, die diesen Höhepunkt des deutschen Pazifismus bis vor Kurzem noch ganz selbstverständlich lobten, wollen jetzt Panzer in die Ukraine schicken, immerhin!

Man könnte sagen, Maybrit Illner und ihre Gäste bilden an diesem Abend die verschiedenen Gesichter des Olaf Scholz ab: Heute vertreten wir felsenfest die Ansicht, schwere Waffen führen direkt in den Atomkrieg, morgen liefern wir dann einfach schwere Waffen. Ich stelle mir gerne vor, dass diese Sendung in Wahrheit nur eine Verfilmung des Innenlebens in seinem Kopf war. Sie wissen schon, so wie man das aus Cartoons kennt, mit dem Engelchen auf der einen Schulter und dem Teufelchen auf der anderen.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Auf der einen Seite hatten wir da Ranga Yogeshwar. Der Wissenschaftsjournalist, der wegen seiner unaufdringlichen, ruhigen und sympathischen Art, aber auch seiner strammen Mainstream-Positionen vom Rundfunk immer wieder gerne vorgeschickt wird, um kontroverse Entscheidungen der Politik – Lockdown-Marathons zum Beispiel – an die ÖRR-Konsumenten zu verfüttern, darf gestern ausnahmsweise mal den Rebellen spielen. Er ist Erstunterzeichner des Offenen Briefs an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), in dem er mit Alice Schwarzer, Dieter Nuhr und weiteren vor dem Atomkrieg warnt.

„Wir haben in den letzten Tagen und Wochen eigentlich erlebt, dass wir immer mehr sozusagen in eine militärische Rhetorik hineingekommen sind, dass wir immer mehr über Waffen reden und zu wenig über Verhandlungen“, erklärt Yogeshwar. Marina Weisband hat weniger Angst vor dem Atomkrieg, sondern mehr vor dem Leid der Ukrainer. Die ist Erstunterzeichnerin eines zweiten offenen Briefes – dem Gegenstück zu dem von Yogeshwar und Co. unterschriebenen. „Wenn die Ukraine kapituliert, Gebiete an Russland abtritt, dann sind das die Gebiete, in denen vergewaltigt wird, gefoltert wird, in denen Zivilisten ermordet werden. Das ist kein Frieden“, ist ihr Argument. 

Marina Weisband und Ranga Yogeshwar dürften in dieser Sendung die beiden äußersten Pole dieser Sendung sein – vielleicht auch der Grund, weshalb beide zugeschaltet sind, damit sie sich nicht an die Gurgel gehen. Es war nur mal immerhin schön, zur Abwechslung zwei klare Meinungen ausmachen zu können – die letzten Sendungen waren immer mehr zu einem verwaschenen Brei mutiert. Diesmal haben beide Seiten betont, dass sie einsehen, dass beide Seiten das Ziel Frieden teilen, aber gegenteilige Mittel als den richtigen Weg sehen. Tatsächlich war das Ganze dementsprechend angenehm zu beobachten, denn eine so ruhige Auseinandersetzung bei so gegenteiligen Meinungen hat man nun wirklich lange nicht mehr gesehen, schon gar nicht im ÖRR.

Sendung am 05.05.2022
Tichys Ausblick Talk: Kein Gas, keine Wirtschaft – Wie gefährlich ist ein Energieboykott?
Deshalb fand ich auch die Kritik der Friedensforscherin Nicole Deitelhoff, Professorin für Internationale Beziehungen und Theorien globaler Ordnungspolitik, etwas befremdlich. Sie begründet ihre Entscheidung, keinen der Briefe unterzeichnet zu haben, damit, dass sie es für ein schlechtes Zeichen für den Zustand der Debatte über die Unterstützung der Ukraine in Deutschland hält, „dass wir uns jetzt mit offenen Briefen bekriegen und nicht mit Argumenten“. Ein komischer Satz, sie will sich wohl unbedingt als ganz besonders ausgewogen inszenieren. Sie sollte wohl die ausgleichende Mitte zwischen den beiden Seiten spielen, was sie aber auch so uninteressant für Illner machte, dass sie nicht viel zu Wort kam.

An einer Stelle wurde es dann doch interessant. Norbert Röttgen nutzte die gestrige Sendung als Möglichkeit, sich nochmal so richtig in Rage zu reden. Dass sein Konkurrent Friedrich Merz jetzt als der Befreier der Ukraine gefeiert wird und er jetzt womöglich noch den Anschluss verpasst, gefällt ihm so gar nicht. „Ist es überzeugend, dass wir, die hier sitzen, den Ukrainern sagen, wie lange sie sich verteidigen dürfen? Ich finde das eine unerträgliche Arroganz“, argumentiert er, seine Stimme wird dabei immer lauter, er wird fast rot und seine Hände fuchteln wild. 

Debatte im ÖRR – ja, tatsächlich 

Nicole Deitelhoff, die – Mitte hin oder her – zum Anfang der Sendung noch pro-Waffenlieferungen tendierte, nahm an dieser Stelle die Gegenmeinung zu ihm ein. Das künstliche Hochpeitschen von Nobert Röttgen ist ihr wohl gegen den Strich gegangen. „Aber in dieser ganzen Debatte gibt es auf beiden Seiten Arroganz. Die eine Arroganz ist, dass wir den Ukrainern sagen können, ob sie sich verteidigen sollen oder nicht. Dann kommt das Gegenargument: Aber wenn man doch in die Ukraine hinein hören würde, gäbe es doch auch ganz viele Menschen, die das ganz anders sehen würden, die sich nur nicht trauen würden zu sagen, dass sie möchten, dass die Waffen schweigen.“ Und weiter: „Der Punkt ist, dass beide Seiten mit Unterstellungen arbeiten, beide Seiten mit Spekulationen über Endziele arbeiten, die wir gegenwärtig nicht abschätzen können.“ Norbert Röttgen, der ja sonst immer als der Besonnene in der CDU gehandelt wird, kann die ganze Zeit über nicht aufhören, ihr dazwischen zu quaken.

Randale-Röttgen hatte zusammen mit Kevin Kühnert eine sehr undankbare Rolle in dieser Sendung – beide sind als zweite Geige eingeladen. Viel lieber hätte Illner natürlich Olaf Scholz und Friedrich Merz bei sich sitzen gehabt, aber das geht nun mal nicht. Deshalb sollen die beiden immer sagen, was die Wunschgäste wohl nun denken würden, um die Personen selbst geht es dabei nicht wirklich.

Als CDU-Politiker bekommt Röttgen recht angenehme Fragen: „Herr Scholz und Herr Steinmeier dürfen in die Ukraine kommen, muss man formulieren, offensichtlich dank Friedrich Merz und seinem Besuch dort vom Dienstag – macht die Opposition jetzt die Außenpolitik?“ Auf diese Frage weiß Norbert Röttgen keine eindeutige Antwort, wahrscheinlich, weil er noch gar nicht realisiert hat, dass mit „Opposition“ seine Partei gemeint war.

Nach Habecks Eingeständnis
Die Bundesregierung führt das Land sehenden Auges in die Benzin-Knappheit
Kevin Kühnert, Generalsekretär der SPD, mag zwar nach eigener Aussage keine Wohnung in Berlin kriegen, wie er gestern überall in den Medien verbreitete, doch wie es scheint, hat Illner ihm prompt Asyl geboten. Die Pritsche in der Abstellkammer, die dem Parteigenossen Lauterbach einst gehört hat, steht ja nun auch frei. Und wie SPDler nun mal so sind, hat er auf seinem billigen Platz auch direkt das Gefühl, der Herr des Hauses zu sein. Als Illner ihn fragt, ob er nicht denkt, dass es eine großartige Sache sei, was der Merz da macht und ob man ihn als den „Türöffner für den Bundeskanzler und Bundespräsidenten dieses Landes“ bezeichnen könnte, antwortet er: „Ich würde gerne einen sehr geringen Teil dieser Sendung heute auf diese Diskussion verwenden, aber …“. Kevin Kühnert, das muss man ihm lassen, kann gerade in Talkshows und ähnlichen Formaten oft sehr glänzen, weil er durchaus ein gewisses Talent für so etwas hat, doch heute hat er seinen Charme ganz offensichtlich schon aufgebraucht. Naja, wer weiß, in welchem Zustand Herr Lauterbach seine Matratze hinterlassen hat.

Im Großen und Ganzen muss ich doch sagen, dass die Sendung ganz interessant zu beobachten war. Röttgen und Kühnert haben beide Meinungen vertreten müssen, die sie selbst, glaube ich, insgeheim gar nicht so wirklich vertreten. Röttgen war dazu gezwungen, immer noch eine Schippe drauf zu packen, um dem gefeierten neuentdeckten Nationalhelden Merz in nichts nachzustehen. Währenddessen musste Kühnert den ehemaligen Appeasement-Kurs von Scholz schönreden, auch wenn er – und das konnte er nicht sonderlich gut kaschieren – eigentlich mittlerweile die genau gegenteilige Meinung vertritt. Obwohl die beiden also vollkommen unüberzeugt argumentieren, sind sie diejenigen, die auf Emotionen setzen – Röttgen aufgeregt, Kühnert zickig.

Zur gleichen Zeit bleiben die, die tatsächlich freiwillig eine Meinung vertreten und zu der auch stehen – Frau Weisband und Herr Yogeshwar – diejenigen, die ganz sachlich debattieren, ohne sich gegenseitig irgendwelche Bezeichnungen aufzudrücken. Und das, obwohl zwischen den beiden Meinungen eigentlich keine wirkliche Einigung möglich ist: Die eine Seite befürchtet den Atomkrieg, wenn Waffen geliefert werden, die andere Seite befürchtet den Tod eines Volkes, wenn keine Waffen geliefert werden.

Eigentlich spielt diese Diskrepanz unserem Herrn Bundeskanzler in die Karten: Wenn er nur falsch entscheiden kann, hat er ja gar nicht die Möglichkeit, sich richtig zu entscheiden. So war das bei Cum-Ex und so wohl auch schon bei …

Anzeige
Die mobile Version verlassen