Tichys Einblick
Wahre Freundschaft in der Not

Claudia Roth bei Illner: Nicht zu viel über Waffen reden – Ukraine mit „Exilmedienstrategieinfrastruktur“ helfen

Bei Illner geht es um die EU-europäische Einigkeit gegen Putin. Normalerweise sind an der Uneinigkeit für die Deutschen ja immer die anderen schuld. CSU-Weber meint aber diesmal sogar: „Wenn heute Kiew fallen würde, dann würde europaweit der Eindruck entstehen: Deutschland ist schuld daran.“

Screenshot ZDF: Maybrit Illner

„Streit statt Stärke – doch nicht gemeinsam gegen Putin?“ lautet der Titel bei Illners Gesprächsrunde in dieser Woche. Illner und ihren Redakteuren ist nicht entgangen, dass Europa sich in der Frage, ob und wie man die Ukraine unterstützen sollte, uneins ist. Die Polen sind total dabei, die Türkei so gar nicht, Frankreich nur so’n bisschen. Das gefällt anscheinend gar nicht – so wörtlich war Vielfalt nun auch nicht gemeint.

Also was tut man nun? Für diese Frage hat Maybrit Illner eine bunte Truppe an Leuten zusammengesammelt, die alle schon Entzugserscheinungen haben, weil sie schon so lange nicht mehr von der Spaltung der Gesellschaft reden durften. Allen voran: Staatsministerin Claudia Roth. Och kommt, nun guckt doch nicht so, ihr habt sie doch auch vermisst!

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Bevor Sie fragen: Nein, sie hatte kein Tütü an. Sie hat auch keine Rap-Texte als Reden vorgetragen und wir sind auch alle sehr stolz auf sie. Und sie hatte in den letzten Jahren einen großen Sinneswandel hinter sich. Die grüne Pazifistin ist jetzt auf einmal auch ganz kritisch: „Wie will jemand als Friedensvermittler auftreten, der gleichzeitig Kurdengebiete militärisch angreift“, sagt sie über Erdogan. Und: „Die Nato hat, mit Verlaub, lange Zeit keine Reaktion gezeigt auf viele Angriffe, die Erdogan geführt hat, sei es auf Nato-Partner, sei es in Syrien.“ Auf Twitter wird Claudia Roth für ihre Türkeiansichten übrigens tatsächlich als „Türkeihasser“ bezeichnet.

Gemeinsam mit Deniz Yücel, dem deutsch-türkischen Journalisten, der für ein Jahr in türkischer Gefangenschaft war. Er ist Korrespondent der Welt und schon alleine davon ist Linkstwitter natürlich empört – denn kein Türke, der sich für Springer hergibt, ist ihrer Ansicht nach ein guter Türke. „Ich hatte die Befürchtung vor einigen Monaten zu Beginn des Krieges, als sich die Türkei als Vermittler anbot, als würde die Türkei internationale Aufwertung erfahren: Das kann doch nicht die Lehre des Ukraine-Kriegs sein!“, sagt der über die Türkei unter Erdogan – aus gutem Grund.

Bei der Einschätzung zur Türkei sind sich zumindest schon mal alle einig. Manfred Weber, CSU-Politiker und Fraktionsvorsitzender der EVP, sagt zu Erdogan: „Er hat es bei den Flüchtlingen genauso versucht, Europa zu erpressen. An der Grenze dafür zu sorgen, dass mit Bussen Menschen an die Grenze gefahren werden, um Bilder zu produzieren.“

Weber haut auch voll auf die Zwölf: „Es besteht das Risiko eines historischen Scheiterns Deutschlands“, so Weber. „Wenn heute Kiew fallen würde, dann würde europaweit, vielleicht sogar weltweit der Eindruck entstehen: Deutschland ist schuld daran.“ Natürlich hätten sich die Osteuropäer als Europäer zweiter Klasse gefühlt, meint Weber. Und weiter: „Natürlich haben wir sie oberlehrerhaft behandelt.“ Komisch nur, dass ihm das alles einfällt, nachdem Angela Merkel abgedankt hat. Sie dürfte an diesem schlechten Ruf Deutschlands ja doch eine gewisse Mitschuld tragen.

Vor allem an einem Punkt gehen die Meinungen auseinander: Tun wir nun schon genug für die Ukraine oder nicht? Roth verteidigt den Kurs der Regierung.

„Deutschland ist keine Hippie-Kommune“

Claudia Roth haut an diesem Abend nämlich noch so richtig echte Claudia-Roth-Sprüche raus. Sie störe die „Reduzierung der Debatte auf Waffen“, die Argumentation von der Opposition findet sie hier zu schlicht. Wichtige Hilfe für die Ukraine sieht sie unter anderem bei „unglaublicher Hilfe bei der Minenräumung, bei der Forensik“, sowie: „Unterstützung beim Wiederaufbau. Humanitäre Hilfe.“ Und zu guter Letzt: „Gegen Putins Propaganda, Aufbau einer Exilmedienstrategieinfrastruktur.“ Super, Putin schlottern die Knie. Ob die Exilmedienstrategieinfrastruktur die Hyperschallrakete vom Himmel funkt? Oder den T-90 zersendet? Die Debatte bitte nicht auf Waffen reduzieren, wie gesagt.

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Deniz Yücel meint: „Deutschland ist keine Hippie-Kommune, Deutschland hat eine Rüstungsindustrie, beliefert Länder wie Saudi-Arabien und Ägypten, und nur an die Ukraine wollte man nicht liefern, um Putin nicht zu verärgern.“ Ich würde dem Teil mit der Hippie-Kommune widersprechen, aber das mag an meinem Berliner Umfeld liegen. Als er dann beginnt, sich über die vielen Gesten von Seiten der deutschen Regierung – Konzerte, Lichtspiele, Flaggen überall – bei gleichzeitig wenig tatsächlicher Hilfe aufzuregen, springt ihm die Staatsministerin für Kulter dazwischen. „Oah nee, das war nicht nur symbolisch!“, quakt sie dazwischen. Und es tut mir leid, aber „quaken“ ist das einzige Wort, dass mir zu diesem Zusammenhang einfällt.

Elmar Theveßen, Leiter des ZDF-Studios Washington, wird zwar zugeschaltet, hat aber nicht viel zu sagen. Ich muss zugeben, empathisch wie ich bin, macht es mich immer sehr depressiv, Journalisten zu sehen, die in Amerika „stationiert“ sind. Die haben alle keinen Lebensinhalt mehr, seit Trump das Weiße Haus verlassen musste, und sie nicht mehr täglich mit Artikeln wie „Rein theoretisch, wenn Trump morgen sterben würde – wirklich nur rein theoretisch – wäre Obama dann wieder Präsident?“ oder „Was passiert, wenn das Orange Riesenbaby sich im Weißen Haus verbarrikadiert?“ High Life machen können. Der Generalleutnant a.D. Ben Hodges kann ebenfalls nicht über die Lage in Europa reden, ohne sich über den „Sturm auf das Kapitol“ aufzuregen.

Es ist schon lustig: Vor sechs Jahren waren noch alle Nazi, die vor einer Abhängigkeit von der Türkei gewarnt haben. Und über die Anhänger der polnischen Einwanderungspolitik brauchen wir da gar nicht reden, die waren auch der Teufel höchst selbst. Mir wurde noch im Politikunterricht beigebracht, dass Polen die Demokratie im Grunde schon aufgegeben hat. Nun sind Polen und die osteuropäischen Staaten plötzlich unsere „wichtigsten Verbündeten“, wie Illner selbst sich ausdrückt, im Kampf um unsere demokratischen Werte. Und die Türkei, die bis vor kurzem noch quasi angebettelt wurde, in die EU einzutreten? Da fällt Claudia Roth nun dann auch mal auf, dass die auf ihrem aktuellen Kurs nicht ganz sauber ist.

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