„Wer früh morgens aufsteht und arbeiten geht, der ist schon so etwas wie ein Held für die Politiker. Für ihn und für sie, die sogenannte arbeitende Mitte, macht die Ampel auch angeblich Politik. Warum ist diese Mitte dann so wütend?“ Tja, was für eine gute Frage Frau Illner sich da für die Einleitung ihrer Sendung mit dem Titel: „Wütende Mitte – vergisst die Ampel die Fleißigen?“ ausgedacht hat.
Sie hat sich für die Antwort auf diese Frage verschiedenen Gäste eingeladen: Christian Lindner (FDP), Finanzminister und Arbeiterflüsterer, Manuela Schwesig (SPD), tatsächlich immer noch im Amt als Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, die erste Vorsitzende der IG Metall Christiane Benner (SPD-Mitglied), Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm und Innungsobermeister Tobias Exner, der eine Großbäckerei im Familienbetrieb leitet.
Doch eigentlich hätte Frau Illner sich das alles sparen können. So schön ihre Einleitung auch war, sie unterlag schon im ersten Satz einem großen Irrtum. Diejenigen, die in Deutschland tatsächlich immer noch morgens aufstehen, um zu arbeiten, sind für die Politiker keine Helden – sondern nützlich Idioten. Held, das ist eine Faustregel, ist für einen Politiker nur, wen sie morgens früh nach dem Aufstehen im Spiegel betrachten können. Die Kunst der Politik liegt darin, diese Abneigung gegenüber dem Pöbel nicht durchscheinen zu lassen. Ich kann jetzt schon mal verraten, dass das besonders einem der anwesenden Politiker so gar nicht gelungen ist.
„Im Endeffekt müsste ich als Unternehmer sagen, das zahlt dann der Kunde, aber diese explosionsartigen Preise auf breiter Front kann ich als Unternehmer nicht mehr auf den Kunden abwälzen.“ Das Ende vom Lied: „Und deswegen erzielen wir keine Gewinne mehr.“ Ob er das Gefühl habe, dass die Ampel die Probleme im Land verstanden habe, will Illner von ihm wissen. „Ich persönlich habe nicht den Eindruck, dass die politisch handelnden Personen überhaupt ansatzweise verstehen, was da passiert.“ Exner ist sehr ruhig und souverän, als er das sagt. Für einen Mann, der um die eigene und die Existenz seiner vielen Angestellten kämpfen und bangen muss, wirkt er beachtlich gefasst.
Weitaus weniger Haltung beweisen Christian Lindner und Manuela Schwesig währenddessen. Während dieses Satzes von Tobias Exner wird erst zu der Kamera geschaltet, die auf Lindner gerichtet ist, dann zu Schwesig in Schwerin. Zu dieser Stelle musste ich mehrmals zurückspulen. Beide haben beinahe genau den gleichen Gesichtsausdruck. Lindner sitzt Exner gegenüber und schaut in seine Richtung. Ob er es schafft, dem Mann in die Augen zu schauen, dessen Lebensunterhalt er mit seiner Politik beinahe zerstört hat, lässt sich nicht erkennen. Doch kaum zu übersehen ist das Grinsen auf Lindners Lippen. Es ist ein seltsames Lächeln, das die Mundwinkel hoch zwingt, doch die Augen nicht mit einschließt. Zum Redebeitrag von Exner passt dieser Ausdruck nicht.
Finanzminister Lindner ist schon lange nicht mehr sonderlich beliebt. Erst tritt er in eine Koalition ein, die seine Wähler sich nicht gewünscht haben, dann knickt er bei jedem grünlinken Vorhaben dieser Koalition ein, dann versagt er beim Haushalt – tja und nun kamen seine vielen Patzer im Umgang mit den Bauern. Erst die viel zitierte Aussage „Kehren Sie um, Sie haben sich verrannt“, dann der Versuch der Wiedergutmachung durch PR-Gags. In einer Rede bei der NRW-FDP erklärte Lindner, er habe ja so viel mit Bauern gemeinsam, weil seine Frau ein Pferd hat, dessen Stall er manchmal ausmiste und weil er manchmal jagen geht. Ungefähr zur gleichen Zeit veröffentlichte er zusammen mit dem Finanzministerium ein PR-Video auf Instagram, in dem er ausgerechnet von der Seite auf einen Traktor klettert, auf der dieser keine Tür hat. Von seine Brüllrede auf der Bauerndemo ganz zu schweigen.
Lindner versucht zwanghaft, sich als Teil der Arbeiterklasse darzustellen, doch damit betont er nur, wie abgehoben er geworden ist. Doch er ist fest entschlossen, seine Pechsträhne nicht enden zu lassen. Auch konfrontiert mit dem Bäcker sieht Lindner wieder seine Chance zu beweisen, wie toll er doch mit Leuten umgehen kann. Doch Lindner stellt sich an wie das überzogenste Klischee eines FDP-Politikers, das man sich ausdenken kann. Würde man Christian fragen, wie viel eine Banane kostet, antwortet er wahrscheinlich: „Ach wie viel soll das schon sein, 15 Euro?“
Illner hat derweil andere Pläne. „Es wird im Bundeshaushalt jetzt …“, will Lindner gerade seine Märchenstunde beginnen, da fällt sie ihm mal zur Abwechslung ins Wort. Als ob der Finanzminister nicht schon arrogant genug rüber kommt, hält Lindner kurz inne, schaut Illner dabei entgeistert an, winkt ihren Einwurf mit einer abwertenden Handgeste weg und setzt neu an: „Dem Bundeshaushalt den wir jetzt vorgelegt haben …“, doch Illner lässt sich nicht wegwischen und unterbricht unbeirrt noch einmal. Wieder hält Lindner kurz inne, schaut sie genervt an und setzt dann mit einer energischen Kopfgeste einfach wieder neu an. Alle guten Dinge sind drei und Illner lässt ihn vom Haken. Also erzählt Lindner munter, während Exner mit einem Schmunzeln deutlich macht, dass er ihm kein Wort glaubt.
Lindner darf kurz seine Politik bewerben, da fällt ihm Illner wieder ins Wort „Bitte nicht alles aufzählen!“ Fest entschlossen die Charmebolzen-Weltmeisterschaft zu gewinnen, platzt Lindner nun der Kragen: „Lassen Sie mich doch einen Satz mal zu Ende sprechen.“ „Ja, das wäre schon der dritte“, entgegnet Illner ihm unbeirrt und beweist: Sie kann, wenn sie will, und es ist ehrlich gesagt schon sehr unterhaltsam, ihr dabei zuzusehen.
Es ist nicht lange her, da schilderte Tobias Exner als Opfer der Ampel-Politik, wie nah am Abgrund er mit seinem Unternehmen steht. Trotzdem hält der Finanzminister es für eine gute Idee auszuführen, wie viel besser seine Politik das Leben des Unternehmers gemacht hat. Ob er denn nicht die massiven Steuersenkungen auf dem Strompreis bemerkt habe. „Herr Exner wird entlastet!“, teilt Herr Minister mit. All diese Entlastungen hätten aber ihren Preis: „Die Ampel-Regierung versucht ihr bestes, die Mitte zu entlasten, aber das hat zwangsläufig einen Verzicht auf alte Subventionen zur Folge.“ Tja und dann muss man als Bäcker eben auch mal auf seinen Gewinn verzichten, um nicht pleite zu gehen.
Herr Exner verliert langsam seine Geduld. Sein ungläubiges Schmunzeln ist ihm auch vergangen. Kann man es ihm verübeln? Es ist schlimm genug, die zerstörerischen Folgen der Politik jeden Tag auf Rechnungen oder Bankauszügen lesen zu müssen. Doch dann einen der Verantwortlichen vor die Nase gesetzt bekommen, damit der einem rechthaberisch erklärt, wie gut man es doch hat? Man muss den Mann dafür bewundern, dass er nicht über den Tisch gesprungen ist. „Ich verlange vom Staat, dass er mit meinem Geld auch gut umgeht, wie er das von den Bürgern verlangt, und ich glaube, dass der Staat sich mal limitieren muss.“
Lindner verfügt nicht über die Sozialkompetenz zu realisieren, in was für eine unvorteilhafte Lage er sich hier manövriert hat. Er hat auch nicht den Anstand, zumindest einen bedauernden Gesichtsausdruck aufzusetzen. Mit einem Mona-Lisa-Lächeln beäugt er den wütenden Unternehmer beinahe belustigt, um dann wieder im Oberlehrerton anzusetzen. Tatsächlich sei die Zahl der Beschäftigten des Staates, die Herr Exner schätzungsweise in den Raum geworfen hatte, falsch, wie Lindner ihm unter die Nase reibt. In einem wirklich widerlich arroganten Ton fragt Lindner, ob Herr Exner denn gerne auf die Bundespolizisten oder den Zoll verzichten wolle.
Christian Lindner ist nicht wirklich dafür bekannt, sonderlich sympathisch oder charmant zu sein. Doch in dieser Sendung übertrifft er jedes Vorurteil. Sein Umgang vor allem mit Tobias Exner war an Dreistigkeit und Arroganz kaum zu überbieten. Und ich kann nur wiederholen, wie beachtlich es ist, dass Exner das alles über sich ergehen lassen hat, ohne die Kontrolle zu verlieren – während Lindner, der erfahrene Talkshowgast und Redner sich so gehen ließ. Tobias Exner würde als Unternehmer ja selbst zu den oberen 10 Prozent zählen, wirft Lindner ihm aus dem Nichts an den Kopf, scheinbar um das Mitleid für ihn zu mindern. Exner streitet das ab. Abgesehen davon, dass Lindner das überhaupt nichts angeht, unterstreicht diese Szene meine These zu Beginn – diejenigen, die morgens früh aufstehen und zur Arbeit gehen, sind für die Politik nichts als nützliche Idioten. Denn wenn für Finanzminister Linder ein Unternehmer, der absolut keinen Gewinn macht, zu den oberen 10 Prozent zählt – dann will ich nicht wissen, in welchen Ecken die restlichen 90 Prozent verrecken.
Korrektur: Die Energiekosten erhöhten sich um 700.000, nicht 7.000 wie ursprünglich gemeldet.