Tichys Einblick
Der Mehltau im Studio

Bei Illner: Die Selbstgerechte

Angela Merkel hält ihre Kanzlerschaft für einen vollumfänglichen Erfolg. In ihren Memoiren lässt die Rekordkanzlerin eine kritische Rückschau vermissen. Bleibt der Nachwelt wirklich ein positives Bild von Merkel? Von Fabian Kramer

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Sie war die Mutti der Nation. 16 Jahre lang hat die „ewige Kanzlerin“ Angela Merkel die politischen Geschicke der Bundesrepublik gesteuert. In ihrem Ruhestand hat sie sich Zeit genommen, ihre Memoiren zu schreiben. Wenn Angela Merkel an diesem Abend bei Maybrit Illner auf einen Kuschel-PR-Termin hoffte, wird sie enttäuscht.

Merkels Weg zur Kanzlerschaft wird kaum angesprochen, ihr Sieg über die Männer-CDU, den sie im Buch feiert, findet keine Beachtung. Auch der folgenschwere Atomausstieg und die große Flüchtlingswelle von 2015 kommen zu kurz. Schwerpunkt der Sendung ist der Konflikt in der Ukraine und Merkels Haltung zu Russland. Diesem Komplex wird die Hälfte der Sendung gewidmet.

Merkel sieht eigene Fehler nicht

Große Staatsführer geraten nach ihrer aktiven Zeit in der Politik in einen Nachdenk-Prozess. War das eigene Handeln zum Nutzen für das Volk? Für Angela Merkel muss dieser Prozess wohl sehr kurz ausgefallen sein. Denn die ehemalige Kanzlerin hat an ihrer Politik nichts auszusetzen. Energietechnisch ist Deutschland durch die irrwitzige Energiewende auf dem Weg in die Katastrophe. Für Merkel allerdings ist der Atomausstieg nach wie vor eine runde Sache.

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Nach Fukushima sei die lange verbleibende Laufzeit der Deutschen AKWs „nicht zu verantworten“ gewesen. Warum aber? Das Fukushima-Unglück wurde durch eine Melange von menschlichen Fehlern, einem Erdbeben und einem Tsunami ausgelöst. War Ähnliches an den AKWs in Deutschland zu erwarten? Nein, die schnelle Handlung zielte vor allem auf die Wahlen in Süddeutschland. Es galt, die Grünen in Baden-Württemberg im Wahlkampf zu schwächen. Trotzdem verlor die CDU die Wahl krachend und seitdem ist Winfried Kretschmann Ministerpräsident von Baden-Württemberg.

Es gibt jedoch ein Thema, in dem Angela Merkel Fehler einräumt: Sie meint, zu wenig für den Klimaschutz getan zu haben. Tatsächlich steht Merkel in ihrer naiven Haltung zum Klimaschutz symptomatisch für die fatale Entwicklung, die ihre Partei unter ihrer Ägide genommen hat. Wo die Grünen früher der natürliche Feind der Union waren, sind sie jetzt der Lieblingspartner.

Kanzlerin der Grünen

An diesem Abend sitzt Merkel im Einzelinterview mit Maybrit Illner. Andere Gäste haben neben der ehemaligen Kanzlerin keinen Platz. Ist es ein Symbol für das Versagen der Politik Post-Merkel? Selbst drei Jahre nach ihrem Ausscheiden gibt es keinen aktiven Politiker, der ein ebenbürtiger Diskussionspartner für Merkel sein könnte.

Angela Merkel hatte schon während ihrer Amtszeit einen Hang zu den Grünen und führte die CDU auf einen Angleichungskurs, von dem weder Söder noch Merz konsequent abweichen wollen. Diese Neigung hat sich nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt noch weiter verstärkt. Die Kanzlerin fordert bei Illner ernsthaft: „Für Investitionen in die erneuerbaren Energien muss die Schuldenbremse reformiert werden.“ Das Feigenblatt, mit dem eine weitere horrende Verschuldung gerechtfertigt werden soll: Die Schulden würden ja für Investitionen aufgenommen werden und nicht für die Finanzierung von Konsum. Die Schuldenbremse war einer der wenigen konservativen Inhalte, die Merkel tatsächlich während ihrer gesamten Amtszeit verteidigte. Rückblickend gibt sie für ihre grünen Überzeugungen auch diese letzte konservative Haltung auf.

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Die großen Erfolge in ihrer Kanzlerschaft sieht die Kanzlerin im Bereich der Energiewende oder wie man es heute bezeichnen muss: Deindustrialisierung. Sie habe wie keine Zweite die erneuerbaren Energien vorangebracht und die E-Mobilität gefördert, lobt sich Merkel selbst. Die Schuld an der wirtschaftlichen Misere im Land sieht sie vor allem bei den Betrieben selbst. Diese hätten nicht genug für ihre Wettbewerbsfähigkeit getan, so Merkel, denn: „Unsere Wettbewerbsfähigkeit hängt nicht von der Politik ab.“ Das stimmt an und für sich. Doch wenn mit steigenden Steuern, Personalkosten und Umweltauflagen die Produktion immer teurer gemacht wird, liegt die Schuld nicht beim Unternehmer, wenn er nicht mit Betrieben in Indien, China oder den Vereinigten Staaten konkurrieren kann. Noch dazu kommt die Obrigkeitshörigkeit der Industrie: Merkel wurde von den Wirtschaftsbossen hofiert und umschmeichelt. Jetzt rächt sich die Rückgratlosigkeit bitter.

Doch die folgenreichste Entscheidung Merkels ist die Grenzöffnung von 2015. Sie habe damals keine Wasserwerfer an den Grenzen einsetzen wollen, sagt Merkel. Ihr Ziel sei es gewesen, ein Abkommen mit den Herkunfts- und Transitländern zu vereinbaren. Die Türkei sollte sich die Hände schmutzig machen, um Schlepper und Schleuser abzuhalten. Weil die Deals mit den Herkunftsländern erst nach geraumer Zeit geschlossen wurden, kamen viele hunderttausende Flüchtlinge ins Land, die die Gesellschaft bis heute überfordern.

Was bleibt von Merkel wirklich?

Das ist Merkels Darstellung, die Realität ist eine andere, denn die Zuwanderung geht immer weiter. Die täglichen Messerattacken, die sexuellen Übergriffe, die nächtlichen Polizeieinsätze in den Unterkünften und die Verrohung auf den Schulhöfen durch migrantische Problemfälle werden ausgeklammert.

Angela Merkel ist die wahrscheinlich effektivste Machtpolitikerin der Bundesrepublik. Mit brillantem Machtinstinkt konnte sie jede Opposition innerhalb der eigenen Partei kaltstellen. Das Ukraine-Thema wird für den kommenden Wahlkampf entscheidend sein. Für diese Sendung wäre es besser gewesen, sich auf die vergangene Politik Merkels zu konzentrieren, statt die ehemalige Kanzlerin zur aktuellen Außenpolitik zu befragen. Den Mehltau, der sich in ihren Regierungsjahren über das Land legte, spricht Illner nicht an. Er schwingt in der Sendung aber mit.


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