Stellt euch vor, es ist Talkshow und niemand geht hin – das ist einer der ersten Gedanken, der einem beim Blick auf die Gästeliste einer der letzten Illner-Sendung vor der Sommerpause durch den Kopf geht. Denn von den sechs Leuten vor der Kamera sind vier ZDF-Leute. Maybrit Illner selbst, dann die ZDF-Studio-Leiterin in London Diana Zimmermann und der ZDF-Sportstudio-Moderator Jochen Breyer. Dann ist auch noch Karl Lauterbach zum zweiten Mal in Folge eingeladen – und wenn wir genau sind, gehört der doch auch schon zur ZDF-Familie. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er zur nächsten ZDF-Betriebsfeier eingeladen ist. Immerhin die WELT-Ressortleiterin Claudia Kade ist da und der Aerosolforscher Gerhard Scheuch (TE interviewte ihn vor einigen Wochen).
Neben Ungarn wird auch über England nicht gerade nett gesprochen. Sehr zur Freude einiger der Anwesenden (vor allem in der ZDF-Fraktion) hat England ja gerade mit der Delta-Variante zu kämpfen. Die Schadenfreude, die bei den Kommentaren zur Lage in England mitschwingt, ist nicht zu übersehen. Endlich kann man es den blöden Engländern wieder heimzahlen – der Brexit ist noch immer nicht verziehen, aber nach den Impferfolgen musste die Stimmungsmache gegen England erst mal ruhen. Die Deltavariante sei übrigens gefährlicher als der „normale“ Virus. Eigentlich weiß der treue Illner-Zuschauer das, er weiß nur nicht mehr, dass er das weiß. Denn vor die „indische“ Mutante wurde eigentlich schon genug gewarnt, allerdings muss man nach der politisch korrekten Namensänderung zur Delta-Variante noch mal von Vorne anfangen. Zu schade eigentlich, ich bin mir sicher, dass zumindest einer gerne einen Witz darüber gemacht hätte, dass England mit der indischen Mutante für seinen Kolonialismus bestraft wird.
Zum Warnen hat man ja zum Glück Karl Lauterbach vor Ort, der bringt den Zuschauer schnell wieder auf Zack. Er klärt auf: „Die Delta-Variante ist ungefähr zweieinhalb bis vier mal so ansteckend wie die ursprüngliche Variante. Und sie hat leider auch noch Potential, um Impfstoff zu entweichen.“ Was Lauterbach damit sagen will, ist sie möglicherweise mit Escape-Viren zur Hyper-Delta+^3-Mutante doppelmutiert und dann Fünf Dreisechzehntel bis Sieben Komma Vier Periode Vier mal so ansteckend wird. Uff. Jedenfalls kommt die vierte Welle ganz sicher.
Das Finale nach München holen – wegen Regenbogen und Corona
Allerdings muss Lauterbach sich dieses Mal etwas zurücknehmen, denn er ist nicht der einzige Experte im Studio mit der Lizenz zum Harwäärt-Zitat. Und Dr. Scheuch lässt sich auch nicht so schnell beirren. Die Fußballspiele sieht er als ungefährlich an, weil sie an der freien Luft stattfinden. Scheuch sagt: „In der Aerosolforschung sind wir uns relativ einig, dass draußen so gut wie keine Ansteckungen stattfinden. Das gilt auch in einem Stadion.“ Lauterbach kann nicht inhaltlich widersprechen, daher geht er die Sache bildlich an, um den Panik-Spiegel oben zu halten: „In einem Milliliter Luft sind 100 Millionen Viren“ so Lauterbach. „Mehr als Deutschland Einwohner hat. Wenn man im Stadion eng beieinander steht, singt oder schreit, kann ich mir vorstellen, dass man sich auch dort ansteckt.“
Scheuch jedenfalls weiter: Im Schnitt gibt es in den Stadien „0,7 Infizierte“ und wenn man nicht gerade neben dem sitzt, ist man sicher. Die London-Korrespondentin Diana Zimmermann muss sofort widersprechen: „Die Signalwirkung, die von vollen Stadien ausgeht, ist die, dass es völlig in Ordnung ist, dicht an dicht Fußball zu schauen.“ Da frage ich mich: Ist der Auftrag, den beispielsweise eben das ZDF sich selbst gegeben hat, nicht, die Bevölkerung zu informieren und aufzuklären? Und kann man dann nicht klarstellen, dass man zwar mit mehreren Kontaktpersonen beim Spiel mitfiebern kann, man nur dafür doch bitte das schöne Wetter genießen und das draußen tun soll? Ich denke, wenn man von den Menschen verlangt bei Begriffen wie „Delta-Mutante“ hinterher zukommen, dann kann man ihnen auch durchaus zumuten, dass sie verstehen, dass es einen Unterschied macht, ob man draußen oder in einem ungelüfteten Raum ist.
Den letzten Beitrag darf dann der Sport-Experte Jochen Breyer machen. Er merkt an, dass er nicht glaubt, dass das Finale wie geplant in England stattfindet. Allerdings wäre der Ersatzort passenderweise Budapest. Da steht er jetzt vor seinen beiden größten Europa-Feindbildern und muss sich entscheiden. „Das Finale nach Budapest geben, wäre das schlechteste Signal. Wir alle wissen, wie Viktor Orban diese Europameisterschaft auch für politische Zwecke nutzt. Es würde zur UEFA passen, wäre aber fatal.“ So, so, es würde also zur UEFA passen, ein Spiel planmäßig dort stattfinden zu lassen, wie es fairerweise geplant wurde? Warum schließen wir Ungarn nicht einfach aus? Ich finde wir sollten Ungarn so lange von den Spielen verbannen, wie sie nicht nach unseren Vorstellungen Politik machen. Schließlich nutzen die sonst die Spiele für politische Zwecke aus, indem sie ohne Regenbogenflagge aufwarten. Aber wo soll das Finale denn dann jetzt stattfinden? Breyer wünscht sich: in München mit Regenbogenstadion. Und ganz ehrlich – ich finde seinen Chauvinismus getarnt hinter Regenbogenflaggen zum … Das ist so was von voll Nazi …