Tichys Einblick
Fachkräftemangel

Bei Hart aber Fair: Die Pfleger-Impfpflicht als „Riesenproblem“ – das man dennoch weiterhin ignoriert

Inmitten von Ukraine-Krieg und Impfpflicht-Debatte debattiert Frank Plasberg über den Fachkräftemangel – unter anderem mit Rainer Brüderle. Ein großer Zank lässt nicht lange auf sich warten. Die zentralen Fragen werden dennoch umschifft.

Screenshot ARD: Hart aber Fair

Ausgerechnet am gestrigen Montag will Frank Plasberg sein gewohntes Programm umwerfen. So oft hatte man bei „Hart aber Fair“ repetitiv über Corona oder die Ukraine getalkt: Und jetzt, zwischen Kriegsverbrechen in der Ukraine und großen Entwicklungen beim Impfzwang, fokussiert der Moderator seine Sendung auf ein völlig anderes Thema. „Hart aber Fair“ spricht von der „neuen Arbeiter-losigkeit“ und fragt: „Warum gehen Deutschland die Fachkräfte aus?“

„Die Unis sind voll, der Handwerkermarkt ist leer“, stellt Plasberg in seiner Anmoderation fest. Neben Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) diskutierte er mit seinem WDR-Kollegen und Verbraucherjournalisten Dieter Könnes, dem Berliner Tischlermeister und Unternehmer Simon Meinberg, der Linken-Chefin Janine Wissler und dem ehemaligen Bundeswirtschaftsminister und jetzigem Vorsitzenden des Pflege-Arbeitgeberverbandes, Rainer Brüderle (FDP).

Dass der Fachkräftemangel akut ist, merken nicht nur die von WDR-Kamerateams befragten Menschen, sondern auch die Gäste in ihrem Alltag: Wer einen Handwerker braucht, wartet oft Wochen und Monate auf einen Termin. WDR-Journalist Dieter Könnes warnt vor „Londoner Verhältnissen“. In der britischen Hauptstadt sei das Problem noch akuter als in Deutschland. „Das heißt schlicht und ergreifend, dass zum Teil halt nicht repariert wird“, legt er dar. „Die richtig guten Handwerker in Deutschland werden abgeworben, weil in London teils der dreifache, vierfache Stundenlohn herrscht.“ Das verschärfe den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften natürlich.

„Die richtig professionellen Fachkräfte sind alle gebunden“, beschreibt Tischlermeister Simon Meinberg die Situation. Er berichtet von seiner erfolgreichen Laufbahn: Er verließ in der 10. Klasse die Schule, ging in die Tischlerlehre. Es folgten Gesellenbrief, Meisterbrief und die Gründung des eigenen Unternehmens: In seinem Betrieb beschäftigt Meinberg heute über 100 Mitarbeiter. Eine moderne Handwerks-Erfolgsgeschichte, die Plasberg gar nicht so richtig ernstzunehmen vermag.

Stattdessen packt er lieber den Unterhalter aus: „Sie führen ein Unternehmen und haben kein Abi! Und das geht?!“ Fragt er einmal in gespielter Ungläubigkeit. „Frauen stehen auf Tischler“, witzelt er ein anderes mal hohl daher. Da sieht sich Heil als Feminist genötigt, auch auf die Existenz von weiblichen Tischlerinnen hinzuweisen. Dass Meinberg einen zukunftsorientierten Betrieb führt, der sich untypischerweise vor Ausbildungsbewerbungen gar nicht retten kann, ist nicht so wichtig – stattdessen diskutiert der Host lieber, wie denn die Eltern das fehlende Abi des Sohnes verkraftet hätten. Abseits davon kommt Meinberg leider selten zu Wort – dabei ist er der einzige in der Runde, der nicht studiert hat.

100.000 bis 200.000 Pflegekräfte aus dem Beruf ausgestiegen

Doch dass das Abitur in unserer Gesellschaft inflationiert wird, unterstreicht Rainer Brüderle. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister stellt fest: „Was wir jetzt erleben, ist das Resultat der Illusion, Hochschulstudium bringe ja hohes Einkommen und Sozialprestige.“ Fächer wie Natur- oder Ingenieurwissenschaften seien schwach besetzt, die Sozialwissenschaften dagegen stark – „das bringt uns allerdings keine neuen Produktentwicklungen, keine neuen Impulse“.

Er kollidiert mit seiner Sitznachbarin Janine Wissler. Die meint, man solle weniger auf Abwerbung ausländischer Fachkräfte setzen, wie es in der Runde gefordert wird, sondern verstärkt die hiesigen Arbeitsbedingungen stärken. „Ich finde man muss schonmal drauf hinweisen, dass es in diesem Land drei Millionen Arbeitslose gibt.“ Die deutschen Potenziale seien „nicht ausgeschöpft“, im Gegenteil. Man brauche bessere Löhne, bessere Arbeitszeitgesetze. Allein in den vergangenen Jahren seien 100.000 bis 200.000 Pflegekräfte aus dem Beruf ausgestiegen, die, glaubt man Wissler, sofort wieder einsteigen würden, sollten sich die Rahmenbedingungen verbessern.

Dank ihr beginnt die Runde, über die Pflege speziell zu sprechen. Brüderle jedoch wirft ihr vor, eine politische „Platte“ abzuspielen und wird schroff und unsachlich. Wissler, bebend, keilt zurück. Entnervt fragt sie irgendwann, ob Brüderle auch mal „einen anderen Ton anschlagen“ könne. Plasberg empfiehlt dem 76-Jährigen etwas mehr „Altersmilde“. Brüderle entgegnet: „Ein bisschen Altersrespekt schadet auch nicht.“ Wissler verzieht nur das Gesicht – die Alter-weißer-Mann-Energie rechts neben ihr wird wohl zu viel für die Linken-Chefin.

Auf die Frage, was denn an einer flächendeckenden Bezahlung nach Tarif schlecht sei, antwortet Brüderle, dass die Löhne in Pflegeberufen in den vergangenen zehn Jahren bereits erheblich gestiegen seien. Auch als Replique auf Wissler, die immer „mehr Geld“ fordert. Da regt sich auch WDR-Journalist Könnes auf. „Das zentrale Problem ist die Überlastung. Da spielt Geld eine völlig untergeordnete Rolle.“ Die Pfleger seien „Herzensmenschen“, denen es nicht ums Geld ginge. Wissler solle mal mit den Pflegern selbst sprechen, schreibt er der Linken-Chefin ins Stammbuch. „Wir haben noch nicht über das Thema Impfpflicht gesprochen“, wirft er auch ein: „Das ist ein Riesenproblem gewesen, da sind ganz viele Menschen aus dem Bereich noch abgewandert.“ Das heikle Thema wird dann aber lieber gemieden.

Unter’m Strich stellt Könnes fest: Es ist fünf nach, und nicht vor zwölf, was den Fachkräftemangel angeht. Umso bescheidener, dass die Redaktion das Thema selbst wohl nicht so ganz ernst nahm. Vier Akademiker sprechen über Fachkräftemangel, und die einzige Fachkraft kommt kaum angemessen zu Wort. Das führt zu einer Runde ohne Tiefgang und Profil: Dass Linke und Liberale sich selten gut verstehen, Handwerker zu wenig gehört werden und die Arbeitsbedingungen in der Pflege hart sind, wussten die meisten wohl auch schon vorher.

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