Es gibt ein Impfversagen, das wird wohl keiner mehr so recht leugnen können. Die Impfquote ist und bleibt auf absehbare Zeit so schlecht, dass Merkel schon Lockerungen an sie knüpft.
Hart aber Fair thematisiert das auf eine ganz besondere Art und Weise mit der Eingangsfrage, ob Deutschland beim Impfen versagen würde. Um diese einfache „Ja“-Frage wird dann eine Stunde lang vorsichtig wie auf Eierschalen herumgetanzt, während die Runde sich an einem schwierigen Spagat zwischen Realität und Unschuld versucht.
Bereits zum Beginn der Sendung findet man sich relativ schnell in einem bemerkenswerten Doppeldenk wieder. Nachdem die „Welt“-Journalistin Anette Dowideit die Chronik des EU-Versagens aufrollt, wendet sich Frank Plasberg an den ehemaligen SPD-Chef Franz Müntefering: „Ist dann an dieser Stelle Europa nicht das richtige Instrument, um eine solche Krise zu bewältigen?“ Doch bevor der Vizekanzler a.D. antworten kann, springt Dr. Lisa Federle dazwischen. Sie ist Pandemiebeauftragte der Stadt Tübingen und anscheinend auch „überzeugte Europäerin“. „Nein“, sagt sie – „aber es ist natürlich ein Problem für die Menschen, die bisher für Europa eingetreten sind, dass die sagen: Hier hat Europa versagt“. Das Versagen der EU, welches sie im gleichen Satz erst noch faktisch negiert hat, ist jetzt nicht das Problem der Risikogruppen, die auf Impfstoff warten, oder das Problem der Menschen, die unter verlängerten Lockdowns wirtschaftlich und persönlich leiden. Nein, ihre Sorge gilt den guten Pro-Europäern, die jetzt mit Schwierigkeiten ihre Stellung verteidigen müssen – den wahren Opfern der Pandemie.
Im „ernsten“ Teil seiner Antwort will Laumann dann in die Offensive gehen, denn natürlich: Er und die Regierung sind völlig unschuldig. Doch dieser Gegenangriff zerbricht an Lisa Federle, die dank ihrer Erfahrungen auf Kommunalebene den NRW-Gesundheitsminister direkt mal auf seinen Platz zurückverweist. Die Planung von Bund und Ländern sei desaströs, erklärt die Ärztin, und wird dabei auch vom Genossen Franz unterstützt. „Münte“ fragt sich, wie der Staat das Impfen so in den Sand habe setzen können: „Das ist mir schleierhaft“. Federle wirft ein, das liege daran, dass die selbstgefällige Regierung „den Sommer verschlafen“ habe. Auch Dr. Eckhard von Hirschhausen, Fernseh-Arzt, General-Experte und nebenher noch Klimapapst bei den „Scientists for Future“, kritisiert die überbordende deutsche Bürokratie. Er war vorher noch in einer ARD-Sendung zu Corona zu sehen und ist wahrscheinlich aus Kostengründen direkt an Plasberg weitergereicht worden.
Schwerkranke bringen wir mit dem Krankenwagen ins Impfzentrum!
Karl-Josef Laumann hat es wirklich nicht leicht in dieser Sendung, denn die Kritik, die man an der EU nicht zu äußern wagt, wird eben bei ihm als nächstbesten Kritikpunkt abgeladen. „Welt“-Journalistin Dowideit bemüht ein Beispiel aus NRW. In Köln gab es dank schlechter Planung mehr Impfstoff, als in Altenheimen geimpft werden konnte. Doch die vorzeitige Öffnung eines Impfzentrums für die breite Bevölkerung habe sein Ministerium abgelehnt. „Das konnte ich auch nicht erlauben“, wirft Laumann ein: „Weil wir dann außerhalb der RKI-Studie gegangen wären“. Was er meint: Vorgeschrieben ist, dass zuerst Bewohner von Altenheimen geimpft werden, niemand sonst. Dowideit, die zwischenzeitlich den eigentlichen Job des Moderators übernimmt und richtig kritische Fragen an den CDUler stellt, lässt nicht locker: Ein weiterer Fall, bei dem bereits aufgetaute Impfdosen außerplanmäßig geimpft wurden. Ob es nicht „ein Vorschlag“ wäre, überschüssigen Impfstoff ebenso außerplanmäßig zu impfen? Nein, sagt Laumann: „Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir uns in der Priorisierung des RKIs bewegen.“ Alles andere würde uns „ins Kraut gehen“. Wo eine außerplanmäßige Impfung mit bereits aufgetautem Impfstoff als „Grauen“ gilt, sind die bevorzugten Lösungen eben auch erwartbar schlecht.
Dann will von Hirschhausen nochmal eigenmächtig das Zepter ergreifen, spricht von der „Mär“, dass Pflegekräfte Impfungen gegenüber kritischer wären. Was wahr und was falsch ist, darf man als ÖRR-Mitarbeiter eben nach wie vor im Zweifel selbst bestimmen. Davon angestachelt, präsentiert Hirschhausen wenige Minuten später seine Lösung für das Gesamtproblem des mangelnden Impfstoffes: Sozialismus. „Haben wir eine Notfallsituation, in der ein Impfstoff auch ein öffentliches Gut ist?“, stellt Hirschhausen seine Frage suggestiv. Dass die Konzerne, die in Rekordzeit einen Impfstoff entwickelt haben, die Gewinne jetzt „privatisieren“, ist für den „Scientist for Future“ ein Unding. Die Lösung des Problems in einer Sendung, die sich mit Staatsversagen beschäftigt, lautet: Mehr Staat!
Müntefering sagt: „Wie man das so in den Sand setzen kann, ist mir völlig schleierhaft“. Klar: Das Impfversagen ist so offensichtlich, dass man es nicht mehr leugnen kann. Nur: Zu einem Versagen gehören nun mal Versager. Und wie man diese Tatsache in der Sendung umschifft, das ist das eigentlich bemerkenswerte.
Die Verantwortung wird wie eine heiße Kartoffel herumgereicht. Wer hat denn nun diese ganzen schlimmen Fehler gemacht? Das kann – und will – man anscheinend nicht identifizieren. Klar ist nur: Die EU ist es schon mal überhaupt nicht, die Bundesregierung aber auch nicht, die Länder auch nicht. Allerhöchstens haben die Konzerne schuld, die man am besten noch verstaatlichen sollte. Diese Ergebnisse sind bei einer solchen Runde auch kein Wunder, die Frank Plasberg am Ende auch noch als „munter“ bezeichnet. Als munter! Das grenzt schon an Verhöhnung der zahlreichen Verletzten zuhause, die nach spätestens einer halben Stunde ihren Kopf gegen den Bildschirm schlugen, nachdem sie zum sechsten Mal hörten, dass jetzt nicht die Zeit für Schuldzuweisungen wäre.