Tichys Einblick
Ausnahmsweise mal keine Politiker

Bei Hart aber Fair in Zeiten von Corona: Der Mensch von nebenan zu Gast

Es gibt genug „Fachleute“, die diesen ganzen Kampf gegen Corona übertrieben finden. Warum also nicht einmal solche Fachleute aufeinander prallen lassen beim nächsten Mal? Oder gibt es auch hier schon das nächste große Tabu, wie schon zuvor bei der Massenzuwanderung und der so genannten Klimakatastrophe?

Screenprint: ARD/hart aber fair

Hart aber Fair in der x-ten Ausgabe zum Thema Corona. Na klar, auch Frank Plasberg bleibt drauf. Auch Plasberg ist noch gesund. Aber ist er auch systemrelevant, also schon getestet auf Virus bzw. Anti-Körper? Erfährt der Zuschauer nicht. Schwierigste Aufgabe der Sendung: eine weitere Variante des Virus, also eine Variante eines Themas zum Virus zu finden. Plasberg löst das so bei Hart aber Fair:

„Das Virus und wir: Wie erleben Menschen unser Land in der Corona-Krise?“

Erzählen sollen das „ausnahmsweise“ mal keine Politiker, sondern der Sänger der Kölner Band BAP, Wolfgang Niedecken, der Soziologe Martin Schröder aus Marburg, die Professorin für Infektionskrankheiten an der Lunge, Susanne Herold aus Gießen, Jolanta Schlippes, eine Supermarkt-Kassiererin und der Polizeikommissar Martin Feldmann aus Berlin. Später soll noch ein Kneipenwirt dazu kommen.

Maskenpflicht gibt’s nicht bei Hart aber Fair. Aber drüber reden will man, wie das so ist im Alltag. Geredet werden soll, so der Moderator, mal nicht über Zahlen und Statistiken, sondern eine ganz einfache Frage soll im Mittelpunkt stehen: „Wie geht es Ihnen?“

Der Soziologe wird vorgestellt mit dem Satz: Wenn viele Leute Angst um ihren Job haben, könnte es eine Welle an Unzufriedenheit geben. Ja, für solche komplizierten Feststellungen bracht man tatsächlich so einen Fachmann.

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Nun wollen wir nicht altersrassistisch werden, aber wenn der Sänger von BAP klagt, dass es keine öffentliche Auftritte mehr geben kann, dann darf er sich bitte erinnern an die zehntausende von Konzerte und die Milliönchen, die er damit verdient hat. Seine viel jüngeren Kollegen trifft es ganz sicher härter. Denn denen fehlen diese Publikumsgelegenheiten, um erst noch Ruhm und natürlich auch Geld zu ernten. Hinzu kommt, dass Niedecken aus der analogen Schallplattenzeit kommt, das Geldverdienen mit Musik war damals auch noch einfacher als heute und in Zeiten von digitalen Raubkopien und Streaming-Diensten. 70 wird das Mundartraubein demnächst: Alles Gute Wolfgang, bleib gesund und mach’s wie Sido früher: trag Maske.

Die Krefelder Kassiererin saß am Morgen noch an der Kasse. Maskenpflicht auch dort beim Einkaufen. Stammkunden waren schlecht zu erkennen, sagt Frau Schlippes. Ihr kam es ein bisschen vor wie ein einem Science-Fiction-Film.

Wir erfahren weiter: Nicht nur Klopapier ist rationiert, auch Hefe ist heiß begehrt. Schön: Es wird also noch gebacken in Deutschland. Die Krefelderin erzählt, dass sie schon Kunden darauf hinweisen musste, auf ihren Einkaufswagen aufzupassen, wenn man noch ein Paket Klopapier erwischt hat. Es würde vorkommen, dass das Papier direkt aus dem Wagen „geklaut“ wird. Frau Schlippes muss vielen älteren Bürgern erklären, wie man genau die Maske zu tragen hat und dass man am besten durch die Nase atmet. Die Leute müssen also auch atmen neu lernen.

Susanne Herold muss leider sagen, das es keine großen Informationen dazu gibt, in wie weit die Selbstgenähte überhaupt schützen kann. Es ginge hier auch ein stückweit um den symbolischen Effekt.

Wolfgang Niedecken, fast siebzig Jahre, Jeansjacke, irgendwie kautzig aber nett. Gut sieht er aus nach wie vor: Grauer Bart und volles graues Haar, kratzige Stimme. Apropos Bart: Interessant wäre es mal zu wissen, wie es eigentlich mit Vollbärten und Masken aussieht, das muss doch kompliziert sein, die da noch drüber zu schieben über das wild Wuchernde.

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Der Berliner Polizist Martin Feldmann stellt fest, dass sich die Leute immer mehr rausnehmen. Wenn man allerdings gerade in Berlin Polizisten in der Öffentlichkeit sieht, dann fällt vor allem eines auf: Sie stehen oft auch ohne Not viel zu eng zusammen. Wir erfahren: Strafgelder unterliegen dem „Opportunitätsprinzip“, es ist also ein stückweit auch Auslegungssache der die Anzeige verwaltenden Bezirke, die eine Spanne hätten, so erzählt der Polizist.

Soziologe Martin Schröder, doch, wir dürfen das hier sagen, er wird dem Stereotyp auf besondere Weise gerecht, das man sich von Menschen in diesem Beruf macht. Sagen wir mal großzügig: bewusst lässig. Der Strahlemann forscht zum Thema „Zufriedenheit“, klar, muss es ja auch geben in Zeiten, in denen im Koalitionsvertrag der Kampf gegen Einsamkeit festgeschrieben wurde. Hier würde man allerdings gerne mal Mäuschen spielen und den Lohnstreifen mit dem der Kassiererin vergleichen. Was hat sie als Gefahrenzulage bekommen? Bei Penny sollen es für Teilzeitkräfte gerade einmal einhundert Euro gewesen sein, eine Frechheit eigentlich, die einen eigentlich zu Lidl zwingen sollte, wo es angeblich tausend Euro cash gab. Aber davon hat dann die Penny-Verkäuferin auch nichts, wenn man wegbleibt.

Schröder hat leider noch keine Daten zur Zufriedenheit in der Corona-Krise. Am schlimmsten sei es, das weiß er dann doch schon, dass die Menschen das Gefühl hätten, die Kontrolle über ihr Leben verloren zu haben. Allerdings würde man sich in der Krise in der Regel stärker als Gemeinschaft fühlen, das wüsste man aus Kriegszeiten, von daher ist er optimistisch. Komischer Satz.

Professorin Herold hofft auf den Sommer und ermuntert, auch an die Sonne zu gehen, denn UV-Licht sei der natürliche Feind des Virus. Herolds Terminkalender wird eingespielt. Ziemlich dicht, ziemlich anstrengend. Wird es denn wenigstens gut bezahlt? Erfahren wir nicht. Aber wenn man sich was leisten kann und auf mehr als 25 Quadratmetern irgendwo im Grünen wohnt, ist das sicher eine Motivation und auf der Terrasse bleibt man zu Hause und trotzdem im natürlichen UV-Licht.

Sympathisch die Medizinerin. War sie nicht zuletzt schon einmal bei Plasbergs Hart aber Fair oder in einer der anderen Talkshows? Egal. Frau Herold macht sich Sorgen um die Angst der Menschen vor Ansteckung. So wäre die Nachsorge für Krebspatienten enorm wichtig, aber es würden viele nicht kommen. Was für eine Abwägung, kann man da nur sagen: Denn diese Patientin betrifft die Sorge vor der Corona-Krise ja doch viel mehr als die x-beliebige 25-Jährige um die Ecke.

Werbung in Zeiten von Corona
Geldverdienen war gestern
Niedecken hat schon einen Solidaritätssong gemacht für die Corona-Helden. Na ja. Das kennt man von Fußballweltmeisterschaften, wenn sich etliche Bands mit etlichen Songs darum bemühen, den Top-Hit zum Ereignis zu platzieren. „Ihr seit die Coolsten im ganzen Land“, textet der Sänger über Feuerwehr und Kassierer. Sei es ihm gegönnt. Schöner wäre es allerdings gewesen, er hätte dazu gesagt, dass der Erlös des Songs eben diesen Menschen zugute kommt. Aber vielleicht ist das sogar so, der Sänger aber zu bescheiden, das zu erwähnen.

Schwierig für Jolanta Schlippes: Auch sie muss und will ja den Mindestabstand einhalten. Und das nicht nur für den schnellen Einkauf, sondern eine ganze Supermarkt-Schicht lang.

Wolfgang Niedecken ist gerade Opa geworden. Und er sieht sein Kind täglich, denn Tochter und Schwiegersohn wohnen bei ihm. Na, Platz genug wird er wohl haben. Sonst hätte der megaerfolgreiche Sänger was falsch gemacht. Er geht eine Stunde mit dem Hund am späten Nachmittag raus. Ja, muss auch mal erwähnt werden: Die Hunde kommen auch weniger oft raus. Wurde noch nirgends thematisiert.

Der Polizist erklärt, dass eine Polizeikontrolle natürlich nicht auf 1,5 Meter Mindestabstand funktioniert. Immerhin: Masken wären mittlerweile ausreichend vorhanden und es obliegt den Beamten, wie oft sie diese wechseln, es seien genügend Masken da mittlerweile. Der Zuschauer erfährt nebenbei, dass in Berlin mittlerweile drei Beamte in einem Auto sitzen. Zu viele brenzlige Situationen in der Hauptstadt. „Die kleine Maus“, „der Spatz“, „der Gutennachtkuss“, „das in den Arm nehmen“, Polizist Feldmann der auch junger Vater ist, scheut das emotionale Wording in aller Öffentlichkeit nicht. So kennt man die Polizei bisher gar nicht.

Kurzarbeitergeld und Subventionen
Das Paradies: Leben ohne Arbeit
Frank Plasberg wirkt im Verlaufe der Sendung doch etwas irritiert. Er lächelt verlegen, denn so wenig Kontroverse war selten. Selbst dann, wenn Kontroverse versprechende politische Gäste nicht mehr eingeladen wurden, kam es das eine oder andere Mal noch zu Debatten. Diese Sendung jetzt ist reinste Informationssendung: Hier wird nicht gestritten, sondern zugehört. Na gut. Wie hätte man das ändern können?

Vielleicht so: Es gibt genug „Fachleute“, die diesen ganzen Kampf gegen Corona übertrieben finden. Warum also nicht einmal solche Fachleute aufeinander prallen lassen beim nächsten Mal? Oder gibt es auch hier schon das nächste große Tabu, wie schon zuvor bei der Massenzuwanderung und der so genannten Klimakatastrophe?

Professorin Susanne Herold erklärt allerdings, warum viele Stimmen Gehör finden müssen: Sachlagen ändern sich. Was heute gilt, kann morgen falsch sein. Also wohl doppelt nötig, niemanden ins Abseits zu drängen.

Der Sänger klärt auf: Das einzige wo man als Musiker wirklich noch Geld verdienen kann, ist das Live-spielen. Und Wolfgang Niedecken erzählt, dass gerade in seiner Branche viele von der Hand in den Mund leben. Nun muss man allerdings eines auch sagen: Bei solche Konzerten sind eher selten die Hochrisikogruppen wie Alte und Schwerkranke im Publikum. Also doch auch hier die Einschränkungen bald mal lockern? Aber ab wann könnte das passieren?

Blick zurück - nach vorn
Blackbox KW 17 – Schluss mit den Öffnungsdiskussionsorgien!
Frank Plasberg weiß um die Zufriedenheit der Runde. Selbst die Kassierern ist erstaunlicherweise mit ihrem Gehalt zufrieden. Aber da sitzt ja die ganze Zeit über noch der Gastwirt am Katzentisch und der darf fast zum Schluss ran: Helmut ist zweifacher Familienvater. Seine zwei Kneipen in Köln sind seit Freitag dem dreizehnten per Anordnung dicht. Immerhin kann er die Abzahlungsrate für seine Immobilie aussetzen und hat das Glück noch eine Nebenbeschäftigung zu haben. Aber es wird langsam eng. Seine Gäste haben gesammelt. Das war emotional wichtig, sagt der Gastwirt.

Und dann plätschert das so dahin. Ist das nun eine gute Sendung gewesen? Sicher deshalb, weil Menschen zu Wort kommen. Sicher weniger, wenn es darum geht, die Kontroverse einmal herauszukitzeln. Abzubilden, dass es immer mehr Bürger gibt, welche die staatlichen Maßnahmen massiv kritisieren. Demos werden mit starken Polizeikräften verhindert, der Staat denkt noch gar nicht daran, die Situation zu ändern. Im Gegenteil: Immer neue Ideen einer zunehmenden Kontrolle der Bürger werden bekannt, die Telekom soll sogar schon in Taiwan gewesen sein, um sich zu informieren, wie Handy-Überwachung richtig geht. Sie sind also dran am kommenden Montag lieber Frank Plasberg. Machen Sie es richtig bei Hart aber Fair.

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