Der Einstieg in diese Ausgabe von „Hart aber Fair“ ist anders. Es soll an diesem Abend um Löhne und Lohnungleichheiten gehen. „Arm trotz Arbeit – wird sozialer Aufstieg zum leeren Versprechen?“ Es soll eine coronafreie Sendung werden. Anstelle knackiger Einführungsworte und einer Eröffnungsrunde beginnt Plasberg dieses mal ungewohnt persönlich.
Denn zu Beginn der Sendung widmet sich Plasberg ausführlich seinem Gast Djamila Kordus. Sie ist alleinerziehende Mutter aus Berlin und arbeitet als Lageristin. Sie berichtete in der Sendung vom alltäglichen, schwierigen Balanceakt zwischen Vollzeitjob, Rechnungen bei 10,64 Stundenlohn zu zahlen und ihrer kleinen Tochter ein Vorbild zu sein. Sozialhilfe will sie nicht in Anspruch nehmen – auch, wenn sie trotz Arbeit nur knapp mehr als das Arbeitslosengeld verdient. Ich möchte das überhaupt nicht“, meint sie entschieden. „Ich bin so großgeworden, dass Arbeit das wichtigste ist und ich bin ja auch ein Vorbild für mein Kind.“ Was kann man tun, damit Menschen wie Frau Kordus mehr von ihrer Arbeit haben – das ist die Frage, mit der sich die Runde beschäftigen soll.
Auf der einen Seite sehen Heil und Friedrichs. Letztere ist als Autorin von Büchern wie „Working Class“ bekannt, deren Ton simpel gehalten ist: Die „Eliten“ und die Reichen sind immer die Bösen und unverdient an ihr Vermögen gekommen, die Armen sind ausnahmslos unverschuldet arm. Eine Denkweise, auf die auch Heil sich streckenweise einzulassen scheint – immerhin ist er SPD-Minister, und mit genug Sozialpopulismus kann man vielleicht doch noch ein oder zwei Prozent gewinnen. Er fordert einen Mindestlohn von 12 Euro und ist auch bereit, die Regeln etwas zu biegen. Er will der Mindestlohnkommission nichts vorschreiben, beteuert er – sondern lediglich die vorgegebenen Entscheidungskriterien ändern. Im Land mit der höchsten Abgabenlast weltweit beklagt der Arbeitsminister ernsthaft zu geringe Einkommen. Sein Lösungskonzept: Noch mehr Regulierungen, noch mehr Staatsvolumen.
Sollen sie doch Midlife-Bafög essen
Das will ihm Arndt Kirchhoff nicht durchgehen lassen. Der Arbeitgebervertreter aus NRW widerspricht Heils Phantasien direkt. „Wenn Herr Heil das, was er jetzt vorgeschlagen hat – zwölf Euro – durchsetzen will, dann setzt er 200 Tarifverträge obsolet, das heißt, die überrollt er einfach“. Diese grobe Missachtung der Tarifautonomie sei sogar verfassungswidrig, meint Kirchhoff. „es hat sich zu wenig getan in dem Bereich. Und deshalb ist das kein Bruch der Verfassung, sondern es ist ein Schritt, der notwendig ist“, entgegnet Heil. Anstelle von juristischen oder generell sachlichen Argumenten treten Gefühle und subjektive Notwendigkeitsvorstellungen des Ministers.
Dank eingespielten Videos schwebt die Runde zeitweise in den schönen 60er Jahren, in der soziale Marktwirtschaft, Aufstieg und „Wohlstand für alle“ galten, oder sie ergeht sich in Gerechtigkeitsdebatten. Es ist Djamila Kordus, die den Kern des Problems anspricht: „Alles wird teurer, nur der Lohn wird nicht angeglichen“. Die Inflation als Killer früherer Ideen von Aufstieg und den Kindern, die es einmal besser haben als man selbst, wird nicht deutlicher zur Sprache kommen als in diesem Satz. Mal wieder wird beim WDR die Chance auf eine echte Debatte versäumt – so gleicht die Runde einem Schlagabtausch im inhaltlichen Nichtschwimmerbecken über den Kopf von Djamila Kordus hinweg. Sie ist Geringverdienerin, nicht Politiker oder Journalistin und kann trotzdem – oder gerade deshalb – an diesem Abend die inhaltlich solidesten Punkte machen.