Dieser Themenwechsel kurz vor Sendebeginn bei Hart aber fair ist wahrscheinlich exemplarisch für Zustand und Situation in Deutschland: Ursprünglich sollten Trump und die Aufstände auf Amerikas Straßen besprochen werden, aber dann wurde kurzfristig auf die explodierenden Corona-Ansteckungen bei Fleisch-Tönnies umgeschaltet. Das ist aktuell sicher bei weitem nicht so interessant wie der Mob auf den Straßen der USA im Fokus der räuberischen Randale in Stuttgart – war das ein zu heißes Eisen?
Nun also Fleisch von Tönnies anstelle einer mutmaßlichen Zerfleischung von Trump bei Hart aber fair. Ist der Chef der Großschlachterei eingeladen, sich zu erklären? Zunächst einmal erleben wir erneut die unvermeidliche Dauerwahlkampfhilfe der Öffentlich-Rechtlichen für eine kommende schwarz-grüne Bundesregierung. Ja, man muss sich fragen, wer schamloser ist, die Sendungsmacher oder die eingeladene Katrin-Göring-Eckardt (Grüne). Und weil Tönnies und Corona in NRW kollidiert sind, soll Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann etwas dazu sagen, soll erklären, wie es dazu kommen konnte, dass jetzt über 1.500 Mitarbeiter eines Großbetriebes infiziert sind und sich weitere 6.000 in Quarantäne befinden.
Und während diese Zeilen hier getippt werden, schaut der Sohn des Autors über dessen Schulter auf zwei Leberwurstbrote mit Gurkenscheiben und verdreht gleich die Augen: „Das ist sowas von gestern.“ Und die Erkenntnis gleich hinten dran: „Leberwurst wird es nach Euch nicht mehr geben. Das stinkt ja schon richtig nach Tod.“ Klar, dafür gibt’s was zwischen die Rippen mit letzter Kraft. Aber danach schmeckt das Brot mit der feinen Wurst aus dem goldenen Kunstdarm für 0,99 Cent nur noch halb so gut. Also nur noch eine der beiden Scheiben: Die andere hatte sich während der kurzen interfamiliären Debatte schon der Hund geschnappt, nun liegt er satt, aber verschämt und mit eingezogenem Schwanz unter dem Sofa. Auf den unerlaubten Genuss folgt also auch beim Tier das schlechte Gewissen.
Aber zurück zu Hart aber fair. Frank Plasberg hatte vor Wochen schon einmal das Fleischverarbeitungsthema auf der Tagesordnung, damals durfte sich der grüne Robert Habeck profilieren und beim Zuschauer bewerben als irgendwas in der kommenden Bundesregierung. Schauen wir mal rein, wer noch dabei ist in der so kurzfristig anberaumten Sendung anstatt des von der Migrantifa in Stuttgart kontaminierten Trump-Themas.
Aber hören sie ihn selbst im O-Ton, wenn er zunächst davon erzählt, dass die vorgeschriebene Zeiterfassung in den Betrieben „in einer solchen Sauklaue aufgeschrieben wurde“, dass er selbst dabei auf die geniale Idee kam: „Jetzt brauchen wir da eine digitale Zeiterfassung.“ Dass es zwischen Sauklaue und digitaler Erfassung früher die gute alte Stempelkarte gab: geschenkt.
„Also der Tönnies kann ihnen sagen,“ so Laumann weiter, „wie andere Schlachthöfe auch: Wenn sie eine Mettwurst kaufen, von welchem Schwein die Mettwurst kommt.“ Er könne aber keine digitale Zeiterfassung machen. Und würde man keine digitale Zeiterfassung machen, dann wäre das auch mit dem Arbeitschutz problematisch, „wie werden die Arbeitszeiten eingehalten? Dann kann der Zoll nicht gucken: Wird der Mindestlohn eingehalten.“
Aber der Minister verspricht: „Das kommt jetze“. Und weiter: „Das Verbot der Werkverträge muss in der Fleischindustrie kommen. Denn erst dann, wenn die Menschen fest angestellt sind, werden sie doch zum Beispiel irgendwann in eine Gewerkschaft gehen. Dann wird es mal irgendwann Tarifverträge geben. Dann werden sie mal irgendwann einen Betriebsrat wählen. Das kann doch nicht sein, dass eine Firma in Deutschland, wo 7.000 Menschen arbeiten, betriebsrats- und gewerkschaftfrei ist, weil man es so organisiert hat“, schimpft Laumann und hat damit natürlich vollkommen Recht. Aber warum bloß hat er die Jahre vor der Corona-Masseninfektion bei Tönnies still seine Mettwurststullen in der ministerialen Mittagspause gegessen und dieses ihm so wichtige Anliegen nicht schon damals einfach mal zu seinem gemacht? Offensichtlich waren auch Laumann die 7.000 Menschen bei Tönnies bisher vollkommen Wurst.
„Dieser Sklavereivergleich, mittlerweile ist da ja typisch. Entweder kommt ein Nazivergleich oder ein Sklavereivergleich. In meiner Zeit, als ich groß geworden bin, war das verpönt. Warum? Weil man das als Verharmlosung der eigentlichen Taten von Nazis und Sklaventreibern genommen hat. Das geht so nicht. (…) Sklaven wurden früher entführt und unter Folter zur Arbeit gezwungen. Hier kommen Polen, kommen Rumänen, kommen Bulgaren, das ist alles EU-Ausland, die kommen im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit freiwillig her, um diese Arbeit zu verrichten.“
Das ginge ihm sowas von gegen den Strich mit solchen Vergleichen.
Butter bei die Fische: Den Sklavereivergleich hatte der zugeschaltete Pfarrer Peter Kossen gebracht, der nun erwidern darf. Kossen übrigens hatte sich schon weit vor Corona über die Zustände in den Betrieben empört. Eine Zeitung zitierte Kossen bereits im August 2018: „Schluss mit der Sklaventreiberei in der Fleischindustrie.“ Also zu einem Zeitpunkt, als von Boetticher wie auch Minister Laumann dafür noch gar nicht auf die Barrikaden gegangen sind.
Die grüne Ernährungsrevolution in Person von Göring-Eckardt schweigt derweil erstaunlich lange, sie holt wohl Luft und sammelt Zeit auf ihrem Redekonto, damit der Schwall anschließend umso größer ausfallen darf – ein Schweigen also, wie eine Bedrohung.
„Das hat fließende Grenzen eben auch zum Frauenhandel. Das ist ein Menschenhandel mit dem man mehr Geld verdient als mit dem Drogenhandel. Und ein ganz schäbiger Teil davon ist der Frauenhandel, der geht hin bis zur Zwangsprostitution, das sind nämlich auch Frauen und Mädchen aus Rumänien und Bulgarien in großer Zahl hier bei uns in Deutschland.“ Also moderne Sklaverei so: Männer in die Schlachterei und Frauen in die Bordelle?
Was das alles mit den Corona-Infektionen bei Tönnies zu tun hat, wird auch nicht klarer, wenn hier noch Kinderpornografie oder AfD-Bashings dazugekommen wären. Der Pfarrer echauffiert sich. Und er kommt damit durch. Unterstützt wird er noch von einem heimlich bei Tönnies-Fleisch aufgenommenen Video aus der Tönnies-Kantine, wo die Leute noch mitten im Lockdown dicht an dicht sitzen müssen, was man dem stinkreichen Betreiber tatsächlich um die Ohren hauen möchte, immerhin profitierte er davon, weiterarbeiten zu dürfen, weil seine Produkte systemrelevant sind. Wer sich nicht spätestens in so einer Situation für seine Mitarbeiter stark macht, der hat zurecht mindestens ein Quantaum Zorn des bei Hart aber fair zugeschalteten Gottesmannes verdient. Amen.
Karl Lauterbach erinnert daran, dass man schon vor den deutschen Corona-Ausbrüchen in den USA von solchen Ausbrüchen in Betrieben wusste und die in Deutschland eigentlich längst schließen oder als Hochrisikobereiche hätte einstufen müssen.
Plasberg fragt, wer eigentlich dieser Clemens Tönnies mit seinen sieben Milliarden Euro Umsatz wäre, der auch im Aufsichtsrat von Schalke 04 säße. Da fällt einem kurz der Ulli Hoeneß von Bayern ein, hatte der nicht auch mit Fleisch zu tun? Fußball und Fleisch, gibt es da eine bisher zu wenig beleuchtete Koalition? Plasberg will dazu wissen: „Stinkt der Fisch vom Kopf?“
Und er meint damit tatsächlich den Unternehmer, der gerade so in der Kritik steht. Das ist übrigens ein typischer Plasberg: Der Moderator trat in der Vergangenheit öfter mal da empfindlicher zu, wo schon einer am Boden lag, wo er also damit rechnen konnte, dafür nur noch Wohlwollen zu bekommen von der Empörungsgesellschaft. Jetzt ist dieser Clemens Tönnies schon ein echter Haudegen oder für andere ein ziemlich gigantischer Widerling. Seine Kommentare zur Entwicklungshilfe und dem Vermehrungsverhalten von Afrikanern beispielweise hätten jetzt sicher zum Sturz seiner Statue geführt, würde es schon eine öffentliche aufgestellte Statue geben. Aber Tönnies hat noch ganz andere Probleme.
Der Journalist in der Runde ist Michael Bröcker und der weiß um eine Freundschaft zwischen Hoeneß und dem Milliardär Tönnies. „Er spürt jetzt, dass alleine die Wirtschaftskraft und Menschen Jobs zu geben nicht mehr ausreichen, um von der Politik vielleicht nicht irgendwie adäquat kritisiert zu werden. Ich glaube das System Tönnies ist beendet. (…) Er steht beispielhaft für eine Branche, der es aus meiner Sicht zu Recht an die Kandare geht.“ Für Bröcker ist, was gerade passiert, der „Fukushima-Moment der Fleischindustrie“. Der Journalist weiß natürlich, dass seine Existenz in dieser Runde schon ein paar solcher Zuspitzungen als Legitimation bedarf.
Katrin-Göring Eckardt ist endlich mal dran und singt das schrille grüne Lied von Corona als Chance für Veränderungen, die nun endlich verwirklicht werden könnten. Wer hier eine Weile zuhört, der schaut in eine verschwommene zwar, aber in eine Glaskugel ins Jahr 2050: Überall in diesem Land, das einmal Deutschland war, stehen Denkmäler für Corona. Die Corona-Gläubigen beten zu einem vergoldeten Virusmodell in Kirchen, die einmal von Christen besucht wurden. Oder ähnlich Bescheuertes.
Und dann wieder – es muss leider so hart formuliert werden: – der Widerling in Plasberg, der Christian von Boetticher als Vertreter der Ernährungsindustrie das Wort erteilt, nur um diesen dann nach allen Regeln der Unterbrechungskunst einfach nicht zu Wort kommen zu lassen, während er dabei ein paar Schritte von seinem Tresen weg auf den Gast zugeht. Damit hat er zuletzt schon einmal einen Vertreter der Fleischbranche sprachlos zurückgelassen, als er ihm deutlich zu nahe kam – auch im physischen und in Zeiten von Corona tatsächlich gefährlichen Sinne. Eine anhaltende Übergriffigkeit und dann ist Plasbergs große schwielenfreie Hand auf dem Tresen des Gastes angekommen. Und wenn Plasberg seine Spitze gegen den Mann setzt, dann schaut er einmal sogar applausheischend zur Grünen rüber. Die Kamera fängt es ein: wirklich schwer unangenehm.
„Wir haben viele Menschen wieder in Arbeit gebracht auch über Werkverträge“, verteidigt von Boetticher ein Modell der Branche und Lauterbach antwortet ihm exemplarisch für diese religiöse Bewegung der Corona-Verehrer: „Aber der Punkt ist jetzt, wir brauchen das nicht mehr.“
Göring-Eckardt betont zum Schluss noch einmal den Schaden am Gesamtsystem: Die Discounter würden den Preisdruck machen und alibimäßig ein bisschen Bio-Fleisch mit ins Regal schmeißen. Es müsse endlich politisch reguliert werden und das sei doch auch möglich über einen Mindestpreis für Fleisch. Es soll nicht mehr dieses „Raushauen vom Billigsten“ sein, dass will Göring-Eckardt nicht mehr im Sinne der Arbeiter und auch der Tiere, die darunter leiden würden.
Überlassen wir der Grünen ausnahmsweise einmal das letzte Wort: „Man muss das System jetzt von verschiedenen Seiten anpacken, weil es einfach so ne Grütze ist.“ Ja, so klingt politische Kompetenz 2020. So klingt die Zukunft dieses Landes ohne diese widerlichen Arbeitsplätze, ohne diesen doch nur zum Fleischkonsum verführenden Wohlstand, aber mit aller Dankbarkeit an dieses Virus, das die Welt schon jetzt soviel besser gemacht hat – wir wissen es nur noch nicht. Aber immerhin ist heute schon eine App nach ihm benannt worden.