In welche Richtung es gestern Abend bei „Hart aber Fair“ gehen sollte, wurde eigentlich schon beim Blick auf den Titel klar. „Verzeihung, wir haben da eine Frage: Scheitert Deutschland in der Krise?“ Genauso leitet Plasberg auch die Sendung ein – schon zu Beginn entschuldigt man sich dafür, überhaupt nachzufragen. Doch seien Sie vorgewarnt: Kritischer als dieser Titel wird es in 60 Minuten kaum noch werden.
Dafür sorgt die hochkarätige Besetzung der Runde. CDU-Bundestagsabgeordneter Norbert Röttgen sitzt mit ursprünglich vier weiteren Gästen zusammen, mit denen das totale Staatsversagen in der Pandemie augenscheinlich diskutiert werden soll. Der zugeschaltete Klaus von Dohnanyi wird wegen technischer Probleme nicht zu Wort kommen – Plasberg erklärt im Verlauf der Sendung, dass der Computer des 92-Jährigen gecrasht sei. Ob von Dohnanyi die eine kritische Stimme gewesen sein könnte? Das steht in den Sternen. Auf jeden Fall hätte ihm kein einziger Anwesender wirklich Konkurrenz gemacht.
Denn eigentlich sind sich (fast) alle schnell einig: Schuld am mehrfrontigen Corona-Desaster haben lediglich die Ministerpräsidenten. Im Grunde bestätigen so alle das, was Merkel im Gespräch mit Anne Will deutlich machte. Den Anfang macht direkt zu Beginn Norbert Röttgen, der sich anscheinend so einige Fleißsternchen bei seiner Kanzlerin verdienen will. „Es war noch nie so gefährlich, wie es jetzt beginnt zu werden“, proklamiert er zum Warmwerden. Deswegen sei nun auch nicht die Zeit für Dissens und Diskussionen. Die Ministerpräsidentenkonferenz als Format habe sich als „dysfunktional“ erwiesen: Sie funktioniere nicht mehr, weil sie keine „angemessen“ Ergebnisse produziere, meint der Parlamentarier (was bedeutet dieser Maßstab eigentlich für den Bundestag?). Und er stellt ein Ultimatum: Wenn nicht in der Woche nach Ostern „angemessene“ Ergebnisse vorliegen würden, werde der Bund sich über den Bundestag die Ermächtigungsvollmachten in Puncto Pandemiebekämpfung selbst erteilen. Was Röttgen als Rückeroberung von parlamentarischer Mitbestimmung verkaufen will, entpuppt sich schnell als das, was es ist: Mit Regierungsmehrheit soll vor allem die Macht der Regierungschefin gestärkt werden. Röttgen teasert ein neues Gesetz an, welches de facto genau das bezwecken und den Föderalismus aushebeln soll – zugunsten einer zentralistischen Lösung, bei der Kanzleramt und Gesundheitsministerium direkt über Lockdowns verfügen. Es riecht nach Großangriff des Merkellagers auf jeden Widerstand.
War nicht bisher jede Phase der Pandemie die angeblich gefährlichste?
Lediglich Matthew Karnitschnig, Europa-Korrespondent des US-Magazins „Politico“, sorgt für den gelegentlichen „reality check“. „Ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Menschen glaubt, dass wir vor der gefährlichsten Phase der Pandemie stehen“, erklärt er in einer Replique auf Röttgen – bisher sei nämlich jede Phase die „gefährlichste Phase“ gewesen. Er ist auch der einzige, der de facto das Thema der Veranstaltung trifft, er kritisiert Test- und Impfdebakel. Warum man die Verantwortung für die Impfstoffbeschaffung an Ursula von der Leyen übertragen hätte, die sich mit Beschaffungsprojekten „in der Vergangenheit ja nicht exponiert hat“, wirft er zum Beispiel in den Raum – doch das verhallt, genauso wie jeder andere Versuch, den Elefanten im Raum zu benennen. Röttgen ruft lieber dazu auf, nach vorne zu blicken (immerhin war es noch nie so gefährlich, wie es jetzt beginnt zu werden!) Und gibt die Kritik direkt an Kartnitschnig zurück. In Wirklichkeit habe dessen Berufsstand, habe die Presse versagt – weil sie die Bevölkerung nicht auf den richtigen Kurs einstimme. Die regelrechte Verachtung, mit der Röttgen über Pluralismus, Föderalismus und grundliegende Verfassungs- und Demokratieprinzipien spricht, ist entlarvend.
Die Runde beendet Plasberg mit einem Softball an Münkler – wer wird denn jetzt der Kanzlerkandidat der Union? Das werde auf jeden Fall der besser performende Söder, befindet dieser wenig überraschend. Plasberg fragte, sicherheitshalber, auch erneut nach, ob jetzt wirklich „die richtige Zeit für Diskussionen“ sei: Hier bei „Hart aber Fair“ gibt es keine Diskussion mehr, weder hart noch fair, möchte man dem Moderator nach diesem Merkelzustimmungsmarathon ins Gästebuch schreiben.