Die Ferien sind nun auch für Anne Will vorbei und so wurde die Talkshow gestern Abend vorzeitig aus dem Winterschlaf geholt. Das Thema – was hat man anderes erwartet – natürlich Corona. Und so diskutierten Will und ihre Gäste unter dem Motto „Wenig Impfstoff, hoch ansteckende Virus-Mutation – mühsamer Start ins neue Jahr“. Wobei von diskutieren nicht wirklich die Rede sein kann. Viel eher handelte es sich um eine Informationsveranstaltung im Schulklassenstil, in der ein Schüler von der Kandidatur als Klassensprecher träumt und die amtierenden Klassensprecher keinen blassen Schimmer haben, was in der Schuldordnung steht.
Die Gäste waren trotz Lockdown und umgehender Corona-Mutation sehr zahlreich im Studio erschienen – mit Abstand, aber ohne Maske versteht sich. Mit dabei war zum Beispiel Melanie Brinkmann, Professorin für Virologie. Sie erklärte, dass sie aus virologischer Sicht zwar noch keine endgültige Einschätzung geben könnte, aber davon ausgehe dass die Virus-Mutation ansteckender sei. Bei einer Sendung, bei der „hoch ansteckende Virus-Mutation“ schon im Titel steht, war aber wohl kaum etwas anderes zu erwarten. Weiter sagte sie, dass die Schulschließung ein Politikversagen sei. Ihrer Meinung nach hätte man das Virus schon im Oktober bremsen müssen, um das zu verhindern. Jetzt plädiert sie dafür, den jetzigen Lockdown zu nutzen, um einen weiteren zu verhindern, indem man dem Virus „eins auf den Deckel“ gebe. „Wir müssen noch mal richtig draufhauen.“ sagt die Virologin mit dem leichten Hang zum Martialischen.
Zwischen einer Ermüdungsrede nach der anderen, hätte man beinahe den wichtigsten Beitrag des Abends verpasst. Es geht um die Impfung, Israel ist hierbei Musterbeispiel, in wenigen Monaten will man hier die gesamte Bevölkerung durchgeimpft haben. Den Vorwurf muss sich die Politik schon seit Wochen gefallen lassen – jetzt hat man triftige Gegenargumente entwickelt. Montgomery rechnete zum Beispiel vor, dass der Preis, den Israel für die Impfdosen zahlen musste, um das Vierfache höher sei und Deutschland durch das Warten um die 7 Milliarden Euro gespart habe. Wohlgemerkt 7 Mrd. Euro – Mannoman, da haben die tausende Menschen, die an jedem weiteren Tag des Lockdowns ihren Job verlieren können oder ihren Betrieb auflösen müssen, ja echt Glück gehabt. Oder wie der ebenfalls anwesende Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff sagt: „Wir können das neue Jahr mit einem Hallelujah beginnen!“.
Dann schießt Haseloff den Vogel aber ab, denn er setzt noch einen drauf. Seiner Meinung nach dauert das Impfen in Deutschland länger als in Israel – weil wir ein Rechtsstaat sind. Gemeint ist: In Deutschland müsse man ja schließlich die Patientenerklärung jedes einzelnen abwarten, bevor man ihn impfen kann. Da ist Israel natürlich drastischer. Die warten bis Nachts alles schläft und schicken dann den Mossad mit Spritzen bewaffnet in die Schlafzimmer. Wir können uns also glücklich schätzen, dass wir den heilbringenden, alles könnenden, rettenden, patriotischen „Pieks“ nicht gleich abbekommen. Dass sie sich innerhalb weniger Minuten in ihrer eigenen Logik diametral widersprechen – wen interessiert’s.
Manuela, was wenn uns einer sieht?
Aber wie Eingangs erwähnt, war Haseloff nicht der Einzige, der mit einer beiläufigen Bemerkung tief blicken ließ. Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, dachte wohl, es sei ratsam, ihr Gesicht verbunden mit einem neuen Thema in die Medien zu bringen. Schließlich ist der Skandal um ihre Klimastiftung mit Gazprom noch warm. Doch während sie scheinbar kein Problem darin sieht, deutsche Politik von Gazprom-Geldern finanzieren zu lassen, stört sie anderes viel mehr.
Zugegeben: Ich hielt es eigentlich eher für gang und gäbe, dass man in einer Talkshow seine Meinungen und Positionen auch begründen muss – schon alleine weil es sonst nicht viel gäbe, über das man talken könnte. Aber jetzt erkenne ich, wie hart das Leben als Politiker ist. Immer diese blöden Fragen. „Manuela, wo kommt das Geld her?“, „Manuela, was läuft zwischen dir und den Russen?“, „Manuela, ist das nicht Korruption?“, „Manuela, was wenn uns einer sieht?“, „Manuela, aber das Grundgesetz“. Sollen sie doch froh sein, dass sie sie noch nicht mit „Eure Exzellenz“ ansprechen müssen.
Nebenbei bemerkt war auch Martin Knobbe, der Leiter des Spiegel-Hauptstadtbüros anwesend, aber er durfte nicht sonderlich viel reden.
Es war eine traurige Veranstaltung. Ich mag vielleicht naiv sein, aber ich dachte immer, dass in einer Talkshow diskutiert wird. Natürlich würde das aber schonmal voraussetzen, dass die Gäste wenigsten in ein paar Punkten unterschiedlicher Meinung sind. Aber von Meinungen kann eigentlich gar nicht die Rede sein, im Grunde wurde nur der geheiligte Konsens rezitiert. Die allermeiste Zeit antworteten alle nur den Fragen, die Anne Will ihnen stellte, unter einander wechselten die Teilnehmer kaum ein Wort. Es hätte so viele wichtige Themen zu besprechen gegeben, so viele Kontroversen hätten ausgetragen werden können. Aber die Lautstärke der gestrigen Sendung entsprach etwa dem Summen von Fliegen.