Tichys Einblick
Schaut Europa weiter hilflos zu?

Bei Anne Will: Syrien – Strategie für Dummys

Leider ist es uns trotz diplomatischer Bemühungen nicht gelungen, den Besprechungskelch an uns vorübergehen zu lassen. Trotz schlüssiger Argumente. Denn Anne Will kann außenpolitisch nur Trump, und das kennen wir ja schon zur Genüge.

Screenprint: ARD/Anne Will

Was soll bitte dabei herauskommen, wenn zwei Repräsentanten der Atlantikbrücke, die immer noch voll im Stellungskrieg auf der Clinton-Linie steckengeblieben sind, ein Sympathisant ebendieser Organisation, eine Vertreterin der Linkspartei und eine Staatsfunkerin uns die Lage in Syrien erklären wollen, für die selbst der schwer vermisste Peter Scholl-Latour eine eigene Sondersendung gebraucht hätte? Nichts. Außer: Trump ist schuld.

Generalleutnant a. D. Ben Hodges darf absprachegemäß den US-Rückzug von 50 Mann aus dem Grenzgebiet zur Türkei als „verhängnisvollen Fehler“ bezeichnen, die ARD-Korrespondentin im Iran, Natalie Amiri, darf uns erklären, dass Trump „keine Ahnung von der Region hat“, „planlos“ sei, und „nicht zuhört“. Jedenfalls hört er wohl nicht mal Norbert Röttgen von der CDU zu, obwohl der regelmäßig in den USA ist. Jedenfalls war unser Herr Röttgen genauso überrascht vom Waffenstillstand am Donnerstag wie sein Kollege im US-Senat. Und die „13 Punkte“, die die Waffenruhe regeln, sind „der Tiefpunkt amerikanischer Außenpolitik“ – dafür bekommt Röttgen Beifall vom sorgfältig ausgesuchten Publikum.

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An Sevim Dağdelen zeigt sich das ganze Elend der deutschen Politik in der Welt. Keine eigenen Interessen außer Moral-, Waffen- und Industrie-Export. Stattdessen Partikularinteressen unterschiedlichster Zuwanderergruppen, für die sich unsere Regierung einsetzt. Oder, um Natalie Amiris Worte über Trump zu übertragen: Unsere Politiker sind planlos, haben keine Ahnung von der Region und sind beratungsresistent, führen aber überall das große Wort. Dağdelen nämlich vertritt, verständlich, einerseits die Position der Kurden, deren Ethnie sie angehört. Als solche kann sie sogar differenzierter argumentieren als Röttgen und Co.: Trump wisse sehr wohl, was er tut, und habe sich mitnichten von der Türkei über den Tisch ziehen lassen, wie Diplomjournalistin Will glaubt. Sein Ziel: Die Türkei auf Biegen und Brechen in der NATO zu halten (Genauso wie Trump habe sich die Regierung Merkel geäußert). Dennoch sei das Zulassen des türkischen Angriffs „ein Armutszeugnis für die westliche Welt“, denn Dağdelen gehört der neuen SED (Linkspartei) an, die zwar viel von westlichen Werten (Demokratie und so) redet, aber die NATO eigentlich weghaben will.

Wolfgang Ischinger, wie Röttgen von der Atlantik-Brücke, wollte denn auch nicht behaupten, Trump habe sich über den Tisch ziehen lassen, „es ist ja noch im Fluss“, außerdem wollten die Amis sich auch schon vor Trump aus Syrien zurückziehen. Hört, hört. Trotzdem beteiligt er sich am Trump-Bashing, schließlich sitzt er ja nun im Staatsfunk.

Völlig zur Farce wird die Sendung dann, als die Rolle der EU im Konflikt angesprochen wird. „Hätte Europa…?“ fragte Will irgendwas. „Natürlich“, sagte Ischinger. „Die Amerikaner haben schon 2011 eine Schutzzone für die Kurden – gemeinsam mit der EU – vorgeschlagen.“ Schweigen am Brüsseler Buffet. Nicht mal einen Sondergesandten gebe es. „Jetzt ist es zu spät“. Assad sitze im Sattel, und Ischinger bemitleidet schon den deutschen Botschafter, „der dem Massenmörder die Hand schütteln muss“.

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Jetzt ist es zu spät? Nicht für Norbert, denn der muss ja auch für was gut sein. Natürlich ist er nicht so doof, dass er nicht wüsste, dass die EU sich nicht mal auf ein Waffenembargo einigen kann, aber er hat eine Idee: Eine E3-Konferenz, mit England, Frankreich und Deutschland. Das ist nicht ohne Humor, denn es bestätigt von einem Vertreter der Regierungspartei wieder einmal die völlige Nutzlosigkeit der EU, und andererseits erlaubt es uns einen Blick in die Geschichte. Die Grenze zwischen der Türkei und Syrien, wo es gerade knallt, wurde von den Engländern und Franzosen nach dem WK I gezogen, und zwar eigentlich sinnlos, dafür entlang der Bagdadbahn. Und die bauten die Deutschen.

Es blieb Frau Dagdelen von der kommunistischen Partei überlassen, eine weitere Ursache des aktuellen Konflikts zu benennen. Die Regime-Change-Politik der Amerikaner vor Trump. Mit „Assad muss weg“ und Waffen für Aufständische, die EU immer im Schlepptau. Außerdem sei der IS erst durch die US-Politik im Irak entstanden.

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Das konterte Ischinger mit „Realpolitik“ und „Strategie“, wobei „unser strategisches Interesse“ darin identifiziert wurde, die Türkei nicht „in die Arme unserer russischen Freunde“ (Ironie des alten Diplomaten, haha) zu treiben. Ach, die Atlantiker! Stehen geblieben im Anno Dunnemals, am Pazifik spielt doch längst die Musik, nicht am Atlantik. Auch Röttgen erzählte von „unseren nationalen Sicherheitsinteressen“, aber was das sein soll, kam nicht heraus. Es hörte sich ähnlich an wie der Spruch von Peter Struck, SPD, unsere Freiheit würde am Hindukusch verteidigt. Natalie Amiri, Tochter eines Persers, durfte der EU dann noch vorwerfen, die habe auch dem Iran „nichts angeboten“, um den Atomvertrag noch zu retten.

Man hätte genauso gut einer Diskussions-Sendung im isländischen Fernsehen zuschauen können, ohne isländisch zu verstehen. Bei Will plauderten Blinde über Farben. Dass die EU „diplomatisch ein Nobody ist, und militärisch nichts auf die Reihe kriegt“ (Ischinger) wussten wir auch vorher. Dass Trump einen Waffenstillstand hinbekam – wofür Obama wahrscheinlich seinen zweiten Friedensnobelpreis bekommen hätte – strich keiner der Ideologen positiv heraus. Ischinger erklärte Röttgen wenigstens, dass das Wort durchaus mächtiger als das Schwert sein kann (mit ein bisschen Pinke Pinke). Denn Trump könne tatsächlich die türkische Wirtschaft vernichten. Deshalb pariert Erdogan eben im Moment.

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