Talkshows in den öffentlich-rechtlichen Sendern sind zur Zeit besonderer Aufmerksamkeit wert. Denn selten ist das Vertrauen der Deutschen in die Politik und die Führung des Landes so im Sinkflug begriffen wie in diesen Wochen – und das Parlament, der Ort der Debatte, tagt nur in Ausnahmefällen und im Nachhinein, ohnehin beherrscht von einer übermächtigen Koalition und dann noch zwei Oppositionsparteien, die zahm sind. Eine schlechte Ausgangslage für die Demokratie, eine gute für Talk-Formate. Welche Antworten werden also gegeben, wie professionell erfüllen die Talk-Ladies ihren Job? Fungieren sie weiter als Lautsprecher des Kanzleramts oder sind sie Anwalt ihrer Zuschauer. Die meiste Zustimmung dürfte gestern Abend bei Anne Will die Frau vom Spiegel erfahren haben, indem sie trocken und auf den Punkt feststellte: „Das Land wurde in der Corona-Frage im letzten Jahr nicht regiert, sondern es wurde herumlaviert.“ Der Spiegel kritisch? Schon das ist eine Meldung wert.
Zumindest jetzt hätte man erwarten können, dass von Regierungsseite ein Wort des Bedauerns angesichts dieser offensichtlichen Irreführung in der Kommunikation gekommen wäre. Aber nein, die wirklich Weisen und Klugen machen bekanntlich nie Fehler, und wenn etwas schiefläuft, haben es die Untertanen nicht verstanden. Finanzminister Olaf Scholz murmelte etwas von, die Zahl 35 wäre doch bekannt gewesen, und verwies auf kleingedruckte Passagen des Infektionsschutzgesetzes. Schön wäre es gewesen, wenn Will an dieser Stelle mal nach dem Unterschied zwischen umfassenden Maßnahmen bei einer Inzidenz von 50 und lediglich weitgehenden Maßnahmen bei unter 35 zu gefragt hätte. Doch Fehlanzeige!
Nach diesem Smalltalk brachte dann FDP-Chef Lindner etwas mehr kritische Sachlichkeit in die Runde. Er hätte gern etwas über die Gründe für diverse Entscheidungen erfahren, z. B., warum gerade die Friseure jetzt wieder zur Schere greifen dürfen und andere aber ihre Tätigkeit nicht wieder aufnehmen könnten. Ihm fehle schlicht die Plausibilität im Handeln der Regierung. Ein Vorwurf, den die Grünen-Vorsitzende Baerbock gewohnt forsch aufgriff. Zwar hielt sie sich, wie seit langem eingeübt, mit direkten und scharfen Attacken gegen den gewünschten zukünftigen Regierungspartner CDU zurück, wies aber als erste deutlich auf die Belastung großer Teile der Bevölkerung hin und forderte ein wesentlich professionelleres Arbeiten bei Organisation und Durchführung von Beschlüssen. Ein Punkt, bei dem sie später in Sachen Schnelltests zur Selbstdurchführung noch einmal auf die erneut langsame und zögerliche Umsetzung hinwies. Es gehört schon Mut dazu, wenn der SPD-Kanzlerkandidat Scholz dann ausholend die schon so oft gehörten Worthülsen wie: „Wir sind da dran“, „Da fehlen noch die Zulasssungen, aber wir machen Druck“, „Da verlassen wir uns auf den Rat der Experten“, wiederholte. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, bei diesen Worten das bundesweite Lachen der verzweifelten Zuschauer ob solcher Chuzpe zu hören.
Fazit: Antworten auf die Enttäuschung und Sorgen der Bürger wurden nicht gegeben. Das lag natürlich einmal mehr daran, dass bei der Auswahl der Gesprächspartner keine fundiert kritischen Stimmen zugelassen werden. Personen, die weder eigene politische Absichten verfolgen oder sich in irgendeiner Art von Abhängigkeitsverhältnissen von staatlichen Gnaden befinden, suchte man wie so oft vergeblich. Es gibt genügend Wissenschaftler, wie beispielsweise den Epidemiologen Prof. Klaus Stöhr, der ungeachtet einer Bitte des Ersten Bürgermeisters der Stadt Hamburg, Peter Tschentscher, nicht in die geheimnisvolle Kanzler-Beraterrunde vorgelassen wurde, was auch breit durch die Presse ging. Wahrscheinlicher Grund: Er hatte mehrfach öffentlich Zweifel am Vorgehen der Regierung in der Corona-Frage geäußert. Aber Diskussion, Debatte, Streitkultur? Fehlanzeige, nicht nur im Bundestag. Die Leerstelle wächst.