Tichys Einblick
Mit Mutanten regieren

Bei Anne Will: Lasst alle Hoffnung fahren! Lockdown bleibt.

Keine Hoffnung auf Lockerung, keine Planbarkeit, keine Einsicht in eigene Fehler. Einfach so weitermachen. Irgendwie werden wir das Land schon schaffen. Bei Anne Will ist Langeweile Programm und Widerspruch eine seltene Goldader.

Screenprint: ARD/Anne Will

Diese Woche sanken die Ansteckungsmeldungen wie die Belegung der Intensivstationen, die Impf-Strategie der Bundesregierung scheitert, die Kurzarbeit steigt so schnell wie das Misstrauen in die Bundesregierung. Vor allem: Es wurde klar, dass der Bundesinnenminister die Wissenschaft dazu gebracht hat, die Gefährlichkeit hochzusetzen, um „repressive Maßnahmen“ durchsetzen zu können.

Aber Anne Will kündigt ihre Sendung damit an, es sei „im Großen und Ganzen nichts schiefgelaufen“. So zitiert sie die Bundeskanzlerin mit Blick auf die Impfstoff-Beschaffung. Wirklichkeit, das ist für sie der Text von Politiker-Interviews, die sie zitiert. Wirklichkeit ist das, was außerhalb der Berliner Blase passiert.

Cornelia Betsch, Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt, lässt regelmäßig 1.000 Bürger befragen, zu ihrem Vertrauen in die Bundesregierung. Statt bislang 60 % vertrauen ihr nur noch 40 % der Befragten – und das sind ausgerechnet die, die an sich bisher für Impfung und Masken eingetreten sind. Nicht die Querdenker wenden sich ab, sondern die Bravdenker.
Da erschrickt Anne Will sichtlich. Kritik ist ja gut, aber nicht so viel. Das war’s dann auch, Frau Professor.

Bloß nichts Neues

Da ist man ja froh in der Abteilung für bewährte Argumentation der ARD, dass Georg Mascolo, der angeblich seit einem Jahr über das Thema für den NDR und die Süddeutsche Zeitung recherchiert, doch noch das Zauberwort vom „Corona-Weltmeister“ hervorkramt, auch wenn er es dann wieder einpacken muss angesichts der Aktualität. Brav gebrüllt, gut gemacht.

Nun ist es ja so, dass bei Anne Will mit CDU-Fraktonschef Ralph Brinkhaus und Gesundheitsminister Jens Spahn sowieso der ewige Chor der Regierungsmitglieder eingeladen ist. Es kann also kaum etwas Unvorhergesehenes passieren.

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Wenigstens darf noch ganz kurz Sahra Wagenknecht auftreten. Sie ist eine Art weiblicher Friedrich Merz der Partei DIE LINKE – begabt, aber gescheitert, von ihrer Partei verworfen. Ohne Amt darf sie gelegentlich ein wenig Opposition spielen, damit die eigentliche Opposition im Bundestag nicht gefragt werden muss; es ist der tägliche und peinliche Eiertanz eines Senders, der sich sichtlich der Bundesregierung verpflichtet fühlt, mit Langeweile möglichen Widerspruch einzuschläfern, statt seinen Sendeauftrag zu erfüllen. So kritisiert Wagenknecht die pauschalen Regeln, erneut die ungeschützten Altenheime, sie fordert Taxis zum Bustarif und andere längst vorliegende, aber nie praktizierte Maßnahmen, die geeignet wären, um nicht Millionen in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben. Das klingt bekannt – aber bis dahin hat man Brinkhaus noch nicht gehört.
Jetzt mal analysieren

Brinkhaus will jetzt erst mal analysieren, was in den Altenheimen passiert; meine Herren, verehrte Damenwelt, das ist nun wirklich ein Tiefschlag für jeden, der noch einen Schnaps Glauben hatte an halbwegs vernünftige Politik. Erst jetzt also Bundeswehr, Test und Schutz? Selten hat jemand so blauäugig das Versagen der Politik eingeräumt und dabei so selbstverständlich getan und breit gelächelt – es muss ein anderes Land sein, in dem er sich bewegt.

Einige Wochen will Brinkhaus den Lockdown weiterführen; man kann seine Rechtfertigung singen: Hänge die Inzidenz jeden Tag tiefer, ziehe Mutanten aus dem Hut und Du kannst den Menschen Atem und Stimme nehmen.

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Da ist Manuela Schwesig, SPD-Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern gerne einverstanden. Sie bekennt sich zu ZeroCovid oder NoCovid, das ist ihr ganz egal und das ist alarmierend: Denn damit wird der Versuch, Corona zum Einstieg in das Einfrieren von Gesellschaft und Wirtschaft zu benutzen, hoffähig gemacht – so wie die Horror-Virologin Melanie Brinkmann, die auch 2022 zum Corona-Jahr machen will, Ziel erreicht, ein Land erfriert. Es könnte so kommen. Es klingt wie ein Programm zur Selbstvernichtung.

Schwesig spricht von Warnstufen, die sehr tief liegen, und fordert einen bundeseinheitlichen „Bundesinzidenzplan“. „Mal probieren“, immerhin, Leben will sie mal wieder als Experiment zulassen.

Und im Einzelgespräch kramt Jens Spahn dann wieder „Flatten the Curve“ heraus. Warum Einzelgespräch? Scheut er die Debatte, die so gefährlich gar nicht sein kann bei den Gästen? Die Frage wird nicht gestellt und nicht beantwortet. Und so ist Spahn frei in dem, was er vor sich hin plaudert. War irgendwas in den vergangenen 12 Monaten? Immerhin sei es nicht möglich, für die nächsten 6 oder 12 Monate feste Zusagen zu machen, denn es droht die Mutante.

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Und so wird der Lockdown bis über Ostern hinaus ausgerufen, der Sommer wird fürchterlich und der Herbst unvorhersehbar. Der Mensch ist eben ein „Restrisiko“, wenn er sich trifft. Dumm, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, Planbarkeit und Perspektive braucht. Die Politik stimmt – nur der Mensch stört. Man kennt das aus anderen Systemen, die sich der Ideologie und nicht den Menschen verpflichtet fühlen.

Zwar sei das Virus „tot“, sagt Spahn, aber dann ist es doch wieder „nicht müde“, sondern sehr sehr lebendig. Das Virus ist so, wie es einem überforderten Minister gerade gefällt. Und dann kommt wieder das Eingeständnis, dass sich in der EU eben 27 Staaten abstimmen müssen, wenn es um den Dosen-Einkauf geht, und das dauert. Komisch, wie hat Trump in den USA das gemacht so schnell mit seinen 50 Bundesstaaten? Und warum machen wir das einheitlich, wenn es unseren Zustand verschlechtert?

Warum EU, wenn es dann nicht klappt?

Da ist dann doch noch Manuela Schwesig da, die noch etwas kritisieren kann innerhalb der verschweißten Regierendengemeinschaft von Union und SPD. Sie rechnet die Toten vor, die ohne Impfstoff unvermeidlich sind, und die mangelnde Motivation der Massen, weil erkennbar sei, dass die Bundesregierung es nicht packt. Die EU habe ihre Stärke nicht ausgespielt, nämlich mitzuhelfen, die Produktion hochzufahren und gleich die ganze Welt mit zu beliefern. So weinen Ältere in den Impfzentren, weil sie den Pieks gerne auch für die Familienmitglieder hätten, sagt sie.

Und natürlich lässt Wagenknecht dann den Kapitalismus-Hass raus: Die Staaten hätte geforscht, nicht die Unternehmen. Und Antibiotika seien auch knapp, weil Unternehmen faul sind – aber dass es die künstlich gedrückten Preise sind, die Forschung verhindern, davon spricht sie nicht. Ist Bundesimpfminister ihr Berufsziel, so, wie das Kanzleramt das von Friedrich Merz und der 5-Jahresplan für Medizin ihr Versprechen? Glaubt man ihr die Kapitalismus-Kritik?

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Ganz kurz darf die Gesundheits-Kommunikations-Professorin dann doch noch etwas sagen, mittlerweile hat sie ja gelernt, dass sie nicht zu kritisch sein darf. Immerhin sei die Knappheit gar nicht so schlecht, denn was knapp ist, ist begehrt. Tatsächlich ist ja die Debatte über Sinn und Unsinn der Impfung umgeschlagen: Niemand spricht mehr über mögliche gesundheitliche Folgen der Blitz-Impfung – nur noch über die Knappheit wird diskutiert. Impfskepsis und -verweigerung ist kein Thema mehr, nur knappe Dosen. Und so plätschert die Diskussion im Bekannten dahin und tippt das Unbekannte nicht mal an.

Wenigstens sagt Wagenknecht gegen Schluss, dass nicht eine bestimmte Partei für die Infektionen verantwortlich ist, jene Partei, die nicht dabei sein darf. Es ist auch nicht die Schlampigkeit der Bevölkerung und ihre notorische Uneinsichtigkeit. Es ist schon das Desaster in den Altenheimen, die mangelnde Test-Strategie, die Unfähigkeit, zwischen kaum betroffenen Jungen und hochgefährdeten Alten zu unterscheiden. Differenzierung auch im Beruf, statt Pauschalisierung – es würde sich also lohnen für die ARD, auch mal andere Stimmen in das Studio einzuladen. Aber diese Hoffnung ist schon längst gestorben. Und so geht es weiter mit der Frontal-Kommunikation. Obwohl genau dagegen die Menschen schon weitgehend immun sind.

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