Junge, Junge! 1,6 Millionen Stellen können nicht besetzt werden, 30.000 Azubis fehlen. Personalnotstand bei Kellnern und Pflegern. Wir brauchen dringend mindestens 400.000 Zuwanderer pro Jahr, wenn wir weiter so selig vor uns hinleben wollen.
(Achtung! Wichtiger Hinweis! Diese Zahlen und Einschätzungen stammen vom Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen, sind also mit höchster Vorsicht zu genießen. Wahrscheinlich dienen sie nur dazu, die Brisanz des Themas der Sendung deutlich zu machen.)
So richtig verstehen kann man den Sinn und Zweck der Anne-Will-Show trotzdem nicht. Gut, die Regierung hat Eckpunkte eines schon sprachlich verhunzten Gesetzentwurfs (uns ist leider beim Mitschreiben der Griffel aus der Hand gefallen) veröffentlicht, der unter dem Kurznamen „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ durch die Gazetten gejagt wird. Ein Großteil der Zuseher wird sich schlicht gefragt haben: Haben wir denn nicht gerade erst knapp 2 Millionen geflüchtete Fachkräfte ins Land gelassen, die für Unsummen sprachlich und beruflich integriert werden? Hätten wir damit nicht nach der Anne-Will-Rechnung von den 400.000 für die nächsten fünf Jahre schon genug? Jein.
Bevor wir uns mit den Diskussionsbeiträgen in der Sendung beschäftigen, müssen wir leider mit wenigen Sätzen das Märchen vom Fachkräftemangel kurz zerstören, und wir zitieren dafür aus der „Wirtschaftswoche“:
„Der einzig zuverlässige Indikator, um Knappheiten am Arbeitsmarkt zu messen“, formuliert da ein Forscher, „ist die Lohnentwicklung. Gäbe es tatsächlich einen Fachkräftemangel, müssten die Reallöhne viel stärker steigen.“
Dann schreibt die WiWo weiter: Fernab der akademischen Diskussion um die richtige Berechnung gibt es aber auch praktische Hinweise darauf, dass der Fachkräftemangel vor allem ein gut vermarktbarer Mythos ist. Bei der Gelegenheit: Grundschullehrer sind wirklich knapp und werden mit 5.300.- Euro gelockt (in Berlin zudem mit Aktionen wie „Unterrichten statt kellnern“).
Trotzdem lobt Volker Bouffier, Wahlkämpfer aus Hessen, den Gesetzentwurf als „Riesenschritt für die Union“. Der Mann könnte übrigens wirklich ein paar Finanzfachkräfte gebrauchen, denn seine bisherigen Finanzstrategen haben sich gerade mit Derivaten schwer verzockt. Aktuell liege das Derivate-Portfolio des Landes mit 3,2 Milliarden Euro tief im Minus, berichtet die „Welt am Sonntag“. Na gut, ist nur Steuergeld.
Manu Schwesig, Sprecherin der Partei der Armen und Verfolgten, sagte mal zwischendurch: „Für viele Bürger (sie hat tatsächlich „und Bürgerinnen“ vergessen …) ist unklar: Wer darf kommen? Wer darf bleiben?“ Ebend. Unverständlich, dass niemand von den Grünen eingeladen war, man kommt sich da vor wie in einer Messe ohne Pastor!
Da war sie also, die Anne-Will-Agenda: Neben dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) steht nämlich noch der Spurwechsel im Raum. Will heißen: Die Hunderttausende, deren Asylanträge überraschend abgelehnt werden, sollen sich einfach über das Fachkräfteeinwanderungsgesetz erneut ums Bleibendürfen bewerben. Wahlkämpfer Bouffier sorgt sich, dass die Wähler diesen Etikettenschwindel durchschauen würden, Manu Schwesig will einen Stichtag, also den Spurwechsel. Von der Lindnerpartei war ein smarter Herr Johannes Vogel da, der sieht Deutschland wohl immer noch auf Augenhöhe mit Cupertino (Apple-Sitz) oder dem Silicon Valley, denn er findet „beim Wettbewerb um die Talente der ganzen Welt wird es so nicht gehen“ mit dem FEG. Dann schwärmt er von Kanada (zugegeben, da ist der junge Trudeau gerade auf dem Merkeltrip), Neuseeland (wissen wir nicht so genau Bescheid) und Australien (die haben das Problem mit den Illegalen und ihren Schleppern allerdings perfekt gelöst) und deren Einwanderungssystem. Wir lassen uns auf das Äppel- und Birnenverwechslungsspiel mit Punkten und Blue Card hier nicht weiter ein. Im Grunde ist der Zug längst abgefahren.
Jutta Brändle, die ihre Haarfarbe mit der Bluse – oder umgekehrt – perfekt abgestimmt hatte, durfte dann noch von ihrem Engagement berichten und wird in Zukunft wohl noch mehr Zuspruch aus der ganzen Republik erfahren.
Natürlich müssen wir Arndt Günther Kirchhoff erwähnen, und nicht allein, weil seine Unternehmen zwei Milliarden Euro umsetzen, und er nebenbei noch Vizepräsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ist. Kirchhoff sieht 2030 sechs Millionen Arbeitsfähige fehlen, schon jetzt würde deshalb weniger investiert. Als er sagte, „wir brauchen frisches Blut!“ wurde das von Will nicht beanstandet, wohl aber, als er von Human Resources sprach, das fand die Gastgeberin despektierlich. Jedenfalls finanzieren die Unternehmer allenthalben Sprachkurse für die Flüchtlinge „sogar die Frauen“, und täten alles für die Integration, so dass ausgerechnet Manuela Schwesig von der Bürokratiepartei nur einfiel „Wir haben zu viel Bürokratie.“ Ebend.
Kirchhoff wusste genau, was er in einer ÖR-Talkshow zu sagen hat, deshalb traute er sich andererseits auch klar zu äußern: Wir brauchen den Spurwechsel nicht. Wer hier drei Jahre eine Ausbildung gemacht, keine Verbrechen begangen hat, der kriegt auch ein Bleiberecht von den Behörden. So gut wie alle anderen auch, fügen wir hinzu, und Arndt Günther hat 11 Auslandsstandorte, da kann er jederzeit woanders hin.