Talkshow war früher schwer und ist heute leicht. Früher brauchte man Skandal. Immer neue Aufregung. 1979 hatte die wenige Jahre zuvor aus der DDR in den Westen übergesiedelte Nina Hagen im österreichischen Fernsehen mit einer Geste der Masturbation verstört. Die Punk-Sängerin war damals am 9. August zu Gast in der am späten Abend im zweiten Kanal des ORF ausgestrahlten Diskussionssendung. „Was ist los mit der Jugendkultur?“ war eigentlich das Thema der Sendung. Es gab Krach. Aber hallo. Elf Jahre später wiederholte Madonna diese Geckschmacklosigkeit unter großer Anteilnahme. Es stumpft ab.
Gott sei Dank für die Beschäftigten – heute haben es Talkshow-Redaktionen leichter. Aufregung ist einerseits schneller herstellbar und – gleichzeitig unerwünscht.
Darf man noch „Zigeunersauce“ sagen?
„Darf man jetzt noch Zigeunersauce sagen?“, war eine Frage bei der WDR-Talkshow „Die letzte Instanz“ in der vergangenen Woche. Prompt gab es Aufregung, ein wenig Twitter-Gekeife von den üblichen rotgrünen Aktivisten, der WDR knickte ein wie ein Windrad bei Starkwind – und entschuldigte sich selbstentlarvend wie folgt:
„Der Verlauf der Sendung war nicht, wie wir es geplant und uns vorgestellt hatten. In DLI sollen kontroverse Themen unterhaltsam diskutiert werden, dabei darf jeder Gast seine Meinung äußern. Aber rückblickend ist uns klar: Bei so einem sensiblen Thema hätten unbedingt auch Menschen mitdiskutieren sollen, die andere Perspektiven mitbringen und/oder direkt betroffen sind.“
Und damit wir den Skandal richtig verstehen, der Satz von Janine Kunz, über den sich alle aufregen und für den sich der WDR entschuldigt. Wir nehmen ihn von Focus, der Spiegel hat sich nicht einmal getraut, diesen Satz der Überraschung einer Nicht-Schwarzen auch nur zu zitieren. So schmutzig war das:
„Ich finde, da sitzen drei Leute, die nichts Besseres zu tun haben und fangen dann mit so einem Quatsch an. Ich find’s nervig. Wenn du dir natürlich jeden Schuh anziehst und dich immer beleidigt fühlst. Hier sitzt eine blonde Frau mit relativ großer Brust, was meinst du denn, was wir uns anhören? Wenn wir jetzt so anfangen, wenn ich mich jetzt für jeden Mist beleidigt fühle, dann habe ich ein echt bescheidenes Leben.“ Das also sagte Kunz sichtlich aufgebracht.
Bitte keine Überraschung oder Aufregung
Also Talkshows müssen ohne Überraschung auskommen. Jetzt sind wir schon bei Anne Will. Glaubt ernsthaft jemand, wenn Peter Altmaier, der Wirtschaftsminister, der weder von Wirtschaft noch von Medizin was versteht, mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten und GroKo-Politik-Kollegen Stephan Weil diskutiert, dass etwas aufregendes passiert? Und eine brave Virologin dabei sitzt, Corinna Pietsch, die kaum über ihre Petrischale hinausschaut und verblüfft über mutierende Viren ist? Überraschend ist allenfalls Ifo-Präsident Clemens Fuest, der sich einer im Kern linksradikalen Aktion angeschlossen hat, die Wirtschaft und damit Ifo ohnehin für überflüssig hält. Er will es zwar nicht ganz so radikal, aber dann doch; er ist auf dem Trip zur Beendigung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Aktivität.
Überraschung allenfalls die Münchnerin Brigitte Meier, die mit ihrem Bruder Peter Eduard Meier den Familienbetrieb Ed.Meier München, führt, ehemals Königlich Bayerischer Hoflieferant und Schuhmacher. Sie darf kurz etwas sagen und wird dann totgeredet, so wie ihr Bekleidungsgeschäft totgemacht wird.
Bemerkenswert, dass Fuest über sie in der dritten Person spricht, als wäre sie gar nicht da. Talkshows ist der Ringelreihen abgehobener Besserwisser, die bis auf Frau Meier ihr Geld direkt oder indirekt vom Steuerzahler erhalten, von öffentlichen Aufträgen abhängig sind und brav jegliche Distanz zur Kanzlerin vermissen lassen. Folge der Spur des Geldes.
So werden Talkshows langweilig, also genau so, wie sich die Sender das wünschen: So „wie wir es geplant und uns vorgestellt haben“. Frau Meier ist auch ganz brav, demütig und hofft auf Altmaier als Retter der Wirtschaft. Das ist also doch ein sehr unerwarteter komischer Einwurf, aber sehr demütig. Eben so, „wie wir es geplant und uns vorgestellt haben“. Bloß nicht Altmaier ärgern!
Wie wir es geplant und uns vorgestellt haben
Und so quält sich die Sendung vor sich hin. Es fehlt jede Bereitschaft zur Perspektive, wie man mit einem Virus lebt, das nicht bereit ist, auf gutes Zureden aus braven Talkshows und von ahnungslosen Politikern zu hören. Und wenn es dann doch in die Lebenswirklichkeit ins Studio strömt, kommt die Virologin und tunkt Frau Meier und alle, die etwas erwirtschaften müssen, in ihre Petrischale. Sie jammert aber über den Mangel an Labormaterial. Komisch, dass es zu wenig ist, wenn man eine Wirtschaft auf Null fährt? Wirtschaft soll nicht arbeiten, aber liefern.
Dann geht es noch ein wenig um die Impf-Notwirtschaft, wie sie Markus Söder (CSU) und Annalena Baerbock (Grüne) fordern, als ob es irgendwo irgendjemand gäbe, der nicht gerne für viel Geld viel Stoff herstellt. Es ist die Milchbubi-Vorstellung von Wirtschaft, die sich Bahn bricht.
Achtung Schornsteinfeger
In der Skandal-Show vom WDR hat sich übrigens Thomas Gottschalk ein weiteres Mal unbeliebt gemacht, weil er davon erzählt hat, wie er in Hollywood Jimmy Hendrix nachgemacht hat und der ist schwarz.
Das fällt unter „Blackfacing“, etwas, das auch die Toten Hosen verschämt im Keller ihrer Vergangenheit tragen. Wenn Sie also demnächst im Karneval als Schornsteinfeger gehen wollen: Passen Sie auf sich auf. Jede Lebensäußerung kann gefährlich sein, wenn Sie weiß sind. So ist das im neuen Rassismus, und deshalb darf Gottschalk auch nicht mehr in so eine Talkshow.