Die Aussage „Ich lese gerade Drehbücher“ gilt unter Schauspielern als Euphemismus für Arbeitslosigkeit. Marion Horn wollte Drehbücher schreiben, nachdem sie bei dem Beratungsunternehmen Kekst CNC raus war. Dorthin war sie erst 2019 als Partnerin gewechselt, als ihre Zeit als Chefin der Bild am Sonntag (BamS) abrupt zu Ende ging. Nun wollte sie Drehbücher schreiben.
Doch der Axel-Springer-Verlag kam Marion Horn dazwischen. Der warf auf einen Schlag die drei Chefredakteure der Bild-Zeitung raus: Johannes Boie, Alexandra Würzbach und Claus Strunz. Boie und Strunz sind fleißig auf Twitter unterwegs – seit fünf Tagen aber nicht mehr (Stand Donnerstag, 16 Uhr). Sodass man ahnen kann, wie lange sie schon von dem Schritt wussten. Als der Verlag diesen heute in der Redaktion verkündete, waren die drei Chefredakteure schon nicht mehr dabei.
Zum 17. April stößt Robert Schneider als weiterer Chefredakteur zur Bild. Bis dahin soll Horn die Zeitung alleine führen. Als freie Drehbuchautorin war sie offensichtlich abkömmlich. Der Verlag kündigt sie mit diplomatisch verklärten, aber durchaus interessanten Worten an: Sie stehe „für einen klaren Wertekompass, journalistische Exzellenz, Führungsstärke und Leidenschaft für guten Boulevardjournalismus“, wie sich Claudius Senst, CEO der „Bild“-Gruppe zitieren ließ.
„Ein klarer Wertekompass“: An erster Stelle für Horns Berufung steht die grundsätzliche Ausrichtung der Bild. Nach innen wie nach außen. Mit dem Abgang von Chefredakteur Julian Reichelt kam die Redaktion in eine Schieflage. Interne Mails und Nachrichten wurden an konkurrierende Unternehmen gesteckt, um die Kampagne gegen Reichelt immer wieder aufleben zu lassen. Gleichzeitig schwächelte das Blatt inhaltlich. Skurile Geschichten aus dem Puppen-Bordell standen symbolisch für die fehlende Schlagkraft auf dem Boulevard.
Die drei Chefredakteure galten als ebenso zerstritten wie die gesamte Redaktion. Ein Indiz: Als andere Medien längst mit der Meldung raus waren, berichtete Bild.de immer noch nicht prominent über die Aufräumarbeiten im eigenen Haus. Ob Horn den Laden mit ihrer „Führungsstärke“ eint, ist fraglich. Noch fraglicher ist indes, ob sie die alte Schlagkraft der Bild im Boulevard wiederherstellen kann.
Als Chefredakteurin der BamS erhielt Horn Preise für den neuen Stil, den sie im Boulevard eingeführt habe. Nur dummerweise liefen der einstigen Institution mit dem neuen Stil die alten Leser weg. Die Wochenzeitung siechte, bis der Verlag die beiden Redaktionen 2019 zusammenlegte und Horn zu Kekst CNC wechselte. Horn war eine Merkel-Vertraute, deren Politik sie stets wohlwollend flankierte. Als der Journalismus Biss gebraucht hätte, hatte sie Beißhemmungen.
So gesehen könnte ihre „journalistische Exzellenz“ für die Zukunft der Bild eine Rolle spielen. Als die Welt über die biologische Tatsache berichtete, dass für die Fortpflanzung die zwei Geschlechter Mann und Frau eine wesentliche Rolle spielten, griff Verlags-Chef Mathias Döpfner korrigierend mit der Aussage ein: Der Springer-Verlag stehe künftig an der Seite der Trans-Aktivisten. Das könnte der „gute Boulevardjournalismus“ sein, für den die preisgekrönte Horn mit „Leidenschaft“ stehen soll.
Seit Döpfners Veto glänzt die Bild mit Schlagzeilen wie: „Star-Kickerin macht sich für Transgender stark“, „Jamie Lee Curtis‘ Oscar ist nicht-binär“ oder „Sie möchte teilen, was es heißt, trans zu sein“. Preise dürfte das bringen. Ob es aber erfolgversprechend auf dem Boulevard ist – oder doch nicht der Weg in die Nebenstraße –, bleibt offen.
Ein wesentlicher Grund für den Wechsel dürfte aber das Geld sein. Döpfner hat Bild und Welt einen Sparkurs verordnet. Die sollen 100 Millionen Euro einsparen, um Geld zu generieren, das der Verlag auf dem amerikanischen Markt investieren will. Wie stark kann eine Chefin einem Sparkurs im Weg stehen, deren berufliche Alternative es wäre, Drehbücher zu schreiben?