Im dunklen Wald erkennt man diejenigen, die die größte Angst haben, daran, daß sie am lautesten pfeifen. Dies scheint auch bei der Grünen-Spitzenkandidatin, Annalena Baerbock, der Fall zu sein. Je enger die Lage für die Grünen wird, umso reizvoller und spannender würden die Herausforderungen, die der ökologische Umbau unserer Industriegesellschaft mit sich brächten. Das gebe neue Energie und sporne an.
Klimakatastrophe, Digitalisierung, soziale Gerechtigkeit – was sind dagegen schon die Mühen der Ebene, das Lösen der kleinen Probleme im Detail? Baerbock ist durch und durch Generalistin. Da mag die Moderatorin der ARD, Tina Hassel, auch noch so hartnäckig nachhaken, die Star-Grüne von gestern wird einfach nicht konkret.
Nur einmal wurde Baerbock konkret. Die in der Verfassung festgelegte Eigenständigkeit der Bundesministerien müsse aufgegeben werden. Alles müsse im Sinne einer gemeinsamen Agenda zum Wohle des „Klimaschutzes” verzahnt werden. Da ist er wieder, der arrogante Machtanspruch. Natürlich will jeder Koalitionspartner mit seinen Ressorts die Duftmarken seiner Partei setzen – dafür ist er ja gewählt worden. Es ist der zweite entsprechende Vorstoß dieser Partei der Lehrer und sonstigen Volksbeglücker. Erst kürzlich war da die Forderung nach einem Klimaministerium, welches ein Veto-Recht gegenüber allen anderen haben solle. Im Klartext leiten die Grünen im Bewusstsein ihrer höheren Moral, unabhängig vom Wahlergebnis, letztlich den Anspruch auf die absolute Macht ab. Ein Traum der Baerbocks, den selbst ein kollektiver Aufstand aller Radfahrer und Veganer nicht in Erfüllung gehen lassen würde.
Natürlich sollte sie sich auch zur aktuellen Lage in Afghanistan äußern. Auf jeden Fall, und dem ist zuzustimmen, müsse ein Untersuchungsausschuss eingerichtet werden, der die Versäumnisse der Bundesregierung bei der Bewältigung der Krise aufdeckt. Jetzt komme es darauf an, das Chaos vor Ort in den Griff zu bekommen und möglichst viele Menschen herauszuholen. Das Wichtigste aber erfuhren die Zuschauer zum Schluss. Man hätte es sich denken können, selbst in persönlichen Gesprächen achte sie sehr auf die Einhaltung der Gender-Regeln. Bei einem Einzug ins Kanzleramt werde sie als erstes das Gebäude in „Kanzler*innen-Amt“ umbenennen.
Eine Stunde nach Baerbock steigt dann der neue „Phoenix“ der SPD beim ZDF in den Ring – ruhig, betont selbstsicher und im Auftreten betont bescheiden. Dabei hätte doch jeder Verständnis, wenn der noch vor kurzem mitleidig belächelte SPD-Spitzenkandidat angesichts der guten Zahlen für seine Partei, und noch besseren für ihn, Triumphgefühle an den Tag legen würde. Olaf Scholz aber erinnert an einen erfahrenen Geschäftsmann, der nach einem erfolgreichen Deal mit Übergabe eines dicken Schecks einem Gratulanten sagt: „Gemach, gemach – erst mal abwarten, ob der Scheck auch gedeckt ist.“
Und so geht es weiter und weiter. Es ist leichter, einen Vanillepudding an die Wand zu nageln, als von dem gewieften Wahl-Hamburger auch nur den Hauch einer verbindlichen Aussage zu bekommen. Solle Deutschland jetzt „Flüchtlinge” aus Afghanistan aufnehmen – „Jetzt im Moment ja, aber vor allen Dingen kommt es darauf an, in den Nachbarländern Voraussetzungen für die Aufnahme zu schaffen. Dabei werden wir auch helfen.“ Man könnte auch sagen, Nichts genaues weiß man nicht.
Doch Scholz wäre nicht Scholz, hätte er nicht, wie schon bei der ARD vor einer Woche, gegen Ende der Sendung noch einen heimtückischen Joker gezogen. Nur wenn es gelänge, die für den Umbau der Industrie notwendige Strom-Menge zu erzeugen, könne die Energiewende, und damit der Kernpunkt der nächsten Regierung bewältigt werden. Scholz kennt die Fakten und weiß genau, dass schon jetzt die Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind, und benennt auch schon mal den Schuldigen: seinen Noch-Koalitionspartner CDU – als ob seine Partei nie in der Regierung gewesen wäre.
Diese Art von Verlogenheit hält man heutzutage in der Politik für professionell.