Tichys Einblick
Schneeflöckchen-Journalismus

ARD und ZDF mit einer minimalen Eigen-Berichterstattung aus der Ukraine

Der ehemalige dpa-Sonderkorrespondent und Kriegsreporter Laszlo Trankovits schreibt über die aktuelle Berichterstattung deutscher Sender aus der Ukraine.

Die Dramatik und die Bedeutung des Ukraine-Kriegs stellen in der Berichterstattung höchste Anforderungen an die Medien in aller Welt. Das Tempo der Ereignisse, die unklare Lage, dazu eine Flut von unverifizierbaren Texten, Bildern und Video-Clips in den sozialen Medien erfordern eine höchst intensive, akkurate Berichterstattung. Reporter vor Ort sind da nicht ersetzbar, nur sie können für einen sauberen Journalismus garantieren, nur sie können Propaganda entlarven, die digitale Spreu vom realen Weizen trennen.

Über den Ukraine-Krieg berichten viele Dutzende Reporter aus aller Welt. Sie befinden sich in Kiew, Charkiw und anderen Orten. Auch aus Deutschland sind – beispielsweise vom Spiegel und der Bild-Zeitung – Teams und Sonderkorrespondenten an Ort und Stelle. Ganz anders ist es bei den mit jährlich 8 Milliarden Euro ausgestatteten öffentlich-rechtlichen Sendern mit ihren Tausenden von Mitarbeitern. Sowohl im Fernsehen als auch im Radio kommen die Berichte und Sondersendungen derzeit – bis auf wenige Ausnahmen – von den Büros in Moskau, Warschau und Berlin.

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Hört man in die Radiosendungen der ARD hinein, bekommt man den Eindruck, es gebe nicht einen einzigen entsandten Korrespondenten vor Ort. Was für viele Tage wohl auch stimmt. Der WDR verweist zwar heute ganz allgemein darauf, dass sogar sehr viele Journalisten aus dem Kriegsland berichten – aber bei genauer Betrachtung der WDR-Antwort auf eine Anfrage wird deutlich, dass der Aufenthalt entsandter Korrespondenten seit Kriegsbeginn eher die Ausnahme ist. „In den ersten Tagen waren Korrespondent:innen aus Moskau mit ihren Teams vor Ort“, so die WDR-Pressestelle.

In einem anderen Bericht war allerdings nur von einem Team die Rede, dass kurz nach Kampfbeginn abgezogen worden war. Am Mittwoch sollte nach WDR-Angaben nun erneut „ein anderer Korrespondent ins Land reisen“. Zudem werde „die Einreise weiterer Teams in die Ukraine“ vorbereitet. Auch sei eine freie Journalistin vor Ort, die für die ARD und andere Medien berichte. Schließlich bestehe eine Kooperation mit „ukrainischen Kolleginnen und Kollegen“.

Zusammengefasst: Der Mediengigant WDR schickt hin und wieder Korrespondenten in das Land, in dem nun mehr als 40 Millionen Menschen mit dem Grauen eines Kriegs konfrontiert sind. In ein Land, in dem derzeit Geschichte geschrieben wird, in der die Ereignisse uns ziemlich sicher eine historische Zeitenwende bescheren.

Schon nach Abzug der Moskauer WDR-Korrespondentin zu Beginn der Kampfhandlungen hatte der Kölner Sender betont, dass „Schutz und Sicherheit seiner Mitarbeiter … oberste Priorität“ habe. „Wir prüfen derzeit unter Hochdruck weitere Möglichkeiten, die Berichterstattung aus der Ukraine fortzuführen“, hieß es zunächst etwas geheimnisvoll. Als ob profund ausgebildete Reporter vor Ort durch auf die Schnelle umgeschulte Ukrainer oder irgendwelche anonyme Informanten ersetzbar wären.

Für das ZDF berichtet künftig nach Angaben des Senders „die ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf mit ihrem in Kriegs- und Krisenberichterstattung sehr erfahrenem Producer-Team aus der Ukraine“. Vergangene Woche hatte das ZDF eigene Journalisten zunächst einmal abgezogen, „ihre Sicherheit hat oberste Priorität“. Viele Tage hatte das ZDF offenbar niemanden vor Ort.

Ein anderer Blick
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Natürlich erlaubt die heutige Technik Live-Schalten zu Politikern, Experten und Betroffenen im Kriegsgebiet – die werden dann aber von Redakteuren aus den Sendeanstalten in Köln, Frankfurt, Berlin oder München befragt. Ganz sicher haben diese – oft spannenden und eindrucksvollen – Gesprächspartner keinen journalistischen Beobachter-Blick, sind meistens irgendwie auch Partei und betroffen, auch werden sie wohl kaum die professionellen Standards einer akkuraten Berichterstattung im Kopf haben – wie man es von einem Fachkorrespondenten aus Deutschland erwarten könnte. Nicht einmal journalistische, deutschsprachige Ortskräfte scheint die ARD für den Hörfunk zu haben – zumindest fällt es sehr schwer, sie irgendwann in diesen Tagen beim Hören als solche zu identifizieren.

Die Sicherheit der deutschen Journalisten gehe vor, heißt es von ARD und ZDF. Der deutsche Journalistenverband (DJV) hatte die Medien schon eindringlich davor gewarnt, Mitarbeiter den Kriegsgefahren auszusetzen. Das mag bei einer Standesvertretung noch verständlich sein, selbst wenn Berufsbild und Arbeitsprofil eines Auslandsberichterstatters eben gerade davon gekennzeichnet sind, zuweilen auch aus gefährlichen Krisenregionen zu berichten.

Tatsache ist, dass viele Medien – oft mit erheblich geringeren Etats und Möglichkeiten als die reichen deutschen Sender – mit beeindruckend großem personellen Aufwand vor Ort arbeiten. So hat allein der Spiegel nach Angaben der Spiegel-Kommunikationschefin Anja zum Hingst fünf Berichterstatter vor Ort, abgesehen von mehreren Reportern in Moskau und den ukrainischen Nachbarländern. Selbstverständlich sind die großen Nachrichtensender wie CNN, FoxNews oder BBC jeweils mit mehreren Journalisten und Teams vor Ort. Für  Österreich berichtet ein seit dem Balkankrieg erfahrener Korrespondent des ORF.

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Die öffentlich-rechtlichen Sender, die weitgehend auf eigene Reporter vor Ort verzichten, demonstrieren eine sehr eigenwillige und sehr selbstbezogene Auffassung vom Beruf des Reporters. Schließlich haben Sender und Journalisten einem öffentlichen Auftrag zu genügen, die Schilderung der dramatischen Ereignisse in der Welt gehört zur Kernkompetenz von Medien und zum Journalismus. Gefahren sind eine nicht vermeidbare Begleiterscheinung des Berufs. Wenn mein Arbeitgeber, die Deutsche Presseagentur (dpa), früher so gedacht hätte, wäre ich nie an den Fronten von zwei Irakkriegen gewesen, nie bei Bürgerkriegen und verheerenden Gewaltausbrüchen in El Salvador, in Nigeria, im Tschad oder im Libanon.

Zweifellos war es in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts vergleichsweise sicherer, in Krisengebieten der Welt zu recherchieren und zu berichten. Aber die Anwesenheit sehr vieler ausländischer Korrespondenten in der Ukraine belegt sowohl, dass nicht alle Medien in der Welt in erster Linie nur daran denken, kein Risiko einzugehen, als auch die Tatsache, dass die Berichterstattung aus Kiew ganz sicher kein selbstmörderisches Himmelfahrtskommando ist.

Weder die Ukrainer noch die Russen würden westliche Journalisten als Geiseln nehmen – eine Gefahr, die im Nahen Osten oder Südostasien sehr real ist. Auch gibt es keinen Grund zu denken, Journalisten könnten in der Ukraine leicht zu Zielscheiben werden, wie das in anderen Weltregionen durchaus sein kann. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben mit ihrer Ukraine-Berichterstattung klare Prioritäten gesetzt. Sie sind sicher nicht im Interesse der Zuschauer, Zuhörer und der Öffentlichkeit insgesamt. Es geht hier um Güterabwägung. Da urteilen Chefredakteure der Medien in der Welt ganz offensichtlich sehr unterschiedlich. An Ängstlichkeit lassen sich die deutschen Sender kaum überbieten.

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