Nicht einmal 50 Sekunden dauert es – da fällt auch schon der erste Nazi-Vergleich mit der AfD. Der Brandenburger Landtagsabgeordnete Lars Hünich spricht von der Abschaffung des Parteienstaates. Moderatorin Eva-Maria Lemke darauf: Als die Nazis an die Macht kamen, da habe es nur sechs Monate gebraucht, bis alle Parteien verboten worden seien.
Muss man darauf hinweisen, dass Deutschland nicht als „Parteienstaat“ definiert ist, sondern als ein freiheitlich-demokratischer und sozialer Rechtsstaat, in dem Parteien lediglich Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen?
Das Bild, das das Magazin damit nach den ersten Sekunden evoziert, ist damit eines der unmittelbaren Bedrohung. Die ARD exerziert die Fantasien der demokratischen Endzeit durch wie Bundeskanzler Olaf Scholz oder Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, die vor einem Angriff von Rechtsextremisten auf die Demokratie sprechen bzw. Parallelen zur Weimarer Republik ziehen. Das Narrativ spinnt Lemke weiter, indem sie fortfährt:
„Auch die Demokratiefeinde von heute sind eine echte Gefahr für dieses Land. Spätestens seit der Correctiv-Recherche über das Geheimtreffen in Potsdam ist das vielen klar geworden. Sie hat erschreckt, wie unverhohlen dort der Plan ausgearbeitet worden sein soll, Millionen Menschen loszuwerden. Darunter auch Deutsche.“
Auch will man nicht „Millionen Menschen loswerden“, sondern abschieben. Abschieben kann man freilich nur Leute, die nicht Staatsbürger sind. Schon deswegen ist der Begriff der Deportation von den Medien zynisch verwendet worden, denn Deportationen finden aus der Heimat in die Fremde statt – und nicht andersherum. Das hat weder Medien noch Politik davon abgehalten, ethnische Säuberungen zu insinuieren, unter dem massenweisen Gebrauch des Wortes „Deportation“.
Dass Correctiv diese sagenhafte Eskalation eingeleitet hat, scheint der Plattform mittlerweile selbst peinlich zu sein. Nicht anders ist zu erklären, dass sie mittlerweile ihre Buchbeschreibung („Der AfD-Komplex“) mehrfach geändert hat. Stand dort zuerst etwas von „Deportationen Millionen Deutscher mit Migrationshintergrund“, hat man denselben Passus nunmehr durch „Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland“ ersetzt.
Damit hat Correctiv klammheimlich genau jene beiden zentralen Bestandteile aus der Beschreibung wegretuschiert, die von Medien und Politik beschworen wurden, um Hunderttausende Menschen auf die Straßen zu treiben und den politischen Gegner sowie Andersdenkende zu entmenschlichen und zu diffamieren. Denn die größte Aufregung bereitete einerseits der Begriff „Deportation“, andererseits der Vorwurf, man habe auch Staatsbürger „loswerden“ wollen. Beide Ansichten haben sowohl Martin Sellner, der den Vortrag hielt, sowie Zuhörer des Vortrags, etwa Silke Schröder und Ulrich Vosgerau, bestritten.
Daher ist diese Einleitung so wichtig. Der gesamte Kontraste-Beitrag baut auf einer Prämisse auf, die sich die Medien selbst geschaffen haben, aber de facto inexistent ist. Trotz besseren Wissens spinnt Kontraste ein Narrativ, das sich bereits längst erledigt hat. Die stellvertretende Chefredakteurin von Correctiv, Anette Dowideit, hat wegen der immer lauter werdenden Kritik mittlerweile gar behauptet, es sei „irrelevant“ gewesen, ob man den Begriff Deportation verwendet hätte. Angesichts des zweiwöchigen, diabolischen Narrenspiels in dieser Bajazzo-Republik muss man konstatieren: Doch, das war relevant. Correctiv und nunmehr Kontraste haben genau das getan, was sie dem politischen Gegner und medialen Mitbewerber vorwerfen: Sie haben Desinformation in großem Stil betrieben und Menschen damit gegeneinander aufgehetzt.
Mit der Prämisse könnte sich auch jede Besprechung des Kontraste-Berichts erledigen. Wäre da nicht ein Detail, genauer gesagt eine Person. Trotz der oben angeführten Vorgänge setzt das Magazin nämlich noch eins drauf. Man leitet zu „kruden Rassentheorien“ und „Menschenverachtung“ über und blendet dazu ein Bild von Hans-Georg Maaßen ein. Auch das ein Kunstwerk: Maaßen wird nunmehr als „Rechtsextremist“ eingeordnet und damit in einen Zusammenhang mit all diesen Vorgängen gesetzt – so muss es der Zuschauer wahrnehmen, der ja eben noch mit Correctiv und Wannsee 2.0 traktiert wurde.
Als Gewährsmann für all das darf ausgerechnet ein Mann herhalten: Jean Peters. Der „Correctiv-Journalist“, der Kontraste exklusiv so verwackelte wie nichtssagende Aufnahmen liefert, werde wegen seiner Beteiligung im Netz nunmehr von Rechtsextremen „bedroht und verleumdet“, sagt das Magazin. Das muss dann auch als Ausweis der Seriosität reichen. Dort wiederholt Jean Peters die Behauptung, Sellner hätte Deutsche mit Migrationshintergrund ausweisen wollen und – an der Stelle überlegt Peters schauspielerisch gekonnt – „Refugee Rentner“. „Das heißt auch diejenigen, die sich politisch für Menschenrechte einsetzen“, übersetzt Peters. Kontraste folgert: Ging es also auch darum, politische Gegner aus dem Land zu entfernen? Auch das eine Überspitzung, die der eigentliche Correctiv-Artikel nicht hergibt.
Schwenk zum Berliner Ensemble: Hier darf ein fiktiver Martin Sellner in der Inszenierung der Correctiv-Erzählung noch einmal von der Ausweisung nicht-assimilierter Staatsbürger sprechen. Zwar fügt die Sprecherin des Beitrags hinzu, dass die Aufführung das Treffen „fiktionalisiere“; aber dieser Teil solle „echt“ sein. Das wirft gleich zwei Fragen auf. Erstens: Woher weiß man bei einem Theaterstück, das bewusst die Grenze zwischen Wirklichkeit und Erzählung verschwimmen lässt, was wahr und was erfunden ist? Und zweitens: Warum erwähnt der Beitrag nicht, dass der eben interviewte Jean Peters maßgeblich an der Inszenierung mitwirkte? Der Sender lässt sein Publikum komplett im Dunkeln, wer Peters ist. Er entwaffnet sogar Kritiker vorab: Denn, Herr Peters wird von Rechtsextremisten verleumdet. Wer also Peters kritisch anfasst, muss sich erst einmal ausweisen, dass er nicht möglicherweise ein verleumdender Rechtsextremist ist. So die Kindergartenlogik.
Was hingegen auffällt: Die Methode, den Zuschauer bewusst im Nebel zwischen Fiktion und Wahrheit herumirren zu lassen, und das Ganze dann als moderne Form von Journalismus zu verkaufen, erinnert nicht zufällig an das Format von Jan Böhmermann. Und – wie es der Zufall will – genau dort hat Peters als Autor gearbeitet. Correctiv selbst sagt, er sei „investigativ bei der Ibiza-Affäre“ aktiv gewesen. Hier liegt der Knackpunkt: In vielen Belangen ähnelt die Correctiv-Affäre der Ibiza-Affäre. Die Unwägbarkeiten sind genauso groß, doch der politische Durchschlag enorm. Doch auch in dem Fall: Der Schaden war getan, die Sache erledigt. Correctiv sagt also sehr treffend: Peters hat die Affäre nicht aufgeklärt, er war daran „beteiligt“.
Dass der Zweck die Mittel heiligt, zieht sich durch die Vita des Böhmermann-Autors. Peters gilt als Urheber des Sahnetortenangriffs auf die AfD-Politikerin Beatrix von Storch. Er ist Mitbegründer der Seebrücke, die illegale Migration „entkriminalisieren“ soll. Dass er den Text für die Inszenierung am Berliner Ensemble mitgeschrieben hat, bleibt da nur ein weiteres Detail, das der Kontraste-Zuschauer sich mühsam im Internet zusammenverleumden muss. Es sind Vorgänge wie diese, die den Verdacht erhärten, dass hier nicht aufgeklärt, sondern verdunkelt werden soll.
Auf seiner eigenen Webseite schreibt Peters: „Ich entwickele Aktionen und erfinde Geschichten, mit denen ich in das politische und ökonomische Geschehen interveniere.“ Was früher den Spiegel und Claas Relotius in die Enge trieb, ist heute hohe Kunst. Was die „Refugee-Rentner“ angeht, könnte es sich dabei auch um so eine „Geschichte“ handeln. Auf TE-Anfrage sagt Vosgerau, dass dieser Begriff nicht auf dem Potsdamer Treffen gefallen sei – er höre diesen zum ersten Mal. Auch der „Plan“, solche Leute zu vertreiben, sei nicht gefallen. Vielmehr erklärt Vosgerau, dass Sellner die Idee ins Gespräch gebracht habe, die Migranten in Vorzeigestädten auf der gegenüberliegenden Mittelmeerseite anzusiedeln. Ihnen stünde es frei, dorthin zu ziehen – ebenso wie den Vertretern all jener Asylorganisationen, die sich dann dort um sie kümmern könnten. Ebenfalls freiwillig.
Das Muster Böhmermann, Ibiza, Correctiv und Peters ist also auffällig: Journalismus, der suggeriert, erfindet und nahelegt, sich dann aber als investigativ ausgibt und für sich die Wahrheit ausgibt. Im Italienischen gibt es dafür ein Sprichwort: Wenn es nicht wahr ist, so ist es dennoch gut erfunden.
Kontraste tut demnach das, was auch die FAZ diese Woche mit einem Beitrag getan hat, der nun darauf beharrt, es sei die AfD gewesen, die alternative Fakten erfindet, um die angeblich seriöse Correctiv-„Recherche“ auszumanövrieren: Man steht mit dem Rücken zur Wand und gräbt sich weiter rein, in der Hoffnung, unter der Wand wieder hindurchzukommen. Ähnlich wie bei der Aiwanger-Story um ein antisemitisches Pamphlet aus Schulzeiten glaubt man weiterhin, die Realität verbiegen zu können, weil man sie schreiben kann.
Doch es ist letztlich wie bei Robert Habeck: Irgendwann ist man von Realität umzingelt. Dann reicht es nur noch für eine Filmkomödie, die in ein paar Jahren in der Tradition von „Schtonk“ das ganze Journalistengeplänkel als Narrenspiel entlarvt. Es wäre für alle Beteiligten als die harmloseste Option zu hoffen.