„Ist die AfD ein Problem für die Demokratie“? Diese Frage stellt Moderator Ingo Zamperoni hundert Teilnehmern der Show „Die 100“, die durch ihre Positionierung im Raum deutlich machen, wie sie zu diesem Thema stehen: Eher oder stark ablehnend oder befürwortend, oder unentschieden. Keine schlechte Idee: Pro- und Kontra-Argumente werden vorgestellt, regen zum Nachdenken an und erfordern wiederum eine Positionierung; wer mag, kann seine Haltung am Schluss revidieren und anpassen.
Die Kontra-Argumente überraschen: Moderatorin Anna Planken, der die Aufgabe zugelost wurde, „für“ die AfD einzutreten, bringt rationale Gründe dafür vor, wieso die AfD toleriert werden sollte, betont, dass eine Demokratie Dissens aushalten müsse. Dass selbst Zustimmung und Unterstützung für die AfD mögliche und legitime Haltungen gegenüber dieser Partei sein könnten, fällt freilich unter den Tisch, und Hauptmoderator Ingo Zamperoni betont auch sicherheitshalber, dass hier nicht die persönliche Meinung der Moderatoren zum Ausdruck komme. Aber immerhin: Als jene 37 Teilnehmer, die die AfD eingangs als unproblematisch betrachten, kurz der Bühne verwiesen werden, um zu verdeutlichen, wie es wirkt, wenn eine signifikante Gruppe von Menschen vom Diskurs ausgeschlossen wird, ist das eindrücklich und beklemmend.
Haben die Öffentlich-Rechtlichen Medien gelernt und fahren politischen Aktivismus zugunsten differenzierter Meinungsbildung zurück? Der gute erste Eindruck schwindet im Verlauf der Sendung leider rapide: Statt offener Parteinahme wird uns dieselbe nun unter dem Deckmantel kontroverser Diskussion präsentiert: Infantilität und Manipulation fallen zusammen, wenn Planken zur Visualisierung unserer Demokratie ein buntes Häuschen aus überdimensionierten Legosteinen auf der Bühne zusammenbauen lässt, das uns klarmachen soll: Viele Meinungen unter einem Dach – kein Problem, die Demokratie ist stabil. Didaktik für Politikunterricht in der Grundschule zur besten Sendezeit. Oder wenn uns Michel Friedman in einem emotionalen Appell die Angst der jüdischen Bevölkerung vor „neuen Nazis“ vor Augen führt: Eine leichtfertige Relativierung des Holocaust, und das auch noch vor dem Hintergrund, dass jüdisches Leben heute in Europa vorrangig von jenen bedroht wird, deren Abschiebung nicht nur die AfD fordert.
Der Tiefpunkt ist erreicht, als in einem „Quiz“ danach gefragt wird, ob Sonne, Mond oder Mensch für den Klimawandel verantwortlich seien. Freilich geben „die Hundert“ brav die erwünschte Antwort; und so kann sich der Moderator anschließend über eine Äußerung Beatrix von Storchs lustig machen, die, zugegeben in simplen und unwissenschaftlichen Worten, ihrer Überzeugung Ausdruck verleiht, dass die Erderwärmung nicht vom Menschen abhinge. Diese Episode ist, obwohl andere mehr Empörung hervorrufen, eine der entlarvendsten der gesamten Sendung: Kontroverse Meinungen sind heute Abend im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk gnädigerweise erlaubt: Aber nur zum vorgegebenen Thema, nur gelenkt und geleitet.
Der oberlehrerhafte Ton Tobias Krells, der die AfD als Problem für die Demokratie charakterisieren soll, ist schon nach wenigen Minuten unerträglich. Seine Argumente beschränken sich auf Emotion und Moralin. Nicht fehlen dürfen aus dem Kontext gerissene Aussagen von AfD-Politikern – da finden sich polemisch-aufwiegelnde Passagen neben völlig korrekten Feststellungen: Etwa, dass mehr dazu gehöre, als nur eine Staatsbürgerurkunde, um Deutscher zu sein.
Anstatt kritikwürdige Aussagen aus den Reihen der AfD zu thematisieren, wird eine Aussage als kritikwürdig betrachtet, sobald sie aus den Reihen der AfD stammt: Nach diesem Prinzip hat eine nahezu geschlossene Front von Medienvertretern und Politik jahrelang die AfD gestärkt. Statt Lösungen für die Probleme der Bürger hieß das Programm: Dämonisierung des Gegners, auch um den Preis, dass moderate und in der Mitte der Gesellschaft verortete Haltungen als „rechts“, d.h. „rechtsextrem“, verunglimpft wurden.
Nachdem die Wahlen in Sachsen und Thüringen belegen, dass diese Strategie krachend gescheitert ist, bringt man nun das letzte Mittel in Stellung, um die immer noch als „Mainstream“ bezeichnete öffentliche Meinung zu stabilisieren: Gruppendruck. Man holt man den „einfachen Bürger“ ins Boot. Er soll den Zuschauern erklären, warum die AfD „unwählbar“ ist. Wenn von hundert Menschen am Ende 68 der Ansicht sind, dass die AfD ein Problem sei, ja, da wird man sich doch wohl der Mehrheitsmeinung anschließen, so funktioniert Demokratie doch, wenn sie lupenrein sein soll, oder nicht?
Dummerweise denkt dieser einfache Bürger aber gar nicht so eindimensional, wie man im elitären Elfenbeinturm glaubt. Er kann sehr wohl differenzieren, und weiß, dass zwischen Ablehnung und Diffamierung einer Meinungsäußerung ein Unterschied besteht. Ein absoluter Lichtblick der Show sind denn auch die Repräsentanten des gemeinen Volks, die zu ihrer Haltung stehen. So etwa die ältere Dame, die sich dazu bekennt, ins Lager der Protestwähler zu gehören: Nach den Ängsten der Einheimischen frage niemand, merkt sie an. Oder der Mann, der mit nur zwei weiteren Teilnehmern daran festhält, die AfD nicht als rassistisch brandmarken zu wollen. Er berichtet aus dem Arbeitsalltag seiner Frau, die als Lehrerin mit renitenten Migranten zu tun hat, die ganz offen ihre Verachtung gegenüber dem Land, das sie aufgenommen hat, äußern.
Was tun, wenn die Teilnehmer der Show tatsächlich eine plurale Gesellschaft abbilden, und sich nicht in Schubladen stecken lassen, wenn am Ende nicht das gewünschte Bekenntnis gegen die AfD steht? Nun, ganz zufällig wird zum Schluss prominent ein Mann befragt, der seine Meinung gerade live während der Show verändert hat: Eben noch war er der Ansicht, die AfD sei überhaupt kein Problem für die Demokratie, eine Stunde später ist er vom glatten Gegenteil überzeugt.
Damit wäre der unschätzbare Beitrag dieser Sendung zur Meinungsbildung zweifelsfrei belegt! Schade nur, dass „das Internet“ in Windeseile offenlegt, dass, was unglaublich klingt, tatsächlich unglaubwürdig ist: Bei dem unbescholtenen Bürokaufmann handelt es sich um einen Kleindarsteller. Ein Vorgang übrigens, der deutlich macht, warum sich Machthaber vor den Sozialen Medien fürchten: Derlei Gängelung wird in kürzester Zeit aufgedeckt und publik gemacht, und gibt die Verantwortlichen einem Sturm der Entrüstung und des Spottes preis.
Dieser Sturm bricht sich nun in den Sozialen Medien bahn: Dass ein dezidiert dem Diskurs gewidmetes Format derart manipuliert und kontrolliert wird, erinnert nicht von ungefähr an DDR-Zustände. Die Tatsache, dass ausgerechnet in einem Format, in dem für öffentlich-rechtliche Verhältnisse erstaunlich offen über das Phänomen AfD gesprochen wurde, Ergebnisoffenheit in Teilen vorgetäuscht wurde, ist nicht nur enttäuschend, sondern ein formidabler Schuss ins Knie. Der eigenen Glaubwürdigkeit fügt der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk damit wieder einmal massiven und wahrscheinlich irreparablen Schaden zu.