Tichys Einblick
ARD-Mitmachshow in der Kritik

Schauspieler und Politiker: Weiter Aufregung um „Die 100“

Nach ersten Enthüllungen um die Teilnahme eines Kleindarstellers in der politischen Mitmach- und Meinungsshow „Die 100" machen unermüdliche Rechercheure mittlerweile über ein Dutzend Teilnehmer der Sendung aus, deren Unvoreingenommenheit in Frage gestellt werden kann; darunter mehrere Schauspieler und Politiker. Ein Fiasko für die ARD.

Screenprint: ARD / Die 100

Die digitale Welt ist anfällig für Manipulation und Fake-News: Das wissen wir alle. Andererseits war es noch nie so leicht, Betrug aufzudecken. In Zeiten kollektiver Anmerkungen und Faktenchecker haben so viele Menschen wie noch nie Zugang zu so viel Information wie noch nie. Täuschungen sind ebenso schnell im Netz, wie sie dekonstruiert werden.

Das bekommt heuer die ARD schmerzhaft zu spüren: Die jüngste Ausgabe der Mitmachsendung „Die 100“ erregt deutlich mehr Aufsehen, als den Machern lieb sein dürfte. In der Sendung positionieren sich hundert Teilnehmer, die die Breite der Gesellschaft abbilden sollen, zu einer Frage. Sie bekommen Argumente vorgelegt und nehmen abschließend nochmals eine Haltung zur Ausgangsfrage ein. „Ist die AfD ein Problem für die Demokratie“, so lautete die Frage nun. Und tatsächlich: Nach einer Stunde Pro und Kontra war die Zustimmung zu dieser These von anfangs 63 Prozent auf 68 Prozent gestiegen. Meinungsbildung in Echtzeit.

"Ist die AfD ein Problem für die Demokratie?"
"Die 100": Gelenkte Meinungsbildung bei der ARD
Dumm nur, dass ausgerechnet der letzte befragte Teilnehmer eine allzu unglaubwürdige Wandlung vom Saulus zum Paulus durchgemacht haben wollte. Hatte er sich zu Beginn der Sendung noch als unkritisch gegenüber der AfD eingestuft, war er in das diametral entgegengesetzte Lager abgewandert und beteuerte nun, die AfD sei ein „Wolf im Schafspelz“, darum habe er sich umentschieden. Eine derart krasse Wandlung in 60 Minuten? Als Schlusswort der Sendung?

Recht auffällig, sagten sich Faktenfinder, nahmen die Fährte auf und wurden augenscheinlich fündig: Der als Bürokaufmann vorgestellte Teilnehmer entpuppte sich als Kleindarsteller, der auch bereits für die ARD tätig war. Doch dabei blieb es nicht. In Windeseile waren nicht nur weitere Schauspieler enttarnt, auch Parteimitglieder und Funktionäre etwa der SPD, der Grünen und der Linken, waren dabei, ohne als solche erkennbar zu sein.

Nun dementiert die ARD zwar, Komparsen angeheuert zu haben, und auch der zuerst enttarnte Schauspieler beteuert, nicht in dieser Eigenschaft teilgenommen zu haben. Es fällt vielen Zuschauern allerdings sehr schwer dies zu glauben. Moderator Zamperoni steuere für viele in den sozialen Medien eben jenen Mann mit Komparsenhintergrund etwas zu direkt zu zielstrebig an – dies gleich nach der Aussage der 84jährigen Brigitte Gromm, der bei der AfD zwar etwas unwohl ist, die sie aber trotzdem wählen wolle.

Bereits seit einigen Jahren, vermehrt in den letzten, wallt in den sozialen Medien regelmäßig Unmut darüber auf, weil etwa in vorgeblichen Straßeninterviews Politiker oder ÖRR-Mitarbeiter zu Wort kommen, ohne dass auf deren Position hingewiesen wird. Die Häufung solcher „Zufälle“ verstärkt den Eindruck, dass sich zu viele Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Medien eher als Aktivisten denn als Journalisten verstehen. Auch bei der eigentlich bejubelten Birgit Gromm möchten Nutzer anschließend schnell herausgefunden haben, dass sie mal bei den Linken aktiv war. Das Chaos ist komplett. Zumal es bereits auch in den vorangegangenen Ausgaben von „Die 100“ zu ähnlichen Vorfällen gekommen ist und sich als neutral vorgestellte Teilnehmer der Sendung im Anschluss als Funktionäre von roten oder grünen Parteien entpuppten.

Glosse - Das Netz spottet
#ARDfragt: Der zufällig vorbeikommende Passant
Entsprechend groß sind Entrüstung, Häme und Spott in den sozialen Medien. Ganz gleich, was an den aktuellen Vorwürfen dran ist: Eine Entschuldigung seitens der ARD wäre in jedem Fall angebrachter als ein – ohnehin nicht sonderlich überzeugendes – Dementi. Denn wenn von 100 Menschen, die zumindest tendenziell die Gesamtgesellschaft und den Durchschnittsbürger abbilden sollen, über ein Dutzend Schauspieler und Politiker sind, so stellt diese Überrepräsentation so oder so eine unangemessene Verzerrung dar, die kaum mehr als authentisch gelten kann.

Dass Manipulation hier billigend und fahrlässig in Kauf genommen wurde, ist daher die wohlwollendste aller möglichen Deutungen. Versagt hat die ARD in jedem Fall: entweder durch fahrlässige Faulheit in der Auswahl der Protagonisten und durch mangelnde Transparenz in der Angabe von Tätigkeiten, die die „Unvoreingenommenheit“ der Teilnehmer beeinträchtigen könnten – oder aber durch bewusste Manipulation, die der Simulation freier Meinungsbildung und freien Diskurses gleichkommt.

„Wer einmnal lügt, dem glaubt man nicht.“ Niemand sollte sich darüber wundern, dass das Vertrauen in Presse und Medien unaufhörlich sinkt. Dass es sich bei solchen Vorfällen um Zufälle handelt, ist schlicht nicht mehr vermittelbar. Als Bollwerk gegen Fake-News kann die ARD so jedenfalls nicht dienen. Sie demontiert sich in aller Gründlichkeit selbst.

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