Auf dem Briefkasten klebt ein Schild: „Bitte keine Werbung einwerfen“. Im Briefkasten klemmt eine Zeitung. 16 redaktionelle Seiten, 20 Werbebeilagen. Die sind in diesem werbefreien Briefkasten willkommen, weil sie ja Beilagen sind – vermutet zumindest der Zusteller. Auf dem Titel ist Platz für den Namen der Zeitung und eine Geschichte, den Rest nimmt eine überdimensional große Anzeige für einen Baumarkt ein. Im Blatt findet sich ein redaktioneller Beitrag darüber, wie toll Angebot und Lebenslauf des heimatlichen Juweliers seien – weiter hinten steht seine Anzeige.
Dieses Geschäftsmodell gerät nun in die Krise, berichtet das Fachportal Übermedien. Die Redaktion macht das an der Westfälischen Medien Holding fest, die demnach Ende April in Westfalen ihre Gratistitel einstellt. Knapp 930.000 Exemplare fallen dann aus der Rechnung des BVDA. Das geht mit Stellenverlust einher. Die Zahlen von Übermedien dazu bieten eine hohe Aussagekraft über die journalistische Qualität der Anzeigenblätter. Für 930.000 Exemplare von Anzeigenblätter waren demnach 2.500 Austräger notwendig – und zehn Journalisten.
Die Anzeigenblätter gehören meist den Verlagen, die vor Ort auch die Tageszeitung herausgeben. Sie sind Teil einer Doppelstrategie: Angesichts steigender Druck- und Papierkosten sowie einer sich verändernden Leserlandschaft verzichten viele Tageszeitungen auf die lokale Berichterstattung. Zudem organisieren sich die Tageszeitungen in immer größeren Einheiten und sind deshalb in vielen Dörfern und kleineren Städten gar nicht mehr präsent. Die Beiträge über ihre Konzerte, Familienabende oder Sportfeste müssen die Vereine dann selbst schreiben und das Wochenblatt druckt sie – aber nicht mehr die Tageszeitung. Es geht den Verlagen dabei um Präsenz – oder viel mehr die Imagination von Präsenz. Qualität spielt keine Rolle mehr. Die zehn Journalisten kopieren die Texte ins Layout und im besten Fall holen sie die Rechtschreibfehler aus den Entwürfen. Der örtliche Juwelier schaltet seine Anzeige aber nur in einem Umfeld lokaler Berichterstattung – dafür der ganze Aufwand.
Für diese Brandmauer solle die Bundesregierung nun Geld springen lassen, fordert Eggers. Seine Hoffnungen sind nicht weltfremd. Schon das vierte Kabinett von Angela Merkel (CDU) hatte sich zum Ziel gesetzt, über 200 Millionen Steuer-Euro an Not leidende Verleger zu spenden. Auch das erste Kabinett Olaf Scholz (SPD) hat diese Absicht im Koalitionsvertrag stehen. Es gibt dabei nur ein Problem: Nach welchem Schlüssel teilt der Staat das Geld an Verleger in Not auf? Wer bekommt am meisten: Der mit dem besten redaktionellen Beitrag über Anzeigen schaltende Juweliere? Der mit der schönsten Baumarkt-Anzeige auf dem Titel? Oder doch lieber gleich der Verlag, an dem die SPD die größten Anteile hält? Schließlich hat sich die SPD als Brandmauer genauso verdient um die Demokratie gemacht wie Werbebeilagen.