Tichys Einblick

Eine antisemitische Petitesse – oder ein Blick hinter die Fassade öffentlich-rechtlicher Sender?

Ausgerechnet in dem Land, das sich wegen seiner Geschichte einer besonderen Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk verpflichtet fühlt, verbreiten die mächtigen öffentlich-rechtlichen Medien besonders gerne das Bild vom „hässlichen Israeli“.

IMAGO

Selten gab es im Bundestag eine größere Übereinstimmung aller Parteien als bei der Verabschiedung der „Antisemitismus-Resolution“ im November letzten Jahres. Lediglich die Linke und das Bündnis Sarah Wagenknecht stimmten dem Beschluss nicht zu, der ausdrücklich auch den Antisemitismus in Kultur und Wissenschaft sowie im Zusammenhang mit Protesten gegen Israel thematisiert. „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ lautete die Überschrift der ehrenwerten Resolution. Allerdings zeigen zahllose Ereignisse im Alltag, dass solche Erklärungen an dem antisemitischem Grundrauschen in der deutschen Kultur- und Medienlandschaft herzlich wenig ändern.

Für ein paar Sekunden entschlüpfte jüngst einer Redakteurin des Hessischen Rundfunks (HR) ein Ausdruck tiefen Widerwillens, wenn nicht gar Abscheus vor einer Gesprächspartnerin mit israelischen Wurzeln. „Bäh“ entfuhr es der TV-Moderatorin Selma Üsük bei der Vorbereitung der Sendung „Hallo Hessen“, nachdem die in Frankfurt lehrende Informatik-Professorin Dr. Haya Schulmann auf die Frage, woher ihr Name stamme, Israel sagte. Dabei steckte die HR-Journalistin mit türkischen Wurzeln auch noch – offenbar angewidert – die Zunge heraus, berichtete die Wissenschaftlerin später empört.

„Es fällt mir schwer, dieses Verhalten anders als rassistisch oder antisemitisch zu deuten“, schrieb die Professorin für Cybersicherheit auf der Plattform „LinkedIn“. Nie zuvor sei ihr „so etwas in einer etablierten, deutschen Sendung begegnet.“

18 Interviews und eine Lippenleserin

Der ARD-Sender reagierte sensibel und prompt. Die „unabhängige“ Rechtsanwaltskanzlei Feigen Graf wurde beauftragt, die Vorwürfe zu untersuchen. Die Juristen führten nach HR-Angaben 18 Gespräche mit Mitarbeitern des Senders, sichteten Videomaterial und nahmen sogar die Talente einer Lippenleserin in Anspruch. Ergebnis der aufwändigen Analyse: die Moderatorin habe sich nichts zu Schulden kommen lassen, die Wissenschaftlerin sei nicht beleidigt worden. Das Ganze sei mehr ein Missverständnis gewesen, so der Tenor der geschraubten Formulierungen in der Erklärung.

Der HR bedauere, dass Haya Schulmann eine andere „Wahrnehmung“ gehabt habe. Man verwahre sich gegen die öffentliche Vorverurteilung der Moderatorin. Der öffentliche-rechtliche Sender habe in dem Zusammenhang auch 43 „Hasskommentare in sozialen Medien“ zur Anzeige gebracht. Die Rechtsanwälte wird es freuen, die Justiz darf arbeiten; bezahlt wird das alles aus den Zwangsgebühren der Bürger.

Ein harmloses „Bäh“ lässt tief blicken

Auch wenn sich die Wissenschaftlerin zutiefst unzufrieden mit dem Ergebnis der „unabhängigen“ Untersuchung zeigte, so muss man festhalten, dass es sich hier um einen relativ harmlosen, und dann auch noch lediglich intern wahrnehmbaren antisemitischen Ausrutscher im Hessischen Rundfunk handelt. Wie in allen anderen öffentlich-rechtlichen Sendern sind die Redaktionen in ihrer Selbstdarstellung und ihrem Selbstverständnis sehr engagiert im Kampf gegen den Antisemitismus.

Nicht nur zahlreiche Sendungen über den Holocaust sowie eine durchaus breite Berichterstattung über antisemitische Vorfälle scheinen das auch zu belegen. Wobei allerdings unangemessen oft auf einen angeblich „rechten“ Hintergrund und relativ selten auf die Verantwortung islamisch-arabischer Akteure für den erschreckend wachsenden Antisemitismus in Deutschland und Europa verwiesen wird.

Während besonders die historischen Verbrechen an Juden in deutschem Namen immer wieder Platz in öffentlich-rechtlichen Programmen haben, zeichnet sich die Berichterstattung über die heute lebenden Juden nicht selten von einer zuweilen erstaunlichen „Neutralität“ aus. Wes Geistes Kind die meisten öffentlich-rechtlichen Redaktionen wirklich sind, offenbart sich am besten in der Berichterstattung über Israel.

Der ungeliebte jüdische Staat

Kommentare, Interviews und Berichte über den jüdischen Staat und insbesondere über seinen langjährigen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu sind geprägt von einer außerordentlich kritischen Sicht, die in ihrer Schärfe und Abneigung den Meldungen über den amerikanischen Präsidenten Donald Trump oder Ungarns Ministerpräsidenten Victor Orbán ähneln.

Wenn es um Israel geht, werden zudem besonders gern jüdische und israelische Stimmen als Kronzeugen gegen Israel gehört; viele sind deutlich linksgerichtet, viele haben sich vor allem in Kultur und Medien einen Namen als „Israel-Kritiker“ gemacht, was durchaus lukrativ zu sein scheint. Demonstrationen gegen die Regierung Netanjahu in Tel Aviv oder Jerusalem haben für deutsche Redaktionen großes Gewicht, selbst wenn nur wenige Hundert protestieren.

Am liebsten zitieren deutsche Sender wie der Deutschlandfunk die linksradikale israelische Zeitung „Haaretz“, deren Bedeutung man im besten Fall mit der Rolle der „tageszeitung“ in Deutschland vergleichen kann: die mediale Stimme einer kleinen, radikalen Minderheit mit sehr begrenzter Verbreitung. Dabei beachtet die „Taz“ allerdings deutlich stärker Gebote und Standards des guten Journalismus als die „Haaretz“, die zuweilen wie ein antizionistisches Hetzblatt wirkt.

Viel Raum geben öffentlich-rechtliche Sender auch allen politischen Angriffen auf Israel: die inflationäre Zahl von anti-israelischen UN-Resolutionen, die fragwürdigen Anschuldigungen des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Netanjahu, die zum Teil wilden und kaum belegten Anklagen von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder auch anti-israelische Tiraden aus allen möglichen palästinensischen Quellen finden in Nachrichten- und Magazinsendungen viel Beachtung.

Gleichsetzung jüdischer Demokraten und arabischer Terroristen

Seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel versuchen deutsche Radio- und TV-Korrespondenten möglichst „ausgewogen“ über den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zu berichten. Immer wieder wird betont, dass man Angaben beider Seiten nicht überprüfen könne.

Was auf den ersten Blick als guter Journalismus erscheinen könnte, ist eine erstaunliche Gleichstellung demokratischer Politiker und Institutionen mit terroristischen, korrupten und menschenverachtenden Organisationen. Obwohl es keinen Zweifel am mörderischen, extremistischen Charakter der Hamas oder der Hisbollah geben kann, werden beide Organisationen gerne von ARD-Sendern eher verharmlosend als „radikal-islamisch“ oder „militant-islamisch“ bezeichnet.

Bemerkenswert sind auch die Schwerpunkte, die deutsche Sender in der Israel-Berichterstattung setzen. Das Leid der Palästinenser, das Vorgehen der israelischen Streitkräfte oder die Übergriffe jüdischer Siedler sind seit vielen Jahren Dauerthemen. Der Tenor dieser Beiträge ist in erster Linie die besondere Verantwortung Israels für das menschliche Leid in den Palästinensergebieten, für exzessive Gewalt und rassistische Attacken gegen Araber. Viele Sendungen wirken arg einseitig und parteiisch – so gut wie nie zugunsten Israels.

Dabei liegt historisch betrachtet die eigentliche Schuld für die schrecklichen Realitäten im biblischen Land – natürlich verkürzt und verallgemeinernd – in erheblichem Maße auf der palästinensischen und arabischen Seite, die sich seit fast acht Jahrzehnten aller friedlichen Abmachungen verweigert.

Ausgerechnet in dem Land, das sich wegen seiner Geschichte einer besonderen Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk verpflichtet fühlt, verbreiten die mächtigen öffentlich-rechtlichen Medien besonders gerne das Bild vom „hässlichen Israeli“. Der Vorfall im Hessischen Rundfunk wäre eine Petitesse, würde die Unachtsamkeit einer Journalistin nur ihre persönlichen Gefühle gegenüber dem jüdischen Staat zeigen und für den Sender völlig untypisch sein. Das aber scheint wenig wahrscheinlich.


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