Tichys Einblick
Tatsächlich eine Debatte

Bei Anne Will fragt Habeck: „Warum verstehen die Ostdeutschen uns nicht?“

Alles in allem war es gestern Abend ein informativer und aufschlußreicher Talk - wäre Anne Will nicht dabei gewesen, hätte das niemand bemerkt.

Screenprint ARD / Anne Will

Manchmal sind es nur Gesten und Mimik, die den inneren Zustand und die Seelenlage eines Menschen verlässlich verraten. Gestern Abend bei „Will“ war es der hessische CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier, dem dies in der Wertung des Wahlergebnisses von Magdeburg widerfuhr. Offensichtlich hatte man in der CDU-Spitze einen so miserablen Wahlausgang erwartet, der im Falle eines Spitzenreiters AfD zur Katastrophe für die Union hätte werden können. Die vor noch nicht allzu langer Zeit herablassend belächelte national-konservative AfD war mit einem Mal zum Angstgegner geworden.

Und nun das – der bodenständige und nach den Maßstäben der Mediendemokratie eher farblos wirkende Reiner Haseloff hat es geschafft, den besonders seit dem Frühjahr 2020, mit einer kurzen Unterbrechung, anhaltenden Abwärtstrend der CDU umzudrehen. Hinzu kommt, dass die FDP wieder erstaunlich stark im Rennen ist. Bouffier wertete dies als Ausdruck der Stärke des bürgerlichen Lagers, welches fest in der Demokratie verankert sei. Für einen Moment schien es in der Runde so, als existiere die, von allen anderen als rechtsextremistisch gebrandmarkte, AfD gar nicht. Dass dem nicht so ist, bewies die leibhaftige Anwesenheit des AfD-Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla, der aus den 37,2 für die CDU und immerhin 20,8 % für die AfD die Schlussfolgerung zog, dass es in Deutschland nur noch zwei Volksparteien gäbe – die CDU und die AfD. Rechne man die FDP noch hinzu, habe die Linke in ihrer Gesamtheit keine Mehrheit in Deutschland. Dass der AfD-Mann dabei wie selbstverständlich seine Partei in das Lager der bürgerlichen Demokraten einordnete, stieß erwartungsgemäß auf heftigen Widerspruch aller anderen.

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Geradezu hilflos wirkte der, bis eben noch Fast-Kanzlerkandidat der Grünen, Robert Habeck, angesichts des miserablen Abschneidens der Grünen mit der Frage: „Warum verstehen die Ostdeutschen uns nicht?“. Die Feststellung des dafür vielfach gescholtenen Ost-Beauftragten Marco Wanderwitz, in der ehemaligen DDR gebe es einen diktaturgeprägten Teil der Gesellschaft, der für die Demokratie verloren sei, könne es doch nicht sein. Jetzt war es die prominente Einzelkämpferin der Linkspartei, Sarah Wagenknecht, die die Dinge erfrischend auf den Punkt brachte. Das Lager links der Mitte habe ganz einfach den Kontakt zu den Menschen verloren. Gerade in Ostdeutschland rede man über die Köpfe der Leute mit selbstherrlicher Arroganz hinweg. Die wirklichen Probleme der Menschen würden nicht angesprochen, dafür überschütte man sie mit Genderdebatten und Verzichtsszenarien für den Klimaschutz, die an ihren Befindlichkeiten glatt vorbeigehen. Kein Wunder, dass der einst als schwarzer Sheriff der CDU verschrieene Hesse Bouffier, ihr dezidiert zustimmte.

An dieser Stelle erreichte der „Will“-Talk, wozu allerdings die Gastgeberin nichts beitrug, einen der seltenen Höhepunkte der allgemeinen Debattenkultur. Schade nur, dass Will immer dann mit oberflächlichen Zwischenfragen diese Ebene wieder verließ. Die Zusammensetzung und Qualität der Runde machte sie zu einem Fremdkörper unter Leuten, die zum Teil mit deutlicher Verärgerung ihre spärlichen Intermezzos zurückwiesen. Besonders Wills Körpersprache verriet, wie unwohl sie sich in ihrer Haut fühlte. Mit einer auffälligen Fahrigkeit rutschte sie auf ihrem Stuhl herum und schob dabei immer wieder ihren Oberkörper in etwas verzerrten Posen nach vorn. Eine Sternstunde für Verhaltensforschung!

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Eine Haseloff-Wahl – keine für Laschet und schon gar keine für Merkel
Das Gespräch kam dann wieder auf Reiner Haseloff, den Helden des Abends. Man war sich einig, dass insbesondere in der Persönlichkeit dieses Mannes der Grund für seine Glaubwürdigkeit und damit seinen Erfolg liege. Er schreibe den Menschen weder vor, was sie zu denken, wie sie zu sprechen hätten, welches Auto sie fahren dürften und was sie essen sollten. Man muss sich nur einmal das Gesicht von Angela Merkel vorstellen, die darin nur eine Fundamentalkritik an ihrer eigenen Politik verstehen kann. Man darf gespannt sein, welche Lehren CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet aus den Ereignissen in Magdeburg zieht. Vielleicht hat die CDU nach dem Abgang Merkels doch noch eine Chance, an alte Positionen und Erfolge anzuknüpfen und eine national-konservative Partei rechts von ihr zu einer vorübergehenden Erscheinung werden zu lassen.

Auch Robert Habeck könnte vom gestrigen „Will“-Talk einiges mitnehmen. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass der westliche Neo-Marxismus der 68er-Bewegung, aus der auch die Grünen hervorgegangen sind, sich im sowjetischen Machtbereich nie entwickeln konnte. Wer vom „Konsumterror als besondere Form der psychischen Verelendung im Spätkapitalismus“ schwafelt, konnte in den chronischen Mangelgesellschaften jenseits der Mauer nicht reüssieren. Der „strukturellen Gewalt“ des Spätkapitalismus hatten an den westlichen Universitäten diverse antiautoritäre Bewegungen den Kampf angesagt. Dazu entwickelten sich klassische bürgerliche Lebensformen wie die Familie, die besondere Funktion von Frauen als Mutter beim Heranwachsen der Kinder, aber auch Disziplin und Leistungswillen zu Feindbildern, die es zu ändern gelte. Ganz vorn stand und steht dabei ein ständiger Umerziehungsprozess, dessen Notwendigkeit gerade durch die „Herausforderung der Klimakrise“ neue Hochzeiten feiert. Jeder, der jemals den repressiven Alltag in einer Diktatur – sei es linker, rechter oder religiöser Art – gelebt hat, kann über solche schwammigen Begrifflichkeiten nur verständnislos den Kopf schütteln. Vielleicht liegt hier der Grund für die Agonie der Grünen im Osten. Alles in allem war es gestern Abend ein informativer und aufschlußreicher Talk – wäre Anne Will  nicht dabei gewesen, hätte das niemand bemerkt.

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