Anne Will hat Martin Schulz ausgekramt. Das wirft Fragen auf: Wo war er die ganze Zeit? Was macht er heute? Oder interessiert das einen überhaupt? Zumindest die letzte Antwort drängt sich auf und lautet: eigentlich nein. Nun spricht Martin Schulz über den Ukraine-Krieg. Genauso viel würde es einem bringen, wenn der Dirk oder der Rainer dazu an der Theke was erzählen würden. Aber dann hätte man wenigstens einen Schoppen vor sich stehen.
Nach acht Monaten Krieg. Nach dutzenden Sendungen scheint Anne Will die Lust an dem Thema und an der Vorbereitung verloren zu haben: China hat bisher nicht auf Russland eingewirkt. Oder vielleicht gibt es doch Anzeichen dafür. „Man weiß es nicht genau“. Frau Weisband, sagen sie doch mal was dazu. Nun ist Marina Weisband Publizistin, Politikerin der Grünen, aber vor allem so eloquent, dass sie 90 Sekunden gut volltalken kann, auch wenn sie den Ball so derart lustlos zugespielt bekommt.
Hinweise, dass Deutschland nur schlecht über Russland informiert ist, dafür gibt es Hinweise. Allen voran die Tatsache, dass BND-Präsident Bruno Kahl vom Kriegsausbruch in Kiew buchstäblich überrascht wurde. Ein Sonderkommando musste den obersten deutschen Geheimdienstler rausholen. Deutschland hat sich demnach energiepolitisch und somit auch wirtschaftspolitisch von einem Land abhängig gemacht, das es nachrichtendienstlich vernachlässigt hat. Blindflug im doppelten Sinn.
Und wenn denn der Staat blindfliegt, wieso soll es da sein Fernsehen besser machen? Der amerikanische Präsident Joe Biden hat vor einem „Armageddon“ gewarnt, also dem Weltuntergang, leitet Will ein. Verbal ein wenig Gas gegeben auf einem Dinner, das dem Eintreiben von Spenden dient. Dann habe er es wieder zurückgenommen, sagt Will. Was gelte denn nun? Und Wills Gäste reden darüber, was sie glauben, dass die Amerikaner es glauben, und warum die Amerikaner glauben, was die Gäste glauben, dass sie es glauben. „So richtig wissen wir das nicht“, sagt Strack-Zimmermann als führende Expertin. Die Zeit wäre sinnvoller an der Theke verbracht – mit Dirk und Rainer und einem Schoppen vor sich.
Dann hat Will noch einen speziellen Gast eingeladen: den Schriftsteller Viktor Jerofejew. Offensichtlich entschlossen, die Pöbel-Lücke zu füllen, die der geschasste ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hinterlassen hat: „Das Wort Gesellschaft lässt sich auf Russland nicht anwenden.“ Die gebe es nicht. Aber das gefällt dem Poeten noch nicht. Er legt nach: „Bringen wir das Land auf die Intensivstation oder in das Leichenschauhaus. Ich bin der Meinung, es ist schon im Leichenschauhaus. Wie eine Leiche, die zerfällt.“ Yeah. Das melnykt.
Jerofejew darf sein Buch bewerben und über Putins Charakter mutmaßen. Aber das tun die anderen Gäste auch. Das mit dem Mutmaßen: Wir müssen seine Drohung mit Atomwaffen ernst nehmen, dürfen uns aber nicht einschüchtern lassen, auch wenn wir akzeptieren, dass die Menschen Angst haben, dürfen uns aber nicht einschüchtern lassen, auch wenn … das klingt schon in der Zusammenfassung endlos öde. Und ist als Show so schwer zu schlucken wie ein 17. oder ein 23. Schoppen.
Es bleibt an Weisband, das Klügste zu sagen: Es bringe gar nichts, ständig darüber zu philosophieren, was Putin meint und was nicht. Der Staat müsse schlicht und einfach handeln: Putin verstößt gegen eine Regel, gegen ein Gesetz. Also muss das bestraft werden. Durch Sanktionen oder durch Waffenlieferungen. Es braucht keine Minute, um das zu erklären. Doch es lässt sich kaum argumentieren, wozu die anderen 59 Minuten von Anne Will gut waren.