Anne Will läuft bereits 26 Minuten. Die Sendung ist also fast schon zur Hälfte rum. Da stellt die Moderatorin die Frage: „Können Sie uns sagen, wie es militärisch steht?“ Die Frage richtet sich an Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr. Russland bereite sich auf eine ukrainische Gegenoffensive vor, lautet seine Antwort. Nach einer Woche, in der zuerst Bilder zu sehen waren, wie ukrainische Soldaten bis zur russischen Grenze vorgestoßen sein wollen. Und dann Bilder vom russischen Durchmarsch im Donbass. Also was denn nun? Selbst der Experte der Bundeswehr-Universität kann das nicht so richtig erklären: Es werde einen Abnutzungs- und Stellungskrieg geben, sagt er.
An Masala ist es, den charakteristischsten Satz des Abends zu sagen: „Ich verliere langsam den Überblick.“ Damit bezieht er sich auf die deutsche Kommunikation rund um den russischen Überfall auf die Ukraine. Die Publizistin Marina Weisband geht einen Schritt weiter: Die unklare Kommunikation habe dazu geführt, dass die deutsche Regierung an Vertrauen verloren habe – das gelte auch für Frankreich.
Ein beliebter Talkshowgast ist zurzeit Michael Roth. Vor zweieinhalb Jahren ist Roth gegen Scholz angetreten, als die SPD ihren Vorsitzenden wählte. Beide unterlagen gegen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Bei der Regierungsbildung ist der erfahrene Außenpolitiker ebenfalls leer ausgegangen. Als gehobenes Trostpflaster hat er den Vorsitz im Auswärtigen Ausschuss erhalten. Jetzt kommt ihm in den vielen Talkshows die Aufgabe zu, Scholz zu interpretieren, weil ihn ja mit dem Kanzler immerhin die Partei verbindet.
Zumal sich die Widersprüche zwischen den Aussagen Scholz’ und der Realität leicht darstellen lassen. Bei Anne Will übernimmt das Jan van Aken. Er saß für die Linken zwei Wahlperioden lang im Bundestag. Jan van Aken erinnert an die vollmundigen Ankündigungen des Kanzlers, Russland mit Sanktionen in die Knie zwingen zu wollen. 320 Millionen Euro zahlten wir an Russland. Allein für Öl. Täglich. „Das ist das Gegenteil von Sanktionen.“ Auch wenn die Zahl hochgegriffen scheint. Andererseits widerspricht ihm im Studio auch keiner, sodass die Zahl in der Welt stehen bleibt.
Weisband fürchtet, dass der Krieg noch länger dauern und die Deutschen das Interesse daran allmählich verlieren würden. Der Vertrauensverlust, an dem das liegt, hat sie selbst dargestellt. Vertrauensverlust gegenüber einem Kanzler, der Fernsehansprachen hält, nach denen kaum einer weiß, was er eigentlich gesagt hat. Der sich so orakelhaft ausdrückt, dass eine Sendung sich eine Stunde lang um einen einzigen Satz drehen kann, ohne dabei nennenswert nach vorne zu kommen.
Runden wie die bei Anne Will werden dazu beitragen, dass die Menschen das Interesse am Krieg verlieren. Da ist der orakelnde Orakel-Deuter Roth. Er tritt gerne im Doppelpack mit Roderich Kiesewetter (CDU) auf. Der erzählt gerne, dass er mit Friedrich Merz in Kiew war – damit ist Kiesewetter dann aber auch schon zu Ende erzählt. Zusammen sind Roth und Kiesewetter bestenfalls gut für eine Demonstration, in welcher Kommunikationskrise die Politik in Deutschland steckt.