Tichys Einblick
CDU

Anne Will: Merkels Liste

Endlich geht es weiter. Also nicht weiter so. Sondern „weiblicher, katholischer, jünger“. Und trotzdem (oder deswegen?) bleibt alles bei der Alten. Anne Will und Merkels Alt-Neuanfang.

Screenprint: ARD/Anne Will

Der Spiegel nennt sie „Merkels Kabinettstück“, die FAZ spricht von einer „Reform“, die Welt lobt den „guten Anfang“. Die Bearbeitung von Merkels Liste war Pflichtprogramm für die politischen Beobachter am Sonntag. Die größte Überraschung für die Merkel-Astrologen: Jens Spahn als Gesundheitsminister. (Warum Überraschung? Weil Jens mal Widerworte gegeben hat!) Merkel erklärte die Ernennung in ihrer eigenen Sprache so: Sie habe „Spahn aus einer ‘fachlichen Dimension‘ heraus“ vorgeschlagen. Aus einer fachlichen Dimension heraus wird sie Ursula von der Leyen wohl kaum vorgeschlagen haben, eher aus einer taktischen. Denn wenn es um die Zeit nach Merkel geht, dürfte Uschi wohl endgültig wegen Dilettantismus außer Landes gejagt werden (EU oder NATO? Jedenfalls Brüssel, wo sie geboren wurde). Überdeutlich der Zusatz: „Sie wird meine ganze Unterstützung haben.“

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Des Weiteren haken wir ab: Den „Genussmensch“ (Handelsblatt) Peter Altmaier (Wirtschaft), Anja Karliczek (Bildung und Forschung), Weinkönigin Julia Klöckner (Landwirtschaft), Monika Grütters Kulturstaatsministerin (Die Welt: Sie liest viel, geht gern in die Oper und liebt die Berge.) Anette Widmann-Mauz (Integration). Im Kanzleramt wirkt in Zukunft beruhigend der Anästhesist Helge Braun. Von den acht aus Merkels Lostrommel Gezogenen sind fünf Frauen, einer Fachmann und keiner Ossi – ein Leserbriefschreiber nannte das, stellvertretend für den Tenor der Kommentare: Merkels „Kessel Buntes“. Was ein wenig gemein gegenüber dem erfolgreichsten Unterhaltungsformat des Ostfernsehens ist, denn Esprit für unsere Polit-Talkshows darf man von den Neuen kaum erwarten.

Die acht Gewinner feierten ihre Beförderung wohl im Kreise ihrer Liebsten, bei Anne Will musste jedenfalls der alte Fahrensmann Volker Bouffier mit seiner rauchigen Stimme, die sich hervorragend zum Synchronisieren alter Western eignen würde, die Union vertreten. Also den Merkelteil. Dass es auch noch einen anderen Teil gibt, zeigte der Historiker Andreas Rödder, der bislang im Schattenkabinett von Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz versteckt war – für uns jedenfalls ein vielversprechender Neuzugang auf der TV-Bühne! Der Zeitgeschichtler hofft, dass endlich „inhaltliche Debatten und thematische Offenheit die Alternativlosigkeit in der Union“ beenden mögen. Themen wie der Zustand der Bundeswehr („die Zustände“!) , der Rechtsstaat, die Innere Sicherheit, die EU, die Flüchtlinge, die Energiewende, und dass man Grenzen angeblich nicht schützen könne, seien nie diskutiert worden. Bouffier ließ ahnen, dass sie wohl auch in Zukunft nicht diskutiert werden. Merkel habe nie gesagt, dass man die Grenzen nicht schützen könne, behauptete er allen Ernstes. Will korrigierte: Merkel habe gesagt, dass sie die Grenzen nicht schützen könne. Ach so.

Gefangen zwischen Profilsuche und Abgrenzung
Quo Vadis Union?
Bouffier kann man in etwa so zusammenfassen: Das neue Regierungsteam sei „weiblicher, katholischer, jünger“. Ein Totschlagsargument. Wer in diesem Lande hätte nicht auf den Aufmarsch blutjunger, katholischer Ordensschwestern gewartet? Apropos: Ein recht komischer Heiliger vertrat den Osten in der Sendung. Frank Richter aus Meißen war mal katholischer Priester, ließ sich laisieren, um zu heiraten, wechselte schließlich zur Altkatholischen Kirche, trat in den 1990ern in die CDU ein, 2017 wieder aus. Der zerrissene Mann will nun die Zerrissenheit der Gesellschaft bekämpfen. Pflichtschuldig versprachen Bouffier und Olaf Scholz (der war auch da!), ein besonders fähiger Ostbeauftragter würde das schon richten.

Während der Kameramann, von der Sendung wohl auch gelangweilt, einer Hübschen aus dem Publikum genüsslich über die üppige Oberweite fuhr, dachten wir, dass man an Frank Richter durchaus auch ein gutes Haar lassen kann. Dass der Osten mit seinem Merkelfrust schon deutlich weiter sei als der Westen, hat er klar erkannt. Und wenn es als deutlicher Stupser etwa für die Sachsen gemeint war, dass die Bayern eine eigene CDU (mit S) haben, um ihre Interessen nachhaltig im Bund zu vertreten, und dass das auch für den Osten zu wünschen sei – nicht schlecht, Herr Specht! (Vielleicht eine DDU?)

Aber jetzt kommt erst einmal „Der Parteitag des Aufbruchs“ (Bouffier), bei dem die Mitglieder Merkel und ihre neue Truppe minutenlang beklatschen dürfen (länger als beim letzten mal müssen?). Dann erfindet Annegret Kramp-Karrenbauer die „soziale Marktwirtschaft“ neu. Am Ende der Sendung durfte natürlich der Mahngottesdienst gegen die AfD nicht fehlen. Die Predigt hielt Olaf Scholz, der ansonsten eigentlich nichts sagte. Frank Richter und Volker Bouffier sprachen die Fürbitten.

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