„Anne Will“ gelang gestern Abend eine Premiere in der langen Geschichte der Talkshows im deutschen Fernsehen. Keine Gesprächsrunde dieser Art dürfte je so viele ratlose und sogar verzweifelte Zuschauer zurückgelassen haben. Denn die Erkenntnis, die blieb, war so einfach wie bestürzend: Die Regeln unserer Demokratie sind schuld, dass die Regierung die Corona-Pandemie nicht ausreichend bekämpfen kann, und zweitens, wie der Kölner Intensivmediziner Michael Haller die unmittelbar bevorstehende Apokalypse der Triage ankündigte, „Es ist 5 nach 12 auf den Intensivstationen. Zwei Drittel aller Krankenhäuser in Deutschland seien bereits an der Belastungsgrenze.“
Provoziert hatte das Ganze die Gastgeberin selbst, in dem sie eine völlig inhaltsleere Frage stellte, die wahrscheinlich nur sie selbst als bemerkenswert journalistisch empfand. Mit ernster Miene und deutlich erhobener Stimme klagte sie in die Runde, dass die Kanzlerin kürzlich in ihrer Sendung durchgreifende Maßnahmen innerhalb von zwei Wochen versprochen habe, aber bis heute nichts geschehen sei.
Wären nicht der Parteichef der FDP, Christian Lindner, aber auch der Berliner Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) in der Runde vertreten gewesen, wäre ein Zurück zum eigentlichen Sachthema, wie weiter in der Corona-Politik, vielleicht gar nicht mehr möglich gewesen. Authentisch und nachvollziehbar schilderte Berlins Bürgermeister, wie kompliziert die Lage in seiner Millionenstadt sei, und letztlich keine Entscheidung für sich allein nur richtig sein könne. Da seien die Schüler des 7. bis 9. Jahrgangs, die seit vier Monaten keinen Tag Schule besucht haben, und zugleich aber einen Anspruch auf Unterricht haben. Nun wisse man aber auch, dass gerade in letzter Zeit die Schulen als Träger der Infektion hervorgetreten seien. Auch könne man doch nicht einem Menschen, der nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommt und sich auf eine abendliche Stunde Joggen freut, ihm diese verbieten. Auch sei doch dem älteren Ehepaar im Rentenalter nicht verständlich zu machen, warum der abendliche Spaziergang zu zweit nicht mehr möglich sein kann. Es drohe die Gefahr, dass die Menschen einfach nicht mehr mitmachen.
Dann wurde es noch einmal heftig. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Deutschen Bundestag, Katrin Göring-Eckhardt, forderte im schrillen Zweiklang mit Frau Amann vom „Spiegel“, dass doch endlich die Betriebe in Deutschland ihre Produktion einstellen müssten. Wenn es sein müsse, dann eben auch durch staatliche Anweisung.
Zwei existentielle Fragen dürften dem deutschen Michel in der vergangenen Nacht das Schlafen vergällt haben. Was ist bloß, wenn ich nächste Woche krank werde? Zweitens, wie werden wir bloß die demokratischen Hürden los, die unsere Regierung am Handeln hindern? Vorschläge zur Güte: Wo bleibt der Aktionsplan, die nötigen zusätzlichen Intensivbetten-Kapazitäten plus Personal schnellstens bereitzustellen, wenn überhaupt dieser Gedanke je in den Köpfen war? Dann schlage ich vor, dass die Kanzlerin noch in dieser Woche einen Angriff außerirdischer Heerscharen aus dem All ankündigt, was zweifellos dem Kriegsfall entspräche und Frau Merkel höchstpersönlich alles Nötige auf dem Kommandoweg veranlassen könnte. Vielleicht hat Angela Merkel ja wirklich solche Träume, aber die DDR kommt selbst beim schlechtesten Willen nicht wieder – Gottseidank!