Das Thema bei Anne Will ist zugespitzt – bis zu 500 Tote in Zusammenhang mit Corona in Altenheimen werden mittlerweile gemeldet. Eine Standardforderung lautet ja: Warum müssen alle zu Hause bleiben, um Ältere zu schützen? Wäre es nicht umgekehrt richtiger – die besonders Gefährdeten zu schützen und die weniger Gefährdeten weiter ihr Leben führen lassen? Wichtigster Gast Will ist Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Dann noch Olaf Scholz, Finanzminister, der seine Blässe durch hohe Zahlen wettmacht; das halbe Bruttosozialprodukt will die Bundesregierung für die Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen einsetzen. Er kann schon der Richtige sein, wenn er richtig befragt wird.
Die Ausgangssituation Will gegen Illner
Maybrit Illner bleibt thematisch eher im Allgemeinen. Ihr Stargast ist Robert Habeck. Der durfte schon im ZDF bei Berlin direkt auftreten. In diesen Zeiten muss sich eine Reise lohnen und die lange Abstinenz der Grünen muss wettgemacht werden; jedenfalls scheint das ZDF das für notwendig zu erachten. Auch Franziska Giffey, die Schwindeldoktorin und Familienministerin, ist ja noch nie durch lichtvolle Beiträge aufgefallen; weder in ihrer über weite Strecken abgekupferten Doktorarbeit noch in der Politik. Zugeschaltet ist allerdings Hendrik Streeck, Virologe aus Bonn, der auch nicht ganz auf der Linie des regierungsamtlichen Robert-Koch-Instituts liegt und nicht nur Papiere wälzt, sondern in Heinsberg an Ort und Stelle konkrete Forschung leistete. Und als hätten die Talk-Damen voneinander abgeschrieben, will auch Illner sich besonders um die Corona-Falle Altersheim bemühen.
Anne Will hat also die besseren, weil kompetenteren Gäste; bei Illner B-Prominenz. Das ist allerdings für Talkshows die entscheidende Wettbewerbsfrage. Und Sonntag Abend ist beste Talkzeit: Ausgeruht bereiten sich die Zuschauer auf die Woche vor.
Will kommt hart zur Sache Staatsversagen
Anne Wills Eingangsfrage ist zugespitzt: Angesichts der hohen Zahl von Todesfällen in Altersheim – sollte man da die Leute nicht herausholen aus diesem Gefahrenbereich? Alexander Kekulé dementiert nicht. Die Altersheime sollten wie Krankenhäuser behandelt werden – was nicht geschieht. Die Heime seien nicht gut genug gesichert. Allerdings sei die Verlegung ins Private nicht bei allen Betroffenen möglich. Und Christel Bienstein, Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) e.V. bestätigt den Mangel an Schutzeinrichtungen. Es ist die Offenbarung eines besonderen Staatsversagens: Gerade die Gruppen, die besonders geschützt werden müssen, sitzen in der Falle von Versorgungseinrichtungen, die auf eine längst erwartete Virus-Katastrophe nicht im Geringsten vorbereitet waren. Ältere zu schützen – es wird ins Gegenteil verkehrt, das Altersheim als Todesfalle?
Zurück in die Gegenwart
Doch da holt Alexander Kekulé den Professor und Scholz gewissermaßen blitzartig auf die Pflegestation in die Gegenwart zurück und in die Regenmäntel hinein, aus denen verzweifelte Kliniken Schutzkittel schneidern: Am kommenden Mittwoch sei vielerorts das Material zu Ende und dann drohe das ganz tödliche Chaos, ganz ohne Zweite Welle, nicht nur in Altenheimen, sondern schon beim Zahnarzt nebenan. Und dann kommt natürlich Donald Trump ins Spiel, der angeblich alles leer kauft. Da werden Wortkeulen geschwungen; „Notfallwirtschaft“ nennt es Bayerns Söder, „Pandemiewirtschaft“ heißt es bei Annalena Baerbock und Scholz will alles bestens koordinieren. Aber mit immer noch aggressiveren Wörtern werden nur mangelnde Vorbereitung und Vorratshaltung verborgen – immerhin sind ja alle Länder, auch China und Indien auf der Suche nach der letzten Schachtel FFP-2-Masken. Schöne Worte, während die Ärztin Martina Wenker erneut davon berichtet, dass Einmal-Masken von Medizinern im heimischen Backofen hitzebehandelt werden. Realität ist eben etwas anderes als Politik, und Wörter sind keine Maske, auch wenn sie schreiendes Versagen maskieren sollen. Es war eben alles andere wichtig, nennen wir mal: Klima, Flüchtlinge, Kostensenkung und viele neue Sozialprogramme, die toll klingen. Deswegen liegt der Fehler nicht beim bösen Trump, sondern bei uns selbst. Man kann die phrasenhaften Vorwürfe schon leise mitsprechen, die alle nur der Ablenkung dienen.
Politik setzte falsche Prioritäten
Und da erzählt auf dem Zweiten eine Pflegerin, Eva Ohlerth, wortgleich Ähnliches. Zurück bei Anne Will sagt Olaf Scholz, dass es teuer wird – über Steuern, die er ab einem Jahreseinkommen von 100.000 erhöhen will, über steigende Beiträge für Alle und sonstige Kosten. So einfach ist das: Man kann, den Eindruck vermittelt er, den Bürger einfach bis ins Unendliche weiter belasten. Politik müsste Prioritäten setzen. Aber da das schon bei den Ausgaben nicht geschah, dürfen wir bei den Einnahmen auch nicht Besseres erwarten.
Insgesamt ist es bei Anne Will erschütternd konkret. Das macht zornig, aber irgendwie ahnt man, dass die Probleme lösbar sein könnten. Etwa wenn der Jenaer Oberbürgermeister Christian Gerlitz erklärt, dass man halt mit Mundschutz doch Infektionen verhindern kann, sogar mit selbstgebastelten, auch wenn die Götter vom Robert-Koch-Institut das bis fast zuletzt leugnen und nur verschämt vom eigenen Fehlerkurs abweichen. Olaf Scholz diskutiert da wieder über die Maskenfrage im Allgemeinen, aber Anne Will nagelt ihn klar fest. Da sitzt er dann doch da wie auf dem Sünderbänklein und gesteht ein, dass die Maskenpflicht nur deshalb wortreich abgelehnt wird, weil es keine Masken gibt. Man sieht die Dolche in seinen Augen, als Kekulé das dann noch ausführt und unterstreicht. In diesem Land wird Kekulé nichts mehr, das steht fest.
Die Details der Sendung Anne Will hat Stephan Paetow aufgeschrieben, und er hat Glück gehabt, nämlich die bessere Sendung. Denn Robert Habeck schwärmt von Apps und redet erkennbar von Sachverhalten, die ihn weder interessieren noch gar, dass er Ahnung davon hätte. Illner redet von Oma und Opa, das soll warm klingen und ist herablassend wie die „Buffdis“, von denen sie so anbiedernd spricht und den Freiwilligendienst meint. Giffey bringt die Frauenfrage (alle unterdrückt) ein; das kommt immer gut und wir haben ja gerade kein anderes Problem. Und einen Tiefpunkt erlebt Habeck als den Bürgerrechtler gibt, der die Grünen früher waren und sich gegen Isolation Älterer ausspricht – aber es gehe nicht um Isolation, sondern um Schutz, Versorgung, Behüten, neudeutsch: Cocooning, belehrt ihn der Chef der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt fürsorglich. So ist es eben, wenn einer Regierung spielen will, wie Habeck und Opposition und Staatsmann gleichzeitig. Es geht daneben.
Und immer wieder schwurbelt Habeck so dazwischen mit angelernten und nicht durchdachten Sätzen. Der Doppeleinsatz des Tages, zu dem ihm das ZDF verholfen hat, hilft ihm wenig. Er hat nichts zu sagen, nur viel zu meinen. Und da hinein kommt Hendrik Streeck. „Menschen brauchen nicht Meinung, sondern Fakten“, sagt er und beschreibt seine Forschungsarbeit im Viren-Cluster Heinsberg, angenehm konkret, aber noch nicht entscheidungsreif.
Dann springt Illner wieder zurück zum einen oder zum andern, übers Hölzchen aufs Stöckchen. Es ist eine wirre Sendung, ohne Struktur und ohne neue Erkenntnisse.
Wettbewerb belebt das Geschäft. Anne Will, die oft schlechtere Sendungen abliefert, hat diesmal die deutlich bessere Performance. Sie hat den begehrten Sonntag Abend, den Einstieg in die Diskussion der kommenden Woche, gut verteidigt. Illner, bleib am Donnerstag. Da ist man zu müde, um zuzuhören, dafür reicht es gut.