Es ist die zweite Sendung in Folge, in der Anne Will über den Krieg in der Ukraine talkt. Vergangene Woche war der ehemalige Generalsekretär der SPD da, Lars Klingbeil – dieses Mal der amtierende, Kevin Kühnert. Eine Talkshow mit ihm ist immer ein wenig wie ein Anruf in einem Callcenter: Du wartest lange, dir wird viel gesagt, aber am Ende bist du keinen Schritt weiter.
Das liegt vor allem an der Gastgeberin. „Hat er Vertrauen verspielt?“, will Will vom Journalisten Georg Mascolo wissen. „Vertrauen Sie Olaf Scholz jetzt weniger?“, fragt sie die Linken-Vorsitzende Janine Wissler. Klassische Eröffnungsfragen für eine Paartherapie. Sie erfüllen zwei Zwecke. Die Beteiligten quatschen eine Stunde, alles bleibt wie vorher, nur die Therapeutin ist danach um einiges reicher.
Immerhin schafft Will ein Kunststück: „Blind vertrauen Sie ihm aber nicht?“, fragt die Show-Therapeutin den sozialdemokratischen Generalsekretär über den sozialdemokratischen Kanzler. Der Sekretär antwortet in Callcenter-Routine: Blind vertraue er grundsätzlich niemand. Will lässt Kühnert schlau aussehen. Damit ist der Mehrwert von Ukraine-Talkshows wie die von Anne Will auch schon zu Ende erzählt.
Dann ist da das Unbestimmte, an dem die Sendung leidet: Hätten die Ukrainer früher mehr Waffen bekommen, wären sie heute weiter. Für Aussagen dieser Qualität braucht es einen Politikwissenschaftler. Wäre es nicht so schlecht gelaufen, wäre die Situation jetzt besser. Danke. Damit tourt Carlo Masala durch die Talkshows. Auftritte bekommt er, wenn wie bei Will mit Wissler und Marina Weisband (Grüne) genug Frauen in der Runde sitzen. Muss die Redaktion die Frauen-Quote erfüllen, dann muss halt irgendeine Politikwissenschaftlerin, Historikerin oder Irgendwie-Expertin gefunden werden. Für „mehr Waffen wären besser für die Ukraine als weniger“ wird’s schon reichen. Zur Not nimmt die Redaktion Claudia Major.
Zum Unbestimmten gehört die Spekulation über den Kriegsverlauf. Am Anfang war das noch unterhaltsam, am Anfang fanden die Talkshows nämlich noch Gäste, die einen baldigen Sieg Russlands prophezeiten. Doch das sagt nach knapp einem Jahr keiner mehr. Jetzt kündigen die Experten an, dass der Krieg noch lange dauern kann (Masala) oder dass am Ende ein Friedensvertrag stehen müsse (Wissler). Gut, dass es Experten gibt. Sonst wäre da keiner drauf gekommen.
Vor diesem Hintergrund sind lediglich die Einwürfe Weisbands interessant: Weder die USA noch Deutschland schienen daran interessiert, den Krieg durch einen Sieg der Ukraine schnell zu beenden. Die Publizistin wirft im Staatsfernsehen der Nato also quasi Kriegstreiberei vor. Tut sie das wirklich oder hat sie sich falsch ausgedrückt? Hat sie recht? Irrt sie einfach? Oder verfolgt Weisband ein Ziel und wenn ja, welches?
Der Will-Zuschauer wird es nicht erfahren. Denn zum Konzept der Show gehört es, dass da ein SPD-Generalsekretär sitzt und der zieht das Niveau der Sendung wieder auf das Niveau von Callcentern zurück: Kühnert blubbert solange Politsprech über Scholz, bis der Zuschauer die Mängel am Produkt vergessen hat und darauf verzichtet, Regressansprüche zu erheben. Die Moderatorin stört es nicht. Sie lässt Kühnert blubbern. Am Ende ist sie einfach auch nur Teil einer Beziehung, die zwar offensichtlich kaputt ist – aber doch recht lukrativ für die Beteiligten.