Anne Will hat einen interessanten Gast. Nele Thönnessen arbeitet für die Arche Berlin-Brandenburg mit Familien in sozialer Not. Sie ist telegen, kann frei sowie verständlich reden und vor allem: Sie kann Handfestes aus der Praxis erzählen. Es wäre geschickt, Thönnessen zum Mittelpunkt der Sendung über das „Bürgergeld“ zu machen. Sonst wird es am Ende wieder nur eine von diesen Talkshows, in denen Kevin Kühnert das übliche Politpalaver vor sich hin dampfplaudert.
Doch es ist Anne Will. Da bekommt der Generalsekretär der SPD ganz viel Sendezeit und die Fachfrau viel zu wenig. In den raren Momenten, in denen Will Thönnessen reden lässt, liefert die Sendung Erkenntnisse. So erzählt die Sozialarbeiterin von einem Familienvater, den sie betreut. Der macht jetzt eine Lehre und kommt deswegen – anders als in reiner Arbeitslosigkeit – mit seinem Geld nicht mehr aus. Er sei auf Ämter gefahren, um entsprechende Zuschüsse zu beantragen. Dort hätte ihm ein Mitarbeiter gesagt, er solle das Arbeiten aufgeben – für ihn wären volle Transferleistungen besser.
Das „Kiel Institut for the World Economy“ hat es geprüft und kam zu dem Ergebnis, dass in manchen Konstellationen Geringverdiener am Ende weniger Geld hätten, als Empfänger von Bürgergeld haben werden. Das ist eine zersetzende Erkenntnis. Wenn sich das rumspricht bis zu Putzfrauen, Verkäuferinnen oder Handlangern am Bau, werden die aufhören zu arbeiten, und die Wirtschaft bricht zusammen. Das Kieler Institut kam unter Druck und zog seine Zahlen zurück.
Stattdessen lieferte die SPD-Vorfeldorganisation DGB Zahlen und die Vorlage für die Schlagzeile, dass sich Arbeit doch lohne. Auch für niedrigen Lohn. Eines der Beispiele präsentiert Will in der Sendung. Es ist das Vorzeigebeispiel dafür, dass sich schlecht bezahlte Arbeit in Deutschland lohnt. Demnach hätte eine Familie mit Vater, Mutter und zwei Kindern, in denen einer Vollzeit für Mindestlohn arbeitet, 544 Euro mehr, als die gleiche Familie an Bürgergeld erhält.
Doch selbst dieses DGB-Vorzeigebeispiel enthält Fangstricke. 500 der 544 Euro an Mehrverdienst erhält die Familie nur durch einen Kinderzuschuss. Aber sie muss von diesem Zuschuss wissen, diesen beantragen und dann muss dieser Antrag durchgehen. Aber selbst in dem Fall erhält der Arbeiter aus diesem Beispiel nur 3 bis 3,50 Euro mehr pro Stunde für seine Arbeit als jemand, der gar nicht arbeitet. Wohlgemerkt: Das ist ein Vorzeigebeispiel der politischen Richtung, die das Bürgergeld propagiert.
Wie profitieren die Politiker von diesen Informationen, die in Wills Runde sitzen? Bedauerlich wenig. Da ist Kühnert, für den die Welt recht simpel ist: Die SPD ist gut, weil sie viel Geld ausgibt. Wer was dagegen hat, ist schlecht. Alles, was die SPD macht, klappt super, und was doch nicht klappt, werde man sich nochmal ansehen. Oder noch besser: noch mehr Geld ausgeben. Auf der gleichen Seite sitzt die Berliner Arbeitssenatorin Katja Kipping (Linke). Sie befürwortet eine Meinungsumfrage, nach der eine Mehrheit meint, der Staat sei für ihren Lebenserhalt verantwortlich.
Angesichts der schwachen linken Seite hätte Carsten Linnemann auf der rechten Seite freies Feld vor sich. Der stellvertretende Vorsitzende gilt als Hoffnungsträger in der CDU. Auch weil er sich deutlicher als andere von der Politik Angela Merkels distanziert. Doch er ist auch ein Beispiel dafür, wie schwer sich die Partei nach dem Abgang der Kanzlerin tut. Zum einen, weil er ein Leichtgewicht ist. Kühnert legt ihm den Begriff „faule Haut“ in den Mund. Ein Profi würde darüber weggehen und selbst versuchen, Bilder zu etablieren. Niemals würde er die Begrifflichkeit aufgreifen, weil sich diese so beim Zuschauer verfestigt. Was tut Linnemann? Er quäkt: „Ich habe nichts von faule Haut gesagt.“ Kühnert pöbelt ihn an, er solle von einem toten Pferd absteigen. Und selbst darauf geht Linnemann ein: „Ich steige gerne ab.“ Rhetorisch ist Linnemann dem ehemaligen Call-Center-Mitarbeiter spürbar unterlegen.
Es ist Will, nicht Linnemann, die darauf hinweist, dass dann Menschen in Bürgergeld noch mehr hätten als Menschen in voller Beschäftigung. Darauf hat der Christdemokrat keine konkrete oder überzeugende Antwort. Wenigstens konkret ist der Vorschlag von Clemens Fuest, dem Leiter des Wirtschaftsinstituts Ifo. Fuest kritisiert die bisherige Regel. Demnach könnten Menschen im Bürgergeld 100 Euro ohne Abzüge dazu verdienen, dann seien die Abzüge zu schnell zu hoch. Das motiviere die Betroffenen nur, kleine Jobs anzunehmen.
Laut Fuest will das Ifo-Institut das umdrehen. Demnach sollen die Betroffenen erst einmal jeden Zuverdienst abgeben. Erst wenn sie nahezu in Vollzeit arbeiten, sollen sie von ihrer Arbeit profitieren. Um das zusammenzufassen: Menschen, die über ein Jahr lang keine Stelle gefunden haben, solllen nebenher arbeiten, aber erst dann davon einen Vorteil davon haben, wenn sie eine Vollzeitstelle gefunden haben. Saarländer würden zu einem solchen Vorschlag sagen: „Is moh was anneres.“
Das Bürgergeld weist einen Grundkonflikt auf. Einerseits hat Deutschland einen Mangel an Arbeitskräften und bräuchte eigentlich jede Hand, die mit anpackt. Andererseits macht Deutschland gerade das Nichtarbeiten attraktiver. Wo die Hilfe für Gestolperte aufhört und wo der Anreiz zum Nichtstun anfängt, dort verläuft die Streitlinie. Doch in ihrem Gut-Böse-Weltbild tun Kühnert, Kipping und andere Befürworter des „Bürgergelds“ so, als gebe es keine Menschen, die einfach nur faul seien und von anderer Leute Geld leben wollen.
Die CDU wird an diesem Montag voraussichtlich das Bürgergeld im Bundesrat stoppen. Sogar Winfried Kretschmann (Grüne) hat angekündigt, dass Baden-Württemberg aus Rücksicht auf seinen Koalitionspartner nicht für das Gesetz stimmen werde. Das ist dann erstmal ein PR-Erfolg für die CDU. Doch darüber hinaus wird es an der CDU hängen bleiben, einen konkreten Vorschlag zu machen, die – auf Deutsch gesagt – Faulen zum Arbeiten zu bringen. SPD und Grünen fehlt es dazu an Interesse – der FDP an Schneid.