Tichys Einblick
Sie setzt auf ihre „Realitätserfahrung“

Nicht Mutti, sondern Mom – Annalena Baerbocks erster großer TV-Auftritt als Kanzlerkandidatin

Annalena Baerbock tritt bei ProSieben auf - und die Moderatoren applaudieren ihr. Kein Scherz jetzt, haben die wirklich gemacht. Baerbock spricht von ihrer Leidenschaft, sich in Themen "tief, tief" einzuarbeiten - sanft gehe es aber auf keinen Fall.

Screenshot Pro 7: Pro Sieben Spezial

Robert, ich habe heute leider kein Foto für dich, hieß es am Montag bei den Grünen. Deshalb durfte Baerbock jetzt ihren großen Auftritt im Einzelinterview zur Primetime bei ProSieben hinlegen – dem Sender, der Germanys Next Topmodel ausstrahlt. Gestern war möglicherweise Germanys Next Bundeskanzler*in zu Gast, wer weiß, verrückt genug wäre Deutschland ja.

Beide Formate passen gut zusammen. Dass die Auserwählte der Grünen ihren ersten großen Auftritt bei einem Privatsender hinlegt, wurde von vielen Grünen eher negativ beäugt, aber ich finde, dass es die beste Entscheidung war, die Baerbock hätte treffen können. Die Interviewer Katrin Bauerfeind und Thilo Mischke ließen Baerbock wie eine wahre Intelligenzbestie aussehen. Neben der vulgären Rhetorik und dem trampeligen Tonfall, mit dem Bauerfeind ihre Fragen stellte, wirkte die frischgebackene Kanzlerkandidatin wie eine wahre Grazie.

Mit ihrem verschmitzten, etwas einfältigen Lächeln und vor allem natürlich ihrer Angewohnheit, Worte zu verwechseln, wirkt Baerbock immer etwas unreif – niemand, zu dem der erste Gedanke wäre: Die muss Bundeskanzlerin werden! Aber in diesem Interview schafft sie es, einen besonnenen Eindruck zu machen. Die Interviewer haben es ihr aber auch wirklich sehr leicht gemacht. Bei Fragen wie „Geht Ihnen der Arsch jetzt eigentlich auf Grundeis?“ oder „Braucht man da Eier – oder in Ihrem Fall Eierstöcke?“ hat man es nicht schwer.

Wunsch für Wirklichkeit
Baerbock ist die grüne Kanzlerkandidatin – und sonst keine Überraschungen
Man muss ihr aber auch zugestehen, dass sie gut auf die Presse vorbereitet war. Ich meine ein paar Einflüsse durch den Kinderbuchautor Habeck in ihrer Wortwahl vernommen zu haben, denn das, was Baerbock bei ProSieben abgeliefert hat, war die reinste Märchenstunde. Aber am Ende haben die beiden Moderatoren eifrig und begeistert geklatscht (wirklich), also war es wohl erfolgreich. Das Image der Verbotspartei will Baerbock ablegen. Sie will nicht so autoritär rüberkommen wie Merkel, die Anstrengung verlangt und Hausarrest erteilt. Annalena will keine Mutti sein, sondern eine Mom – total cool und fetzig. Keine Autoritätsperson, sondern mehr so die beste Freundin. Wenn ihre Kinder Alkohol probieren wollen, dann dürfen sie – lieber zu Hause als irgendwo auf ner wilden Party.
„Es funktioniert auf gar keinen Fall sanft“

„‚Sollen‘ muss ja natürlich in einer Demokratie niemand irgendwas, das ist ja das Gute in einem freien Land“, sagt sie, als stamme der Satz „Verbote können positive Folgen haben“ nicht von ihr. Sie deutet zwar an, dass sie Dinge verbieten will, redet aber nur von schonenden Varianten. Zu schön um wahr zu sein, findet sogar ihr Fanclub aka die kritischen und knallharten Moderatoren. Erst dann sagt sie: „Es funktioniert auf gar keinen Fall sanft“. Das wird aber überblendet von den ganzen Fantasieerzählungen vom klimaneutralen Deutschland der Zukunft. Man kann sich fast vorstellen, wie die Einhörnerpopulation wieder ansteigt, wenn die Grünen erstmal dafür gesorgt haben, dass alles „gut und sauber ist“. Annalena will, dass hat sie gestern an unterschiedlichen Stellen betont, „einen Staat, der seinen Menschen dient“. Aber wie will die sie das hinkriegen?

Nun, wenn Baerbock sich durch eine Eigenschaft auszeichnet, dann ist das ihre unglaublich realitätsferne Selbstwahrnehmung, die sie schon so weit gebracht hat. Die nimmt sie mit, in diesen neuen Lebensabschnitt. Was ihr an Regierungserfahrung mangelt, will sie durch „Lebenserfahrung“ und „Realitätserfahrung“ wettmachen – jetzt hören Sie schon auf zu lachen, sie meint das ernst.

Hart aber Fair
Spektakuläre Fassadenkämpfe! Aber gibt es irgendeinen Kanzlerkandidaten mit Inhalten?
Sie hält es für wichtig, „selbstkritisch zu sein“ und genau nach dieser selbstkritischen Lebenseinstellung vergleicht sie sich indirekt mit Joe Biden und ganz direkt mit Jürgen Klopp. Mit Joe Biden mag sie recht haben, denn sollte sie das Pech haben, tatsächlich gewählt zu werden, wird sie wahrscheinlich so überfordert sein, dass auch sie einfach macht, was man ihr sagt – außerdem ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis Biden von Kobolden spricht.

Ihre Ähnlichkeit zu Klopp macht sie an folgendem fest: Sie glaubt, dass der trotz mangelnder Erfahrung einen guten Trainer abgegeben hat, genau wie sie. Baerbock kommt dann zu dem Schluss, dass ihre Leidenschaft sich in Thematiken einzuarbeiten, sie zur Kanzlerin qualifiziert. Nein, wirklich, genau das ist es, was ihr als erstes einfällt, wenn sie ihre Stärken, die sie zu einer guten Kandidatin machen, beschreiben soll: „Dafür braucht man Mut, dafür braucht man Leidenschaft, um sich wirklich in Dinge tief, tief reinzuarbeiten“.

Bei Annalena ist also alles beim alten. Was einem nur Sorgen bereiten sollte: was steckt hinter dem freundlichen Lächeln, was kommt auf uns zu? Mal ehrlich: Am Ende sind die „coolen“ Moms doch die schlimmsten – spätestens dann, wenn sie mit zur Party kommen wollen.

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