Tichys Einblick
ARD-Doku: Die geplatzte Dreierkonstellation

Angela Merkel: „Du, Horst, die wollen mich weghaben.“

Horst Seehofer: "Nachdem das klar war, war sie richtig ernst. Wie man sie ganz, ganz selten erlebt. Das war also nicht für die Fernsehkameras, sondern sie war wirklich getroffen. Und sie hat mir dann ein Stückchen später auch unter vier Augen gesagt: Du, Horst, die wollen mich weghaben. Und sie meinte damit die FDP. Die wollen Angela Merkel weghaben."

Screenprint: ARD/Im Labyrinth der Macht

Zu viele Köche verderben den Brei. Und zu viele Politiker die Demokratie. Das konnte man gestern Abend wieder im Fernsehen sehen. In Stephan Lambys neustem Film über unsere „Volksvertreter“ und ihre Schwierigkeiten, den Willen der Wähler in die Tat umzusetzen. Titel: „Im Labyrinth der Macht – Protokoll einer Regierungsbildung“.

Auch an der waren wieder mehr beteiligt, als man dazu benötigt. Hinter jedem „Verhandler“ steht ja auch immer eine ganze Partei. Und ihre Mitglieder. Die wollen am Ende alle zufrieden sein. Das gelingt wie immer dann am besten, wenn man sich dafür mit dem richtigen Partner zusammentut. Also „koaliert“, wie es politisch korrekt heißt.

In dem haben sich die Roten nach langem Streit am Ende doch wieder den Schwarzen ergeben. Obwohl das viele Schwarze genau andersherum sehen. Außer vielleicht Angela Merkel selbst. Aber nicht mal die strahlt echte Freude aus. Auch sie wollte die Roten wohl nicht mehr dabei haben. Vielleicht hat sie deshalb am Tag nach der Wahl, die Deutschland so verändert hat, gesagt:

Ich habe diesen Wahlkampf gut durchdacht. Ich habe ihn so gemacht, wie ich ihn gemacht habe, und bin am Tag danach auch nicht der Meinung, dass ich das jetzt anders sehe als vorgestern, oder die Tage davor.

Berlin ohne Merkel-Mehrheit
Ohne Jamaika kann sich das Land endlich von Lebenslügen befreien
Die Roten waren schließlich der große Verlierer der großen Wahl am 24. September 2017. Zeit also etwas Neues auszuprobieren und lieber mit den Stiefkindern ihrer Amtszeit zu koalieren. Die Grünen hatten immerhin (frei im Grünen-Jargon) Bock darauf und die Gelben auch wieder die Stimmen dazu. So hätte es nach der Wahl eigentlich ganz entspannt zugehen können. Wie in Jamaika eben. Statt weiter wie bisher in einer großen Koalition.

Warum das nicht so kam, das ist der eigentlich spannennde Teil des Filmes und wert, noch mal daran zu erinnern. Als Protokoll einer gescheiterten Regierungsbildung. Ohne die hätte es alles, was folgte, ja nie gegeben. Schon gar nicht die Selbstzerfleischung der SPD.

Die wollte nach dem Wahldesaster eigentlich auch nicht mehr mit der Union. Martin Schulz hatte es seinen Genossen fest versprochen. Obwohl er die ganze Zeit in Brüssel war. So waren einen Monat nach der Wahl, am 24. Oktober 2017, eigentlich alle für eine Dreierkonstellation an der Spitze der Macht bereit: Christian Lindner: „Es war eine Bereitschaft da, zu schauen, was geht.“

In den „Sondierungsgesprächen“, wie die ersten Annäherungsversuche genannt wurden. Auf die freuten sich auch die Grünen. Katrin Göring-Eckardt: „Ich hatte das Gefühl, jetzt ist ein Aufbruch.“

Und auch Horst Seehofer freute sich vor laufender Kamera: „Jetzt geht es also endlich los. Ich bin selbst gespannt, wie in dieser relativ großen Veranstaltung die Dinge laufen werden. Aber ich bin zuversichtlich.“

Angela Merkel stand neben ihm und sagte: „Ich auch.“

An ihren Worten sollt ihr sie erkennen
Jamaika: Reaktionen der Enttäuschten
Obwohl es heikel war. Mit den Grünen haben ja beide noch nie koaliert. Oder auf einem Balkon gestanden. Auf dem konnte die ganze Republik schon kurz nach der Wahl sehen, dass neue Zeiten angebrochen sind. Noch nicht politisch. Aber medial. Die „neuen Medien“ benutzt ja nicht nur der, von den meisten auf dem Balkon gerne verspottete Donald, der ‚Twitterpräsident‘ Trump. Auch unsere politische Elite ist im Umgang damit nicht weniger geübt. Obwohl sie weniger zu sagen und zu verbreiten hatten als er. Aber wichtig war bei den Gesprächen nicht, was drinnen verhandelt wurde, sondern nach draußen dargestellt. Am liebsten mit Selfies, von sich oder mit seinen Kollegen. Egal, in welcher Farbe. Christian Lindner: „Das besondere war, das aus Gesprächssituationen und Verhandlungen jedes Zugeständnis oder die Veränderung der eigenen Linie von anderen öffentlich gemacht wurde.“

Auch was dabei zu Essen und zu Trinken aufgetischt wurde: Die Grünen hatten einen Berg voller Schokolade dabei. Ganz oben Ritter Sport, als „Stärkung“. Die Schwarzen einen Kaffee dafür, natürlich „Stark und schwarz“. Und Tütenweise Harribo machte beim „sondieren“ gleich alle froh, die dabei waren. Passend zu Jamaika die Sorte „Tropifrutti“ und passend zu den Verhandlungen „Phantasia“. Wohin die Reise gehen sollte, wusste bei den vielen Posts und Fotos ja keiner mehr so richtig. Katrin Göring-Eckardt: „Manchmal konnte man das Gefühl haben, wir reden drinnen erst einmal eine halbe Stunde über das, was wir draußen gerad selbst erzählt haben.“ Oder getwittert.

Herbeischreiben
Journalisten wollen Jamaika erzwingen
„Herr Linder hat sich persönlich sehr häufig darüber aufgeregt, wenn er vermutet hat, es kommt aus den Reihen der Grünen. Er hat es aber selbst kräftig praktiziert. Indem er Unterlagen abfotografierte und den Journalisten zugespielt hat.“ Beklagte Horst Seehofer, dessen Kollege Andreas Scheuer das Finanzpaket getwittert hatte. So bleibt seinem Chef nur festzustellen: „Das ist ein wirkliches Krebsübel der Politik geworden.“

Weil es darin gar nicht mehr um Politik geht. Dafür sind unsere Politiker aber vom Volk gewählt. Nicht um wochenlang zu sondieren und dann irgendwann zu koalieren, sondern um so schnell wie möglich zu regieren.

Wie heute bekannt, kam damals alles anders. In der Nacht zum 20. November 2017. Als das „Vorspiel“ nach vier Wochen „Sondierung“ erfolglos zu Ende ging. Wie, das erzählen die Beteiligten in Lambys Dokumentation so:

Vor der Benutzeroberfläche
ARD-Presseclub: Bei Jamaika Privilegierte unter sich
Katrin Göring-Eckardt: „Es war die letzte Runde in den Sondierungsgesprächen und jeder sollte sagen, ob er seinen Leuten empfehlen wird, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. Als erster hat dann Horst Seehofer etwas gesagt.“

Der sich längst mit der neuen Beziehung angefreundet hatte: „Für mich als Parteivorsitzender der CSU stand von der ersten Minute fest, was immer passiert, an der CSU werden diese Verhandlungen nicht scheitern.“

Weiter Frau Göring-Eckardt: „Dann kam Christian Lindner dran und wollte eigentlich uns den Vortritt lassen. Ich dachte in dem Moment, ne, der ist ja größer, also hatte mehr Prozentpunkte bekommen. Also muss er jetzt was sagen.“

Was, das erklärt Christian Lindner heute so: „Als für uns klar war, dass das, was wir als Erneuerungsprojekt wollen, die Werte, denen wir folgen, mit dem Rest nicht realisierbar ist, zu dem Zeitpunkt, als das abschließend klar war, haben wir für uns entschieden, die Veranstaltung abzubrechen.“

Julia Klöckner von der CDU vermutet aber noch heute: „Ich hatte so den Eindruck, dass die FDP selbst überrascht war, dass sie schon in der 4. Woche der Sondierungen waren. Irgendwie hat der Absprung nach der ersten Woche nicht geklappt und man hat wahrscheinlich als FDP zu sehr darauf gesetzt, dass die CSU und die Grünen nicht zusammenkommen. Dann hätte man locker sagen können, an uns hat es nicht gelegen.“

Jamaika-Aus
Lindner beendet den Jamaika-Spuk
Aber so waren alle überrascht. Am meisten wohl Angela Merkel, die bis zum Schluss nicht glauben konnte, dass ausgerechnet die FDP sich einer Dreierkoalition unter ihrem Kommando verweigern würde. Erst eine SMS ließ sie nicht mehr daran zweifeln. Der Journalist bei WELT, Robin Alexander erzählt: „Christian Lindner bat nach seiner Entscheidung um ein Gespräch mit Frau Merkel. Und in diesem Gespräch, als er gerade sagt, wir verlassen die Verhandlungen, bekommt Merkel eine SMS. In der teilt ihr jemand mit, unter den Journalisten kursiert schon, dass die FDP die Verhandlungen abbricht. Das hatte Lindner schon jemanden gesagt. Damit hatte er natürlich den politischen Akt, also, die Gespräche abzubrechen, durch den kommunikativen Akt irreversibel gemacht. Sonst hätte Merkel sagen können, lass uns noch mal darüber reden oder ich biete euch dieses oder jenes an. Aber so schlug er ihr die Möglichkeit, ihn am Tisch zu halten, quasi aus der Hand.“

Mit dem Ergebnis, dass vor allem die grünen Sondierer traurig machte. Katrin Göring-Eckardt: „In dem Augenblick war ich erstmal total erschöpft und erstaunt. Das ganze ist dann in Enttäuschung, Sarkasmus und Wut umgeschlagen. Das Gefühl, das war so ein bisschen wie: Wir hatten jetzt eigentlich die Hochzeit geplant, bei all den Schwierigkeiten und jetzt wird man so sitzen gelassen. Der eine geht raus aus der Kirche.“

Der verschwundene Bräutigam sieht das heute so: „Wenn Frau Göring-Eckardt das Gefühl hat, die verlassene Braut gewesen zu sein, zeigt dass, das die Grünen nicht ergebnisoffen sondiert haben, sondern nur, um vielleicht irgendwie eine Regierung zu bilden.“

Genossen oh weh
Ein Wackelpudding namens SPD
Aber hatten die Gelben „ergebnisoffen“ verhandelt? Das wahre Motiv bleibt allen Beteiligten bis heute ein Rätsel. Hatten sie doch eigentlich schon alle Ja gesagt zu der neuen Koalition. Auch die Schwarzen hatten sich schon darauf gefreut. Julia Klöckner: „Auch wir waren überrascht, als die FDP-Kollegen plötzlich aufstanden und nach draußen gingen. Wir haben dann per Bildschirm drinnen verfolgt, was draußen gesagt wird.“

Als Christian Lindner vor den Kameras seinen heute bekanntesten Satz zum Thema, warum sie nicht wollten, sagte: „Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“

Oder war gemeint, mit der Falschen? So verstand es Angela Merkel. Horst Seehofer: „Nachdem das klar war, war sie richtig ernst. Wie man sie ganz, ganz selten erlebt. Das war also nicht für die Fernsehkameras, sondern sie war wirklich getroffen. Und sie hat mir dann ein Stückchen später auch unter vier Augen gesagt: Du, Horst, die wollen mich weghaben. Und sie meinte damit die FDP. Die wollen Angela Merkel weghaben.“

Das wollte eigentlich immer die AFD. Mit dieser Forderung hatte sie es zum ersten Mal sogar ins Zentrum der Macht geschafft. Aber mit den Schmuddelkindern der Republik möchte niemand. Weil man mit „Braunen“ nicht mal sondiert, geschweige denn koaliert. Darüber sind sich alle einig. Was dass Sondieren wie das Regieren noch schwerer macht.

Schrumpfsozialdemokraten Partei Deutschland
Vor der GroKo: Weine nicht, kleine SPD
So blieben am Ende nur wieder die Roten für die Schwarzen. Alles andere hätte Neuwahlen bedeutet. Vor denen hatten und haben eigentlich alle die meiste Angst, im Labyrinth der Macht. Zu groß ist die Gefahr, dabei alles zu verlieren. Auch die Kanzlerschaft. Also entschied sich Angela Merkel doch noch mal für die, über die sie noch kurz davor gesagt hatte: „Die SPD ist auf Dauer nicht regierungsfähig“.

Aber ohne die Genossen geht es nicht. Also lieber weiter mit den Roten an der Macht als abgewählt und allein in einem Pflegeheim. Dort geht es ja nach acht Jahren Großer Koalition auch nicht gerade zu wie in Jamaika. Statt entspannt ist die Lage auch dort eher angespannt. Und auch davon haben die Wähler eigentlich längst die Nase voll.

Das erinnert an einen alten DDR-Witz, den man heute so erzählen könnte: Wer ist unsere Mutter: Die Parteien. Wer ist unser Vater? Der Staat. Was wünscht ihr euch? Neue Eltern.

Mit Jamaika wäre das zwar auch nicht wirklich wahr geworden, aber immerhin, nach acht Jahren großem Koalieren wäre es der Anfang von etwas Neuem gewesen. Also eigentlich schade.

Torsten Preuß ist Journalist und Schriftsteller

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