Zu viele Köche verderben den Brei. Und zu viele Politiker die Demokratie. Das konnte man gestern Abend wieder im Fernsehen sehen. In Stephan Lambys neustem Film über unsere „Volksvertreter“ und ihre Schwierigkeiten, den Willen der Wähler in die Tat umzusetzen. Titel: „Im Labyrinth der Macht – Protokoll einer Regierungsbildung“.
Auch an der waren wieder mehr beteiligt, als man dazu benötigt. Hinter jedem „Verhandler“ steht ja auch immer eine ganze Partei. Und ihre Mitglieder. Die wollen am Ende alle zufrieden sein. Das gelingt wie immer dann am besten, wenn man sich dafür mit dem richtigen Partner zusammentut. Also „koaliert“, wie es politisch korrekt heißt.
In dem haben sich die Roten nach langem Streit am Ende doch wieder den Schwarzen ergeben. Obwohl das viele Schwarze genau andersherum sehen. Außer vielleicht Angela Merkel selbst. Aber nicht mal die strahlt echte Freude aus. Auch sie wollte die Roten wohl nicht mehr dabei haben. Vielleicht hat sie deshalb am Tag nach der Wahl, die Deutschland so verändert hat, gesagt:
Ich habe diesen Wahlkampf gut durchdacht. Ich habe ihn so gemacht, wie ich ihn gemacht habe, und bin am Tag danach auch nicht der Meinung, dass ich das jetzt anders sehe als vorgestern, oder die Tage davor.
Warum das nicht so kam, das ist der eigentlich spannennde Teil des Filmes und wert, noch mal daran zu erinnern. Als Protokoll einer gescheiterten Regierungsbildung. Ohne die hätte es alles, was folgte, ja nie gegeben. Schon gar nicht die Selbstzerfleischung der SPD.
Die wollte nach dem Wahldesaster eigentlich auch nicht mehr mit der Union. Martin Schulz hatte es seinen Genossen fest versprochen. Obwohl er die ganze Zeit in Brüssel war. So waren einen Monat nach der Wahl, am 24. Oktober 2017, eigentlich alle für eine Dreierkonstellation an der Spitze der Macht bereit: Christian Lindner: „Es war eine Bereitschaft da, zu schauen, was geht.“
In den „Sondierungsgesprächen“, wie die ersten Annäherungsversuche genannt wurden. Auf die freuten sich auch die Grünen. Katrin Göring-Eckardt: „Ich hatte das Gefühl, jetzt ist ein Aufbruch.“
Und auch Horst Seehofer freute sich vor laufender Kamera: „Jetzt geht es also endlich los. Ich bin selbst gespannt, wie in dieser relativ großen Veranstaltung die Dinge laufen werden. Aber ich bin zuversichtlich.“
Angela Merkel stand neben ihm und sagte: „Ich auch.“
Auch was dabei zu Essen und zu Trinken aufgetischt wurde: Die Grünen hatten einen Berg voller Schokolade dabei. Ganz oben Ritter Sport, als „Stärkung“. Die Schwarzen einen Kaffee dafür, natürlich „Stark und schwarz“. Und Tütenweise Harribo machte beim „sondieren“ gleich alle froh, die dabei waren. Passend zu Jamaika die Sorte „Tropifrutti“ und passend zu den Verhandlungen „Phantasia“. Wohin die Reise gehen sollte, wusste bei den vielen Posts und Fotos ja keiner mehr so richtig. Katrin Göring-Eckardt: „Manchmal konnte man das Gefühl haben, wir reden drinnen erst einmal eine halbe Stunde über das, was wir draußen gerad selbst erzählt haben.“ Oder getwittert.
Weil es darin gar nicht mehr um Politik geht. Dafür sind unsere Politiker aber vom Volk gewählt. Nicht um wochenlang zu sondieren und dann irgendwann zu koalieren, sondern um so schnell wie möglich zu regieren.
Wie heute bekannt, kam damals alles anders. In der Nacht zum 20. November 2017. Als das „Vorspiel“ nach vier Wochen „Sondierung“ erfolglos zu Ende ging. Wie, das erzählen die Beteiligten in Lambys Dokumentation so:
Der sich längst mit der neuen Beziehung angefreundet hatte: „Für mich als Parteivorsitzender der CSU stand von der ersten Minute fest, was immer passiert, an der CSU werden diese Verhandlungen nicht scheitern.“
Weiter Frau Göring-Eckardt: „Dann kam Christian Lindner dran und wollte eigentlich uns den Vortritt lassen. Ich dachte in dem Moment, ne, der ist ja größer, also hatte mehr Prozentpunkte bekommen. Also muss er jetzt was sagen.“
Was, das erklärt Christian Lindner heute so: „Als für uns klar war, dass das, was wir als Erneuerungsprojekt wollen, die Werte, denen wir folgen, mit dem Rest nicht realisierbar ist, zu dem Zeitpunkt, als das abschließend klar war, haben wir für uns entschieden, die Veranstaltung abzubrechen.“
Julia Klöckner von der CDU vermutet aber noch heute: „Ich hatte so den Eindruck, dass die FDP selbst überrascht war, dass sie schon in der 4. Woche der Sondierungen waren. Irgendwie hat der Absprung nach der ersten Woche nicht geklappt und man hat wahrscheinlich als FDP zu sehr darauf gesetzt, dass die CSU und die Grünen nicht zusammenkommen. Dann hätte man locker sagen können, an uns hat es nicht gelegen.“
Mit dem Ergebnis, dass vor allem die grünen Sondierer traurig machte. Katrin Göring-Eckardt: „In dem Augenblick war ich erstmal total erschöpft und erstaunt. Das ganze ist dann in Enttäuschung, Sarkasmus und Wut umgeschlagen. Das Gefühl, das war so ein bisschen wie: Wir hatten jetzt eigentlich die Hochzeit geplant, bei all den Schwierigkeiten und jetzt wird man so sitzen gelassen. Der eine geht raus aus der Kirche.“
Der verschwundene Bräutigam sieht das heute so: „Wenn Frau Göring-Eckardt das Gefühl hat, die verlassene Braut gewesen zu sein, zeigt dass, das die Grünen nicht ergebnisoffen sondiert haben, sondern nur, um vielleicht irgendwie eine Regierung zu bilden.“
Als Christian Lindner vor den Kameras seinen heute bekanntesten Satz zum Thema, warum sie nicht wollten, sagte: „Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“
Oder war gemeint, mit der Falschen? So verstand es Angela Merkel. Horst Seehofer: „Nachdem das klar war, war sie richtig ernst. Wie man sie ganz, ganz selten erlebt. Das war also nicht für die Fernsehkameras, sondern sie war wirklich getroffen. Und sie hat mir dann ein Stückchen später auch unter vier Augen gesagt: Du, Horst, die wollen mich weghaben. Und sie meinte damit die FDP. Die wollen Angela Merkel weghaben.“
Das wollte eigentlich immer die AFD. Mit dieser Forderung hatte sie es zum ersten Mal sogar ins Zentrum der Macht geschafft. Aber mit den Schmuddelkindern der Republik möchte niemand. Weil man mit „Braunen“ nicht mal sondiert, geschweige denn koaliert. Darüber sind sich alle einig. Was dass Sondieren wie das Regieren noch schwerer macht.
Aber ohne die Genossen geht es nicht. Also lieber weiter mit den Roten an der Macht als abgewählt und allein in einem Pflegeheim. Dort geht es ja nach acht Jahren Großer Koalition auch nicht gerade zu wie in Jamaika. Statt entspannt ist die Lage auch dort eher angespannt. Und auch davon haben die Wähler eigentlich längst die Nase voll.
Das erinnert an einen alten DDR-Witz, den man heute so erzählen könnte: Wer ist unsere Mutter: Die Parteien. Wer ist unser Vater? Der Staat. Was wünscht ihr euch? Neue Eltern.
Mit Jamaika wäre das zwar auch nicht wirklich wahr geworden, aber immerhin, nach acht Jahren großem Koalieren wäre es der Anfang von etwas Neuem gewesen. Also eigentlich schade.
Torsten Preuß ist Journalist und Schriftsteller