Tichys Einblick
Aus einer anderen Welt

Angela Merkel bei Anne Will: desaströs für beide

„Anne Will“: Kanzlerinterview - Stunde der Offenbarung / Mutierter Virus: völlig neue Herausforderung / Scharfe Kritik an Ministerpräsidenten, die Beschlüsse unterliefen / Harte Maßnahmen und Gesetzesverschärfungen angekündigt / Keine Partei hat einen verbrieften Anspruch auf das Kanzleramt

Screenprint ARD / Anne Will

Wohl alle, die Angela Merkel im Kanzleramt nahestehen, ob im engsten oder erweiterten Kreis, dürften gestern Abend gespannt „Anne Will“ verfolgt haben. Noch nie während ihrer gesamten Amtszeit stand die Kanzlerin so unter Druck wie zur Zeit. Über 60 % der Bundesbürger haben nach aktuellen Umfragen das Vertrauen in die Corona-Politik der Bundesregierung verloren. Noch verheerender ist die Lage der CDU. Mit 25 % der Stimmen im Falle einer derzeitigen Bundestagswahl hätte sie das schlechteste Ergebnis in ihrer gesamten Geschichte seit Gründung im Juni 1945. Die Hoffnung war wohl, das Stimmungsbild durch den gestrigen Primetime-Auftritt Merkels noch einmal herumreißen zu können. Doch die Performance Angela Merkels war dafür einfach zu schwach. Dabei hatte Anne Will gleich zu Beginn der Sendung klargemacht, dass sie sich als Interviewerin nicht in der Rolle eines Kritikers sieht, sondern mit dem Blickwinkel ihres Gastes, das heißt, aus Merkels Kosmos heraus, das Gespräch führen werde. So war es denn auch, Will weiß wie Merkel nicht, dass der größere Kosmos „da draußen an den Bildschirmen” mit dem Will-Merkel’schen nichts mehr zu tun hat.

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Erwartungsgemäß hieß das erste Stichwort „Verzeihung“. Die Kanzlerin räumte erneut ein, dass die Idee mit der „Oster-Ruhe“ keine durchdachte gewesen sei. Das habe unnötige Unruhe erzeugt, und dafür habe sie sich entschuldigt und um Verzeihung gebeten. Sicher hat Merkel kompetente Berater. Nur der Ratschlag für diese Geste widersprach allen Regeln der Führungskunst. Verzeihen kann man sich in einer Ehe oder bei anderen zwischenmenschlichen Vorkommnissen. Von dem Chef einer Regierung erwarten die Regierten Führung und Klarheit und keine Gefühligkeiten. Diese Geste hat dem Vertrauen eher noch geschadet.

Merkel hätte vielleicht eine Chance gehabt, wenn sie mit etwas mehr Optimismus und der Bereitschaft zur Kommunikation mit den Bürgern aufgetreten wäre. Ihre Strategie aber war eine andere. Der alte Feind an der Pandemie-Front sei quasi der Feind von gestern. Nun habe man es mit einem neuen und wesentlich gefährlicheren Gegner zu tun, der eben auch ein ganz neues Instrumentarium zur Abwehr erfordere. Damit ersparte sie Frau Will auch noch die eigentlich auf der Hand liegende Frage, die diese sowieso nicht gestellt hätte, ob man so etwas wie die „Oster-Ruhe“ überhaupt verkünden könne, wenn sie nicht ausreichend durchdacht war.

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Selbstkritik über das Geschehen der vergangenen Monate kam von Merkel auch diesmal nicht. Fehler habe es schon gegeben, nicht alles sei gut gelaufen – aber insgesamt stünden wir doch gut da. Der nächste Tiefschlag folgte auf der Stelle. Will wollte wissen, ob die Kanzlerin noch Autorität habe. Aber ja doch, entgegnete diese, um gleich eine Reihe von Ministerpräsidenten anzuklagen, sich nicht an die getroffenen Beschlüsse zu halten. Sieht so Autorität aus – hätte Frau Will fragen müssen. Aber nein, sie wollte ja nicht kritisch sein. Dann wurde die Kanzlerin resolut. Wenn das Notwendige zur Bekämpfung des neuen und „schlimmeren“ Virus in den Ländern nicht getan werde, müsse man durch eine Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes das Gebotene auf nationaler Ebene durchsetzen. Dabei schloss sie auch nicht aus, und das ist neu, den Bundestag zu beteiligen – allerdings nur, um ihn gegen den Föderalismus einzusetzen.

Nach dem gestrigen Abend könnte man meinen, die Kanzlerin bereite bereits den Schlussakkord ihrer Amtszeit vor. Ich, Merkel, habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, nur fehlte mir die ausreichende Unterstützung – scheint er zu lauten. Und tatsächlich – der Bruch zwischen ihr und den Kurfürsten der Länder wurde gestern offenkundig.

Gegen Ende zählte Will, mehr als Mitglied im Team Lauterbach denn als Journalistin, nüchtern und kalt ein Versagen nach dem anderen in der Corona-Politik auf und schloß mit der Frage, wie die Kanzlerin denn zu der Tatsache stehe, dass für die Union das sicher geglaubte Kanzleramt im Ergebnis der Bundestagswahlen verloren gehen könne. Merkel bereitete daraufhin den Wahlkämpfern ihrer Partei ein besonders bekömmliches Osterei. Niemand habe einen gegebenen Anspruch auf dieses Amt und auch die anderen Parteien meldeten zu Recht Ansprüche an. Hat nur noch gefehlt, dass sie gleich Frau Baerbock von den Grünen als ihre Nachfolgerin empfohlen hätte, denn dann könnte sie wirklich sicher sein, dass ihre Lockdown-Orgie bei Corona in ihrem Sinne auch als Lockdown-Orgie beim Klima fortgesetzt wird. Die Wahlstrategen von CDU und CSU werden sich sehr viel einfallen lassen müssen. Wenn das nach Merkel bei Will noch geht.

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