Südafrika – Ältere werden sich erinnern: damals mordeten Farbige mit brennenden Autoreifen und Macheten. Damals setzte man sich auch auf diese grausame Weise zur Wehr gegen ein rassistisches Apartheids- und Mordregime. In Baden-Württembergs Reutlingen, mitten in Deutschland, in Europas Flüchtlings- und Einwanderungsziel Nr. 1, erschlug nun am Sonntag nach neuestem Ermittlungsstand ein syrischer Refugee in einer Art Blutrausch eine schwangere Frau mit einem Machete genannten Großmesser. Es soll eine Beziehungstat gewesen sein, so der erste Schnellbefund. Nur das couragierte Eingreifen eines Autofahrers konnte wohl weitere Bluttaten verhindern. Der Fahrer jedenfalls soll den Attentäter nach aktuellem Erkenntnisstand einfach umgefahren haben. Dann erst nahm ihn die Polizei fest, aber darauf reduzieren es die Nachrichten.
Jedenfalls ist jetzt nicht die Zeit der Sozialpädagogen. Auch nicht der Laienprediger auf Twitter und nicht auf Facebook. Hier sind zunächst die Gerichtsmediziner und Justizbeamten an der Reihe. Alles andere hat Zeit. Das kann hinter Gittern besprochen werden. Man stelle sich das in diesem Moment einfach mal vor: Man nehme mal die Politiker ernst, die sagen, man sei in dieser Stunde bei den Familien der Opfer. Das wünscht man Frau Merkel tatsächlich mal. Dann nämlich, wenn diese Familien wieder den ersten klaren Gedanken fassen können und sich möglicherweise die nächsten Jahre und Jahrzehnte gemeinsam immer wieder neu am Esstisch überlegen, wie man dieses Mörders in der Justizvollzugsanstalt noch habhaft werden kann, um ihn endgültig zu richten.
Eine Horror-Serie
Nein, in diesen Tagen kommt man mit der schwarz-rot-goldenen Trauerbeflaggung nicht mehr nach. Wieder zwei Tote. Eine Frau und ihr Ungeborenes. Das starb wohl erst Minuten später im Mutterleib und wird das grelle Licht dieser gerade so merkwürdig verstörten Welt nie zu Gesicht bekommen. Horror nicht in Südafrika, nicht nur in Kabul oder Bagdad, Paris, Brüssel, Nizza oder Würzburg und München, sondern jetzt mitten im ruhigen Reutlingen, dort wo sich sonst Hase und Fuchs friedlich Gute Nacht sagen.
Das alles muss nun Frank Plasberg am Sonntagabend klären. Anne Will ist im Urlaub, Plasbergs Hart aber Fair übernimmt. Eigentlich waren zunächst die Münchner Morde eines Amoktäters an acht Jugendlichen und einer 45-Jährigen der traurige Anlass für die überraschende Primetime Plasbergs. Nun müsste die aktuelle Stunde die aus Aktualitätsgründen ins Programm genommene Sendung noch einmal beschleunigen. Ob so ein Tempo gut gehen kann? Bei wem könnten die Nerven blank liegen? Oder wird man Reutlingen am Ende ganz ausklammern?
Die Gäste der Sendung “Amok in Zeiten des Terrors“ dieser fernsehkompatible Sunnyboy-Polizeisprecher von München, Marcus da Gloria Martins, Christian Pfeiffer, der Kriminologe und ehemaliger Minister in Niedersachsen, Annette Ramelsberger von der Süddeutschen, wohl als Amokexpertin eingeladen, Joachim Herrmann, bayrischer Innenminister, der wohl auch Lorbeeren für seine Polizei in München abholen will, soll oder muss. Und tatsächlich war Kritik an dem ausufernden Einsatz bisher kaum zu hören. Ebenfalls dabei noch Björn Staschen vom NDR. Nun gut. Nicht dabei jemand, der die General-Erklärung des Münchner Amokläufers: Depression medizinisch auf den Prüfstand stellt.
Was kann man erwarten von der Sendung? Schnell wird klar, hier soll gar nicht über Terror und die Weltlage oder sonst was gesprochen werden, was die Menschen bewegt. Hier wird zunächst einmal diese funktionale Logistik der Terrorabwehr diskutiert. Die Arbeit der Polizei. Und diese seltsame neue Notstandsintensität der sozialen Medien – auch die Polizei kommunizierte in München in den Stunden nach den Morden intensiv über Twitter.
Polizei, Bevölkerung, Medien – alle wollen Informationen. Der Polizeisprecher erklärt zunächst, wie auch Falschinformationen öffentlich werden. So auch bei den falschen Zeugenaussagen zu Langwaffen. Nach Brüssel und Nizza sei eben der Worst Case auch bei der Polizei immer mit im Hinterkopf, wenn man Zeugenaussagen und eigene Beobachtungen einordnet. Hier im Studio leider bei keinem der Anwesenden, wie sich im Laufe der Sendung noch herausstellen wird, aber dazu gleich mehr.
Unterhaltung statt Erkenntnis
Plasberg fragt erst einmal jeden der Gäste, wie es ihm ging, wo er war, was er fühlte. Das Ganze hat etwas von 9/11, da weiß heute auch fast jeder, wo er war, was er machte, dachte und fühlte. Na ja. Die Kollegin der Süddeutschen erzählt dann auch von einem „Gefühl großer Anspannung“ und als der Täter bekannt war, dachte sie: „Wenigstens nicht der IS.“ Es ist die neue deutsche Lagertheorie – das Lager der Beschöniger will jeden Zweifel an negativen Folgen der Willkommenskultur leugnen. Und so redet man sich die Lage schön, so gut es eben noch geht. Den Opfern und ihren Familien hilft das natürlich wenig. Dem Zuschauer im Moment dann leider auch nicht. Es darf kein Anschlag sein und schon gar keine solche Serie, so lautet das insinuierte Mantra.
Der bayrische Innenminister findet schon, dass es Sinn macht, zu unterschieden, ob es Terror oder Amok war. Die zukünftige Vorgehensweise der Polizei würde davon bestimmt. Wie man sich bei den Sicherheitsmaßnahmen aufstellt, das würde bei dieser Einschätzung neu justiert werden. Würzburg war zunächst als Amok-Tat betrachtet worden, erklärt Hermann, aber erst im Laufe der Ermittlungen, die noch andauern, sei der islamistische Hintergrund bekannt geworden. Also Amok plus islamistischer Hintergrund gleich Terror?
„Wenn es passiert, gibt es gar keine Unterschiede“, erklärt Björn Stachen, NDR. Und das war es dann auch mit Herrmanns korrektem Abbieger entlang des Sendungsthemas.
David S., der Amokläufer von München und seine halbautomatische 9mm Glock 17 werden per Einspieler vorgestellt. Das Filmchen berichtet, David S. hätte bisweilen ein Foto von Anders Breivik, dem norwegischen Massenmörder als Profilbild bei What’s up genommen. Mittlerweile sei ein 16-jähriger Kumpel von David S. festgenommen worden, der Mitwissender gewesen sein soll, weiß Plasberg. Zu viel frische Informationen: Der Polizeisprecher bestätigt die Festnahme zwar widerwillig, bittet die Medien aber eindringlich, die Polizei zunächst ihre Arbeit machen zu lassen. Plasberg muss nun erklären, das er hier doch nur einen ganz neue dpa-Meldung vorliest.
Wo bleiben zwei wichtige Aspekte? Erstens: Der Polizeieinsatz war nur deshalb so massiv, weil von Terroranschlag ausgegangen wurde (zu Recht werden musste) und nicht von einem Amoklauf. Zweitens: Der Amokläufer wurde nicht von den Sicherheitskräften gestoppt, er konnte sich vom Einsatzort noch 1 Kilometer entfernen, hätte noch mehr anrichten können, hat sich selbst gestoppt, indem er sich erschoss. Die eigentliche Wirkung des massiven Einsatzes liegt in der Beruhigung der Öffentlichkeit, die tun was: Nicht zu unterschätzen, aber etwas anderes als dargestellt.
Christian Pfeiffer erinnert an die Demütigungen und Hänseleien des Täters in München und wie schon beim Täter in Winnenden der Entschluss gereift hätte, „denen zeige ich es nun mal. Einmal die Panik in den Augen der anderen sehen.“ Man hätte seine versteckten Hilferufe nicht wahrgenommen, aber Vorwürfe könne man deswegen nicht erheben. Nicht jeder, der von Hass redet, tut so etwas. Dieses dauernde Video-Spielen hätte Desensibilisierungseffekte. Hemmungen würden abgebaut. Wenn nun Ohnmachtsgefühle dazu kämen, seien die der Verstärkungsfaktor hin zum Amoklauf. Eltern von Söhnen, die Videospiele machen, sollten jetzt aber nicht in Panik geraten, sagt der Fachmann. Ja um Himmelswillen, sind wir hier bei Plasberg zur besten Sendezeit oder beim x-ten öden Elternabend in der Integrierten Gesamtschule zum Thema EgoShooter mit aus der Klassenkasse bestens bezahltem Videofachmann aus dem örtlichen Psycholaden?
Der NDR-Journalist, wohl selbst Vater von Söhnen erklärt, das er dann ruhig schlafen könne, wenn der größere Teil des Lebens seiner Jungs im realen Leben stattfindet. Schlaf weiter.
Amok VOR den Zeiten des Terrors
Der dritte Aspekt, der ganz fehlt: Die offizielle Erklärung des Motivs des Amokläufers mit seinen Depressionen. Wo war jemand, der dazu kompetent etwas sagen kann? Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig erklärte dazu am 24. Juli:
„Mit großer Sicherheit kommt eine Depression des Täters als Ursache für den Amoklauf in München nicht in Frage. Selbst wenn der Amokläufer wegen einer Depression behandelt worden ist, so heißt dies nicht, dass diese bei der Tat eine Rolle gespielt hat. Etwa 4 Millionen Menschen leiden in Deutschland aktuell unter behandlungsbedürftigen Depressionen, und es gibt keine Hinweise, dass diese Menschen häufiger Gewalttaten als andere begehen. Eher sogar im Gegenteil: Depressiv erkrankte Menschen sind im gesunden Zustand meist besonders verantwortungsvolle, fürsorgliche Menschen. In der depressiven Krankheitsphase neigen sie zu übertriebenen Schuldgefühlen, und dies ist sogar ein zentrales Diagnosemerkmal. Sie geben immer sich selbst die Schuld, nicht anderen und würden deshalb nie auf den Gedanken kommen, fremde Menschen in einem Amoklauf zu töten. Den Amoklauf fälschlicherweise als Folge einer Depression darzustellen, verstärkt die Stigmatisierung depressiv Erkrankter. Dies erhöht für diese die Hürde, sich professionelle Hilfe zu holen. Nicht optimal behandelte Depressionen verursachen großes unnötiges Leid und sind die Hauptursache für die jährlich circa 10.000 Selbsttötungen (Suizide) in Deutschland. Eine Zunahme der Stigmatisierung wird zu einer Zunahme der Suizide führen.“
Auch der Depressionsbefund Teil der schnellen Beruhigung der Öffentlichkeit ohne Rücksicht auf den Personenkreis depressiv Erkrankter?
Nun muss man sich bis hierher sowieso wundern, wie es der Runde überhaupt möglich sein kann, diesen vielfachen islamistischen Terrorwahnsinn in Frankreich, zuletzt in Nizza, so weit auszuklammern, als hätte er nie stattgefunden. Dass man sich hier so intensiv mit dem Thema Amok beschäftigt, als wäre es das Phänomen unserer Zeit, ausgelöst von Ballerspielen und sonst was bösem Virtuellem. Nein, noch mal: das Thema des Abend lautet „Amok in Zeiten des Terrors“. Also so etwas wie Mord in Zeiten des Krieges. Hier spielt es keine Rolle. Würzburg war Terror. Der IS hat sich dazu bekannt. Der LKW-Fahrer von Nizza bekannte sich zum IS und in Bagdad und Kabul killt der IS mit Selbstmordtätern Dutzende im Stundentakt.
„Auch verbale Gewalt ist Gewalt“ erklärt die Kollegin von der Süddeutschen – herrje, wenn das nun wieder Heiko Maas hört, er denkt womöglich noch, es hätte was mit seiner Task Force zu tun.
Man will also heute Abend das Thema Amok so verhandeln, als wäre ein Anschlag des IS bei uns kein aktuelles Thema. Man kommt sich als Zuschauer längst vor, als säße man in einer abstürzenden Lufthansa-Maschine, die kurz vor dem Aufprall noch einmal hundert Meter Aufwind bekommt, der Pilot ist längst abgesprungen, aber alle Passagiere jubeln. Der Tanz auf dem heißen Vulkan. Ein großes Soziologie- und Psychologie-Laiengeschwätz.
„Amok in Zeiten des Terrors“ hieße heute auch, sich sehr ernsthaft darüber Gedanken zu machen, was es bedeutet, wenn über eine Millionen Traumatisierter, großteils junge Männer aus Kriegsgebieten, hierher kommen und nicht vorfinden, was sie möglicherweise erwarten, was ihnen die Schleuserindustrie versprochen hat, worin sie die Refugee-Welcome-Kultur bestätigt hat. Dass mit den Einwanderern auch ihre Konflikte unter einander einwandern, scheinen unsere Institutionen noch gar nicht auf dem Schirm zu haben. Aber von beidem bis zur Glock und zur Machete führt eine gerade Linie. Zusammenhänge, die diese Runde deutlich überfordern. Die Diskussion hätte Plasberg so auch nach Emsdetten, Erfurt und nach jedem Amoklauf der Vergangenheit führen können. Nein, die Runde diskutierte nicht Amok IN Zeiten des Terrors, sondern Amok VOR den Zeiten des Terrors.
Die Eskalation auch der Polizeiarbeit mit weit über 2.300 Beamten, einer stillgelegten, gelähmten Stadt, samt Amtshilfe der Cobra-Einheiten aus Österreich, der Alarmierung einer Feldjäger-Einheit der Bundeswehr und einer Solidaritätsadresse von Obama aus dem fernen Washington ist direkt zurückzuführen auf die akute Terrorgefahr durch den IS und die Gefahr, die von verbündeten Schläfern in Europa, in Deutschland ausgeht. Spannend wäre nicht die Frage gewesen, wie Videospiele auf Jugendliche wirken, sondern ob nicht die Video-Youtube-Propaganda des IS im Internet einen potentiellen Amokläuferschläfer in einen aktiven IS-Terror-Täter verwandeln kann.
Das alles macht leider auch unglaublich müde, diese Nachrichten, diese merkwürdige Zwanghaftigkeit, das alles immer noch weiter relativieren zu wollen. Auch in der Tagesschau kein Wort darüber dass das ein syrischer „Flüchtling“ war in Reutlingen. Wie taub kann man sein, in Zeiten wie diesen Informationen so lange es geht, immer verschleiern zu wollen, aber jedes kleinste Detail über die Funktion der Videospielkonsolen eins echten Amokläufers zum Mittelpunkt einer Fernsehdiskussion zur besten Sendezeit zu machen. Man ahnt es, man weiß es, man fürchtet es: Wenn der IS auch in Deutschland zugeschlagen hat, wird es eine große schreckliche Stille geben, dann wird man so ratlos und traumatisiert sein, als hätte eine Atombombe ins Paradies eingeschlagen.
Die eingespielte Mutter einer bei einem früheren Amok-Attentat ermordeten Kindes wird hier zu Recht besonders lange eingespielt. Jede Minute, die man den diskutierenden Amok-Fachleuten wegnimmt, ist jetzt eine gute, eine wahrhaftige Minute. Eine mitfühlende Minute.
Heute Abend ist Winnenden die Bezugsgröße zu München geworden. Nizza scheint hier schon keine Rolle mehr zu spielen. Es wäre schön, es gäbe gar keinen neuen Anlass für solche Runden, aber diese Hoffnung wäre wohl zu blauäugig und ohne Verantwortung. Denn schon berichtet die FAZ: