Tichys Einblick
Spannendste Talkshow des Jahres?

Melanie Amann, Kevin Kühnert, Sahra Wagenknecht – epochaler Zickenkrieg bei Illner

Die Forderung, dass Scholz die Vertrauensfrage stellen sollte, war noch die mildeste Attacke. Erstmal so viel: Verletzte gab es nach aktuellen Informationen nicht, auch wenn im Grunde jeder Beteiligte der Sendung ordentlich einstecken musste. Die Gästeauswahl bei Illner hat gezeigt, welch gutes Format Talkshows sein können.

Screenprint: ZDF / Maybrit Illner

Es war wieder Donnerstag, es war wieder Illner und es ging wieder um den Haushalt. Ein kurzer Rückblick: Seit dem Haushaltsurteil aus Karlsruhe hatten wir erst den Titel „Ausgetrickst – Ampel ohne Geld und Zukunft?“ und dann die Steigerung zu „Ampel in Notlage – ohne Geld, ohne Vertrauen?“. Diese Woche kam die Eskalation: „Not-OP am Haushalt – wen macht die Ampel arm?“ Der Patient hat erst rumgetrickst, war dann in Not, nun liegt er im OP-Saal und ist eine potenzielle Gefahr für andere. Die nächste Sendung wird dann wohl „Ampel tot“ heißen müssen, wenn man noch weiter eskalieren will.

Und wenn es nach einem der Gäste ginge, gäbe es zur nächsten Sendung Anlass für diesen Titel. Denn die gestrige Sendung ist ähnlich eskaliert, wie der Titel es versprochen hat. An diesem Donnerstag hat Illner uns anhand einer guten Gästeauswahl gezeigt, was für ein gutes Format Talkshows sein können. Die Forderung, dass Scholz die Vertrauensfrage stellen sollte, war da noch die mildeste Attacke der Sendung. Erstmal so viel: Verletzte gab es nach aktuellen Informationen nicht, auch wenn im Grunde jeder Beteiligte der Sendung ordentlich einstecken musste. Aber der Reihe nach.

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Das erste Pulverfass der Gästeauswahl war das Duell der beiden Generalsekretäre: Kevin Kühnert (SPD) trat an gegen Carsten Linnemann (CDU). Die dritte Politikerin im Bunde, die man eigentlich schon gar nicht mehr als Pulverfass, sondern als Atombombe bezeichnen muss, war Sahra Wagenknecht. Mit der Gründung ihres neuen Bündnisses hat sie erst vor Kurzem die Linke hochgesprengt, die dadurch empfindliche Verluste davontrug, und nichts weniger Explosives bot sie an diesem Donnerstag. Dazu kamen Spiegel-Journalistin Melanie Amann und Jens Südekum, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

Auf den ersten Blick kann man hier eigentlich ganz klare Fronten aufmachen. Kevin Kühnert und Jens Südekum sind die Stimmen der Ampel-Regierung. Carsten Linnemann und Sahra Wagenknecht sind Opposition. Melanie Amann ist Presse. Anders könnte man einteilen: Alle gegen die Schuldenbremse, außer Linnemann. Oder: Alle Mainstream, außer Wagenknecht. Oder: Alle links, außer Linnemann, der aber trotzdem mit Linken koalieren würde. Und so ist es auf den zweiten Blick schon gar nicht mehr so einfach, Fronten auszumachen oder vorherzusehen, wie die Sendung verlaufen wird. Am Ende hat sich beinahe jede Koalition gebildet, die man sich vorstellen kann.

Heraus kam dabei eine Mittelstufenklasse aus spätpubertären Erwachsenen, die für jeden Lehrer der größte Albtraum gewesen wäre. Melanie Amann führte sich auf wie die Anführerin einer Siebtklässler-Mobbing-Clique. Währenddessen war Sahra Wagenknecht die Möchtegern-Goth-Außenseiterin aus der letzten Reihe, die extra aneckt, um cool zu sein. Kevin Kühnert war der Klassenclown, der beim kleinsten Widerstand zu seiner Mami rennt. Carsten Linnemann ist der Streber aus der ersten Reihe, der den Finger bei jeder Meldung fast in die Nase des Lehrers bohrt. Und Jens Südekum – naja, der ist das Kind, den die Lehrer nach drei Jahren plötzlich fragen, ob er neu in der Klasse ist.

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Einerseits war das sehr peinlich und schwer mitanzusehen, vor allem weil der Ton sich im Verlauf der Sendung vom Siebtklässler-Niveau mehr zum Kindergarten zurückentwickelt hat, bis man sich auch über Sätze wie „Selber, selber, lachen alle Kälber!“ nicht mehr gewundert hätte, besonders aus der Ecke Amann und Kühnert. Andererseits war diese Sendung mit ihren Brüll-Quartetten und Zickereien wohl auch die spannendste des Jahres.

Zu Beginn musste erstmal die Ampel ordentlich einstecken. Das bedeutete in erster Linie alle gegen Kevin, weil Südekum mehr als unbedeutender Experte wahrgenommen wurde denn als Teil der Regierung. Kühnert gab sich größte Mühe, souverän und zuversichtlich nach vorn zu schauen, doch das machte man ihm von allen Seiten sehr schwer. Melanie Amann sprach der Ampel den Einigungswillen ab, wobei sie gar nicht so Unrecht hatte, Linnemann führte aus, wie verunsichert die Bürger und Unternehmen sind. Wagenknecht machte Deutschland als Ganzes fertig, bezeichnete es weltweit als „Schlusslicht“.

Der Höhepunkt war der Teil, als Linnemann forderte, Olaf Scholz sollte die Vertrauensfrage stellen, und wenn er die verliert, brauche es Neuwahlen. Es war der Kanzler selbst, der als größter Klotz am Bein ein Freistempeln für Kühnert beinahe unmöglich machte. Die Angriffsfläche, die Olaf Scholz bietet, ist groß. Das musste auch Kevin Kühnert einsehen, der als Verteidigung der Scholz-Haushaltsrede erklärte: „Das mag jetzt nicht Pulitzerpreis-verdächtig vorgetragen gewesen sein – geschenkt! Die Leute kennen Olaf Scholz jetzt auch schon ’ne Weile und wissen, dass er jetzt ’n Festzeltredner wahrscheinlich nicht mehr wird.“

Na, ist es nicht schön? Der Kanzler hat zwar Pech bei seinen Redekünsten, aber die Leute können sich doch denken, was er meint. Abgesehen davon ist der Pulitzerpreis ein Preis für Journalisten und das ergibt in diesem Zusammenhang so gar keinen Sinn. Doch Olaf Scholz war nicht lange im Fokus der Unterhaltung, denn nach dem „Alle gegen die Ampel“- Segment schwenkte Illner zum Thema Schuldenbremse. Die „Alle gegen die Schuldenbremse“-Koalition gründete sich und die stürzte sich auf Linnemann.

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„Wenn wir jetzt der Vorreiter sind, und wir verschulden uns, als ob es kein Morgen gibt, dann …“, diesen Satz konnte Linnemann nicht zu Ende führen. Jeder einzelne Gast erhob wie auf Kommando gleichzeitig das Wort. Linnemann sagte noch drei Wörter, die im Stimmengewimmel komplett untergingen, und verstummte dann, während er mit enttäuschtem Dackelblick resignierte. „Einer bitte!“, rief er dann noch mit gesenktem Blick, konnte aber seine Peiniger kaum übertönen. Illner musste schließlich eingreifen, damit wieder Ruhe einkehrt.

Ausgerechnet Sahra Wagenknecht griff Linnemann dann als erste an. Eigentlich klar, weil sie ja immer noch Linke und Sozialistin ist, doch sie wurde in letzter Zeit so oft als rechts bezeichnet, dass man sie eigentlich trotzdem aus irgendeinem Grund auf Linnemanns Seite vermutet hätte. „Also, ich finde wirklich, was Sie jetzt hier machen, das ist ein Zusammenmixen, das ist einfach billig.“ Dabei interessant zu beobachten: Kevin Kühnert, der bei ihren Beiträgen immer wieder instinktiv nickte, sich dann aber zusammenriss und eifrig den Kopf schüttelte oder skeptisch guckte. Linnemann griff dann wiederum Wagenknecht an und verwies dabei auf die schlechte Politik der Linken. „Ist Ihnen aufgefallen, dass ich da nicht mehr bin?“, entgegnet Wagenknecht. „Seit zwei Wochen“, antwortet Linnemann.

Irgendwann hängte sich Wagenknecht bei ihrer Kritik an Linnemann zu sehr aus dem Fenster, sodass es dann „Alle gegen Wagenknecht“ hieß. Die hatte nämlich den Fehler gemacht, darauf hinzuweisen, dass die Voraussetzungen für das Bürgergeld bei Deutschen und Ukrainern nicht mit dem gleichen Maß gewertet werden. Sie merkte dabei selbst an, dass die ukrainischen Flüchtlinge in anderen Ländern bereits mit einer großen Mehrheit in den Arbeitsmarkt integriert sind, nur in Deutschland würden sie zu so einem großen Teil von staatlichen Mitteln leben. Danach war die Hölle los. Die Anti-Wagenknecht-Front wurde angeführt von Melanie Amann.

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Es ist ja richtig, dass Journalisten unangenehm und ungemütlich sein müssen. Doch Melanie Amann hat diesen Grundsatz zu weit getrieben. Ihre Rhetorik, ihre Körpersprache und ihre ganze Art war so verbittert, überheblich, zickig und hasserfüllt, dass sie einfach nur abstoßend war. Sie schien eine persönliche Fehde mit Wagenknecht zu haben. Wagenknecht hatte sich zu dem ganzen Ukraine-Thema extrem vorsichtig geäußert. Fast schon so vorsichtig, dass man vermuten musste, dass sie vielleicht von irgendwem zurückgepfiffen wurde. Amann warf ihr trotzdem „Nationalismus“, die Erschaffung einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ und billigen Populismus vor.

Sie versuchte eigentlich, dabei knallhart und sachlich zu klingen, vielleicht würde sie von sich selbst sogar behaupten, dass sie Wagenknecht ganz souverän mit ihren eigenen Worten geschlagen hat. Am Ende hatte sie trotzdem den gleichen Tonfall wie Dolores Umbridge bei Harry Potter. Falls Ihnen dieser Name kein Begriff ist: Die Harry-Potter-Fans sind in mehreren Abstimmungen zu der Einigung gekommen, dass sie noch schlimmer war als Voldemort. Es ist ganz einfach die selbstgefällige Art, in einem betont freundlichen Ton sehr gehässige Sachen zu sagen, die das Blut mehr zum Kochen bringt als die Vorstellung eines eiskalten Bösewichts. Amanns Problem ist dabei, dass sie sich das so ganz und gar nicht vorgestellt hat. Sie wirkt so, als wolle sie eigentlich gemocht werden – und steht dann nur doch wieder alleine da und wundert sich, was sie Falsches gesagt hat.

Eine „Alle gegen Amann“-Koalition bildete sich aber nicht. Wagenknecht schlug sich abwechselnd auf die Seite von Kühnert und Linnemann, Amann vertrat immer das Gegenteil von Wagenknecht. Wenn das ausgeschöpft war, schlugen sich Linnemann und Kühnert auf eine Seite, um sich auf Wagenknecht zu stürzen. So lief es bis zum bitteren Ende. Illner gab sichtlich geschafft an Lanz weiter, während sich Wagenknecht an ihrem Wasser verschluckte. Nächste Woche wird Illner noch nicht in Winterpause gehen. Aber diese Sendung wird sie 2023 wohl nicht mehr toppen können.

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